Traugott Giesen Kolumne 25.05.2002
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Das Spiel des Lebens
Sich auf ein Spielchen einlassen, das macht
was mit einem, uns wird auch mitgespielt. Eine andere Welt taucht auf - es
zählt nicht Geld, nicht Macht, es ist anderes als das Geschäftsleben.
Ich gebe meine Macht Preis an die Macht des Schicksals, des Würfels,
der rollenden Kugel, des Balls. Ich trete in einen Spiel-Raum ein mit eigenen
Regeln. Was jemand sonst noch ist, spielt keine Rolle mehr.
Gefangengenommen vom Spiel sind wir in die reine
Gegenwart des nächsten Zuges versetzt. Schach kann darin wie eine
Liebesumarmung sein, eine Art Selbstvergessenheit bemächtigt sich meiner,
alle sonstigen Unterschiede versinken. Vergessen sind die Sorgen - Spielezeit
ist eigene Zeit, ein Hauch von Ewigkeit streift uns. Wenn einen der Spieleifer
ergreift, ist das eine Art Selbstreinigung: Die gern alles in der Hand haben,
bekommen von des anderen Hand die Karten; die gern planen, sehen sich
ausgeliefert dem Ball, der jetzt von deinem Fuß den richtigen Kick
bekommt oder nicht. Da ist nichts zu planen, da ist sekündlich neue
Lage.
Eine Menge Kampfspiele haben ein Todsein zum
Ziel. Beim Völkerball getroffen vom Ball, scheidet man aus. Beim Schwarzen
Peter steht man da, als hätte man die Pest. Ausgesetzt werden und Totgehen
wird spielerisch vorweggenommen. Und das Auferstehungsglück auch:
"Auferstanden aus Ruinen". Neu anfangen dürfen, das ist das große
Glück des Spiels - die Karten werden neu gemischt. Keiner hat das
Glück gepachtet. Jeder kommt dran, die Rollen werden getauscht. Spielen
übt das Wichtigste zum Überleben ein, das Wissen: Neuer Tag, neues
Glück.
Spielend lernen wir Gewinnen und Verlieren.
Das Pfand muss zurückgeben werden, Auslachen macht Spaß, ich muss
aber auch bereit sein, selber mich auslachen zu lassen. Gute Miene machen
zum bösen Spiel ist wichtig. Und nicht aus dem Spiel rausspringen und
gekränkt nach Hause laufen. Die Regeln gelten für alle, schmeißt
einer hin, ist er Spielverderber für alle.
Wenn Menschen spielen, ist es egal, was sie
sonst noch sind. Die Spielgemeinschaft tritt auf Zeit und zu diesem Zweck
zusammen, Spielkameraden sind auch Gegner. Man baut sich eine Gegenwelt auf
der Ritterspiele, der Indianer- und Soldatenspiele; ein feierlicher Ernst
liegt über der Szene, morgen ist man wieder Friseur oder am Band.
Bei den großen Sportereignissen spielen
andere für uns. Wir lassen spielen, aber leiden mit, foulen mit, siegen
und verlieren mit. Sieger werden bejubelt. Wir vergleichen uns mit ihnen,
gehören sie unserer Stadt oder unserer Nation an, spielen sie auch in
unserem Namen. Dafür bezahlen wir sie gut und gern. Ob sie noch wirklich
spielen können, wenn sie gleichzeitig damit ihr Geld verdienen. Musiker
müssen das auch. Aber die Leichtigkeit, die Freude ist schnell verloren
im Berufssport, das Doping verdirbt alles, die Fouls müssen wegen der
Fernsehpräsenz immer raffinierter angesetzt werden. Schauerlich harte
Arbeit geradezu kann das bemühte Müheloslächeln der
Berufstänzer sein. Hoffentlich geht die Fußball-WM gut. Von Ferne
erinnert ein faires Fußballspiel daran, dass wir uns wissen dürfen
in einem guten Spiel des Lebens.