Traugott Giesen Kolumne 14.12.2002
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Vom guten Warten
Es gibt einen Film, der das Warten eindringlich
hör- und sichtbar macht: An einer Wildwest-Eisenbahnstation hockt ein
Ganove. Über sein wüstes Gesicht spaziert eine Fliege. Man horcht
auf ihr Summen, dann ist wieder Schweigen. Gemeint ist: Spiel mir das
Lied vom Tod". Und die Zeit dehnt sich und dehnt sich. Ganz vergessen scheint
die Zeit für die Spinne in ihrem Netz, die so was von warten kann auf
Beute, dass man, wenn man denn verweilte, von seiner Hibbeligkeit geheilt
werden könnte. Ein anderes Bild fürs Warten geben einem die Kinder,
die den Heiligabend herbeisehnen. Ganz anders die Eltern, denen sich zuletzt
alles zuspitzt, die dann außer Atem in Stille Nacht" einstimmen
und erst mal wegsacken.
Warten und Weihnachten gehören ganz eigenartig
zusammen. Einmal ist ja Christi Geburt von weit her erwartet worden, aber
der Retter der Welt ist immer noch die große Sehnsucht. Und wenn die
Christen auch den Messias schon für gekommen halten, steht die Vollendung
seines Reiches noch aus. So ist jedes Weihnachten auch ein großes Atemholen
aus der Hoffnung, dass endlich noch alles gut und ganz werde.
Das Warten auf die Bescherung soll diese Hoffe-
und Warte-Existenz der Menschen ein Stück spiegeln. Denn es ist doch
der Mensch, was er erhofft. Der Glaube ist vor allem Wunschkraft, unsere
Seele ist voller Bilder, die das Künftige als wunderschön und heilsam
vorstellen. Gerade die Weihnachtslieder sind Bilderbögen der Hoffnung,
man nehme nur: Es kommt ein Schiff geladen, bis an sein höchsten
Bord, trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewig Wort". Mit dem
Gedenken an Christi Geburt geht uns das Herz auf, wir bekommen die Widmung:
Auch Du ein Kind Gottes, geliebt, gebraucht". Dies Versprechen für
mich gültig sein lassen und daraus Lebensmut und Liebelust schöpfen,
das ist die Kunst von Weihnachten.
Christwerden dauert, es ist ein Entwickeln des
inneren Menschen, dass ich mehr und mehr gern ich bin und dem Leben passe.
Und das hat auch zu tun mit einem guten Warten, welches den Dingen ihren
Lauf lässt, aber auch weiß, der Zeit Beine zu machen. Wir warten,
dass die Zeit kommt für dies und das. Aber die Zeit wartet auch auf
uns. Meister im richtigen Warten zupfen das Korn nicht, dass es schneller
wachse, aber geben ihm, was es braucht. Einem in Hetze sagt man schon mal:
Du hast alle Zeit der Welt"; aber das ist doch stark übertrieben,
denn unsere Zeit hier läuft ab. Gut, mit dem im Bunde zu sein, in dessen
Hände unsere Zeit läuft. Ich hoffe, mal den Wartesaal Leben"
voller Erwartung zu verlassen. Darum sollte ich eigentlich nicht mit Bösem
mir Vorteile beschaffen, sollte nicht Aufmerksamkeit anderer an mich raffen.
Es ist doch jetzt Trainingszeit für Glücklichmachen.
Glücklichwerden fällt dabei schon von selbst ab. Auch das lehrt
Weihnachten: Es tut gut, was Treffendes zu verschenken.