Traugott Giesen Kolumne 02.11.2002
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Neid treibt an und zerstört
Schon im Sandkasten löst die schöne
Burg des Anderen verschiedene Gefühle aus. Einmal lockt sie in den
Vergleich: "Ja, ich will auch so eine schöne Burg bauen, mindestens!"
Und sie kann gefährlich eifersüchtig machen: "Die Burg ist viel
zu schade für dich, sie gehört jetzt mir oder ich leg' sie um!"
Werden Mütter Zeugen, dann preisen die einen ihr tüchtiges Kind:
"Schon jetzt ganz der Vati, der nimmt sich auch, was er kriegen kann - muss
man doch heutzutage!" Oder sie springen bei und reparieren den Schaden und
geben die Korrekte: "Das darf man doch nicht, das weißt du doch. Jetzt
komm mit nach Hause!"
Später, als Jugendlicher, ist Neid ein
ständiger Begleiter: Die andern konnten das Verlangte, man selbst stocherte
im knappen Wissen, versuchte abzuschreiben, war auf Gnade angewiesen. Bei
den Bundes-Jugend-Spielen zog sich die Tausendmeterstrecke und die Mädchen
lachten hämisch bis mitleidig. Wie beneidete ich die
Völkerball-Riesen. Bedrückend bis heute die Erinnerung an Dorothea
in der Tanzstunde, wie sie immer nicht aufgefordert wurde und dann ganz wegblieb.
Zehn Jahre später war sie die Erste mit eigener Familie, lachend schob
sie ihren Zwillingskinderwagen, sie brauchte keine Therapie.
Irgendwann müssen wir ablassen, uns mit
andern zu vergleichen. Immer die Vorteile und Glücksgüter der anderen
zu zählen, kann nicht der Sinn sein. Es ist doch gut, dass welche herrlich
Klavier oder Computer spielen können, Feste organisieren oder den Nobelpreis
bekommen. Du, ich, wir können das oder ähnliches grundsätzlich
auch erreichen. Wenn jemand schon was erreicht hat, ist es möglich auch
für andere. Ob ich das Talent dafür habe und den dazugehörenden
Fleiß, die Mühsal aufbringe, muss ich sehen. Auch die schöne
Figur ist, wenn nicht machbar, so doch anstrebbar. Und wichtiger: Die
Zufriedenheit mit mir selber hängt an meiner Einschätzung vor allem;
die Zeiten sind vorbei, wo anderer Leute Urteil über dich Gedeih oder
Verderb bedeuten konnten. Du selbst hast den Rahmen deiner Kräfte
längst nicht ausgeschöpft. Was solltest du neiden. Ein Mensch,
der sein Bein verlor und in der Arena die schnellen Jungen geschmeidig spielen
sieht, der kann wehmütig zurücksehen - aber auch er will nicht
eine Welt nur voller Amputierter, er ist doch nicht scheelsüchtig. Er
sieht sie auch laufen stellvertretend für sich selber. Du willst deine
Arbeit gut machen, weil du gern andern Menschen nützt. Oder weil es
unter deiner Würde ist, nicht die bestmögliche Pizza zu backen,
wenn du schon eine backst. Und du hast Lust, das Schaufenster möglichst
verlockend zu dekorieren, wenn du schon dekorierst. Du kannst andern Lob
und Geld für deren Arbeit neidlos lassen, du weißt um deine Leistung
und wirst auch der Firma wichtig.
Natürlich machen wir uns mit neuen Autos,
neuen Kleidern gegenseitig neidisch. Aber es ist ein Spiel. Es lohnt kein
Schuldenmachen, keine Pleite. Gehen wir über das, was uns versagt ist,
mit einem Lächeln hinweg. Wir haben doch jeder was, worum wieder andere
uns beneiden.