Traugott Giesen Kolumne 21.09.2002
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Christenwissen fürs Regieren
Es gehört zu unserer Bestimmung, das
Zusammenleben zu gestalten - und der wesentliche Teil dieser
Zusammenlebgestaltung ist Politik. Politik ist wohl das Feld der
Nächstenliebe über ich und du hinaus. Wir dürfen nicht
privatisieren, was so verlockend ist. Gerade Christen müssen ihr Licht
leuchten lassen; sie wissen doch die Eckpfeiler des Menschlichen: Du sollst
nicht Gott sein wollen, nicht von Allmacht träumen, nicht eine Katastrophe
als unvermeidlich hinstellen, du sollst deines Bruders Hüter sein, du
sollst Gerechtigkeit beschaffen, Krisen sollen wahrgenommen werden, Wege
in der Gefahr gesucht werden.
Christen haben das Urwissen, dass wir in einer
Schöpfung leben, die noch auf dem Weg ist, heil zu werden, und wir sollen
Schrittmacher zu Besserem sein. Das verlangt eine Politik, die nicht auf
Pump bei den nächsten Generationen lebt.
Und Christen wissen auch: Wir sind schwierig,
sind nah an der Hartherzigkeit; wir haben aber auch eine angeborene Lust,
Gutes zu wirken. Darum muss Politik die Talente heben, muss helfen, dass
Kinder ihre guten Möglichkeiten entfalten. Und niemand darf aufgegeben
werde, jeder hat ein Recht, noch Neues über sich zu lernen. Auch darum
ist Todesstrafe uns nicht möglich, und jede Strafe muss den verbesserlichen
Menschen fördern.
Christen wissen, dass einer dem andern die Last
tragen helfen soll; dass also Unglück, Krankheit, Armut von allen zusammen
gelindert werden muss. Wir wissen aber auch von Schicksal und Bestimmung,
wissen, dass einiges ausgehalten werden muss, so das meiste, das mit dem
Anfang und dem Ende des Lebens zu tun hat. Die Geschichte vom barmherzigen
Samariter Lukas 10, 25ff hat die tätige Güte, die schnelle Hilfe
in Not fest in unseren Herzen verwurzelt. Der barmherzige Samariter heute
in der Politik beschafft schnelle Hilfe, zeigt Unmenschliches auf, schützt
den Fremden vor Beleidigung, initiiert findig Nachbarschaftshilfe. Und wir
wollen nicht immer reicher werden, dadurch, dass arme Länder immer
ärmer werden.
Christen wissen, dass Macht in Verantwortung
vor Gott für die Menschen genutzt werden muss. Keine Macht darf sich
darauf berufen, Gottes Gerichtsvollzieher zu sein, weder Eltern noch Regierende.
Das ist eine Gabe christlicher Ernüchterung in der Politik: Wir können
nicht die Welt in ein Reich des Guten und ein Reich des Bösen aufteilen,
wir wissen zuviel von der Verflechtung aller mit allen.
Damit sind einige Linien gezogen für eine
Politik aus dem Geist des Christentums. Welche Partei die bessere Politik
zu versprechen scheint, muss jeder selbst finden. Und entsprechend wählen.
Wir müssen wieder wacher Politik machen, nicht nur Steuern zahlen, das
ist ja noch das Geringste, sagt Jesus (Matthäus 22, 21): Gebt dem Kaiser,
worauf er ein Recht hat, einen Teil der Münze, aber ihr, gebt euch,
gebt euch Gott. Als Helfer, Engel, als Prokuristen seiner Erde. Gott wohnt
im Himmel, aber auf Erden hat er seine Werkstatt und uns als seine Mitarbeiter.
Dank an alle, die für uns Politik machen.