Traugott Giesen Kolumne 13.04.2002
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Warum Queen Mums Abschied ergriff
Unzählbar die Menschen, die vor Ort und
am Bildschirm die Trauerfeier für die alte Dame mitbegingen. Die Briten
haben ein starkes Stück Leben ihrer eigenen Nation zu Grabe geleitet,
die historischen Flugzeuge in der Luft erinnerten an ihr heroisches Durchhalten
gegen Hitler-Deutschland. Die königliche Familie verlor ihr Oberhaupt.
Und alle Königstreuen rund um den Globus gaben Salut dieser aufrechten
Monarchin.
Doch auch Menschen, die keine Neigung haben
zu Hofleben und großem Gepränge, konnte dieser feierliche Abschied
anrühren. Bewegend war es, dass diesem Menschen so viel Liebevolles
nachgerufen wurde. Und Wildfremde haben ihre eigenen Gedanken und Gefühle
eingeflochten in dies Geschehen. Ist es nicht so: Wenn ein Mensch so geehrt
zu Grabe kommt, dann bekommt aller Menschen Leben davon einen Scheibe ab.
Wenn ein Mensch so geliebt wird, dann ist doch viel Lieben in der Welt.
Umgekehrt greift es uns auch ans Herz, wenn
wir Kriegsbilder sehen von Zerschossenen. Oder von Bestattern ohne Gefolge,
die Urnen an anonyme Plätze tragen. Auch, wenn gemeldet wird, die Beisetzung
habe in aller Stille im Familienkreis stattgefunden, ist das rundweg ein
Jammer. Denn welcher Mensch hätte nur sich oder der Familie
gehört?
Hat nicht die Menschheit Recht und Pflicht,
Abschied zu nehmen von einem seiner Glieder? Er gehörte doch dem
Körper einer Gemeinschaft an. Mit tausend Fäden war man einander
verbunden - wie viele Rollen hat der Mensch gespielt? Wie viele Pflichten
erfüllt, wie viel geliebt, mit wem alles gelacht, gearbeitet, geredet?
Und einzigartig waren seine Gesten, sein Blinzeln, seine Grübchen, sein
lebendiges Haar, seine atmende Haut, sein erster Schnee, sein erstes Kind,
sein Mühen, Kämpfen, Gutsein und sein eigenartiges Schwierigsein.
All das stirbt mit ihm und ist es wert, bedacht zu sein, noch einmal genannt
zu werden in großem Kreis. Und die andern sollen entscheiden, ob sie
zur Beerdigung kommen. Keiner soll durch Geheimhaltung ausgeschlossen sein.
Aber immer mehr Menschen kommen zu Grabe, als wäre von nichts die Rede,
als entledige man sich des Restlichen. Wir brauchen unseren Toten keine Pyramiden
zu bauen, aber einen Ort des Gedächtnisses hat schon jeder verdient.
Denn keiner ist zu Lebzeiten genug geliebt worden, keiner hat genug geliebt,
wir sind alle nur Vorläufige hier auf dieser schönen armen Erde.
Und haben alle einen liebevollen Nachruf verdient.
Darum war die Trauerfeier für Queen Mum
für viele wichtig. Sie war auch eine Übung in nachgeholter Trauer
für eigene mit der Uhr im Herzen zu Grabe gebrachte liebe Menschen.
Sie war auch eine Meditation für den eigenen letzten Gang. Wenn wir
auch unaufwendiger zu Grabe kommen wollen, mögen doch einige Menschen
uns ein "Fahr wohl, komm gut Heim" entbieten. Aber Beerdigungen, die nicht
in den Frieden entlassen, sondern kalt sind, als hätte die Welt mit
dem Toten abgerechnet, die fallen auf uns Lebende zurück. Einen Hauch
der Aufmerksamkeit, wie sie Queen Mum entgegengebracht wurde, steht jedem
zu. Denn Leben mit Anstand bestehen, ist eine Trauerfeier wert und ein eigenes
Grab.