Traugott Giesen Kolumne 04.05.2002
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Kinder brauchen Eltern wie Atem
Es ist wohl so, dass die Liebe zwischen Mann
und Frau nicht verlässlich ist. Auch das Paar, das einander sich anvertrauen
lässt, "bis dass der Tod sie scheidet", gibt keinen Eid darauf. Bestenfalls
wollen sie sich annehmen für immer, wollen es, wünschen es, beten
darum.- Ob die Liebe bleibt, ist offen. Liebelos zusammenbleiben vermindert
beide. Auf Dauer ist wohl Trennung besser, weil sie neue Chancen
einräumt.
Ist aber ein Kind da, braucht dies Kind beide
Eltern, wie auch immer. Kinder zeugen, also Leben ins Leben rufen, das
verpflichtet zur Fürsorge, zwanzig Jahren lang und darüber hinaus.
Kinder brauchen Eltern, wie Atem. Es muss nicht die leibliche Mutter, der
leibliche Vater sein, es kann ein anderer mütterlicher, väterlicher
Mensch hinzutreten, - aber Kinder haben ein Recht auf Eltern. Ganz und gar
furchtbar ist die Flucht vieler Männer aus der Vaterschaft. Wenn sie
sich sogar vor Zahlung des Unterhalts drücken wollen, muss der Staat
sie zwingen, mit Zinsen. Warum kapieren die Kerle nicht: Elternsein ist das
Sinnvollste im Leben überhaupt; einem andern Menschen zum Leben verhelfen,
das ist doch nah am Schöpfersein dran. Diese ungeheuerliche Würde,
einem Kind Vater Mutter sein zu dürfen, - nichts kommt dieser Ehre nahe.
Es erstattet meine Lebensdankbarkeit. Dass ich leben darf, dafür haben
andere gelebt, und jetzt darf ich auch leben, damit ein neuer Mensch leben
kann. Es ist in uns dies Sehnen, Glück weiterzugeben.
Hinzu kommt ja die Freude, ein Kind heranwachsen
zu sehen, und wie sie täglich mehr in die Welt einwandern und Einheimische
werden, ganz frisch und frei. Und diese Auszeichnung, dem neuen Mensch zeigen
dürfen, wie das Leben geht, wie man selbst richtig geht und Falsches
lässt. Wenn du Mensch dich nicht für wert hältst, ein Kind
großzuziehen, wenn du ihm ersparen willst, dich als Vater, Mutter zu
haben, also wenn du ihm ganz andere Menschen als erste Hüter wünschst,
gut. Es kann von tiefer Einsicht zeugen, sich nicht zumuten zu wollen als
Herkunft. Aber wenn du gezeugt hast, dann nimm dies als Auftrag, auch das
Kind anzunehmen. Und findet als Paar zusammen, bleibt als Paar zusammen für
das Kind, wenn ihr könnt. Könnt ihr aber nicht, dann müht
euch auf alle mögliche Weise, dem Kind gut zu sein. Denn das Glück
des Kindes müsst ihr Eltern bereiten, sonst bleibt ihr unglücklich
bis dorthinaus. Und bitte, benutzt das Kind nicht als Druckmittel, um von
einander was abzuwingen, ihr missbraucht das Kind auf infame Weise.
Auch wenn es euch nicht zu einem Kind gedrängt
hat, ihr werdet es lieben, weil man mit ihnen Freundschaft schließt,
wenn man sie aufzieht. Und zieht sie auf, auch wenn nicht in einem Haushalt.
Ihr beide bleibt zuständig, auch wenn ihr euch neu liiert und andere
freundliche Menschen hinzutreten. Es kann ein Mann der Vater des Kindes eines
anderen Mannes sein, es kann eine Frau die Mutter des Kindes einer anderen
Frau werden, das Biologische ist nicht die Welt; Liebe ist alles, und das
liebevolle Netzwerk, das dem Kind zum Gedeihen verhilft.