Traugott Giesen Kolumne 09.03.2002
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Sterben für das Leben
In Afghanistan und rund um den Erdball wird
nicht nur im Bett gestorben. Da stirbt man unter Autowracks und durch Mord,
stirbt an Verzweiflung und an Hunger, geht zu Grunde an Aids, schießt
tot und wird totgeschossen. "Du sollst nicht töten" ist das einleuchtendste
Gebot überhaupt. Was du nicht willst, dass man's dir tu, das füg
auch keinem Andern zu.
Gleich nach Mord ist das schlimmste Verbrechen,
dem Morden nicht zu wehren. Weggucken ist Beihilfe; wir wissen es genau.
Darum bitten wir, wenn wir Zeugen eines Verbrechens werden sollten um
Geistesgegenwart, dass wir jedenfalls Krach schlagen, jedenfalls Hilfe holen.
Und geben Welthungerhilfe, ein jeder in seinem Format, irgendwie, manchmal,
doch ja.
Das Gegenteil von Morden ist Leben schenken.
Kinder gebären und großziehen, alle Formen von Hegen und
Fürsorgen sind kostbar. Einem bedrückten, bedrängten Menschen
einen Tag schön machen ist Offenbarung. Doch unter Gefahr fürs
eigene Leben Bomben entschärfen - mehr Gutes kann nicht getan sein.
Jesus sagt es mal so: Niemand hat größere Liebe, als der, der
sein Leben lässt für seine Menschenfreunde, seine ihm ganz unbekannten
Menschengeschwister. Die jungen Soldaten, die in Afghanistan die Bomben aus
der Erde kratzten und dabei zu Tode kamen, sie gaben ihr Leben, damit andere
nicht sterben müssen.
Sie hätten noch so gern gelebt. Gerade
weil sie sehr am Leben hängen, wollten sie verhindern, dass Kinder und
Greise, Passanten verstümmelt werden und verbluten. Sie wollten wieder
gutmachen, was andere an Leid gesät hatten. Sie hatten so viel Fantasie
der Liebe, sie wollten Mordwaffen aus der Erde sieben, dass sie ihrer Bestimmung
wieder gerecht werde. Erde soll fruchtbar sein und Brot bringen, keinen
Sprengstoff. Die Soldaten säten Frieden mit ihrem Leben. Oder kommen
auf ein entschärftes Geschoss hundert neue? Ist alle Güte vergeblich?
Es ist eine Bitterkeit und Schwermut in der Menschheit, viele fühlen
sich des Lebensminimums an Sorglosigkeit beraubt, der Zuflucht zum Lachen.
Die Mütter, die Frauen der toten Soldaten werden von Traurigkeit
erfüllt sein, lange. Und doch sollen sie wissen, ihre geliebten Menschen
garantierten mit ihrem Dienst Hoffnung für die Welt. Sie ließen
die Dinge nicht laufen, sie bürgten für das Gute, indem sie es
taten.
Und wir, die Nächsten und
Übernächsten, Mitmenschen einfach, sind durch sie angestiftet,
auch unser eigenes Stück Rettung in die Welt zu setzen. Sie wären
umsonst gestorben, wenn alles verloren wäre. Aber sie bürgten für
Freude, Menschenliebe, Lachen, für eine bessere Welt. Sie wussten, was
wir von ihnen lernen, mit Worten von M. Walser: "Länder oder Menschen,
die Frieden untereinander haben wollen, dürfen sich doch nie und nimmermehr
gegenseitig gering schätzen, sondern haben das Bedürfnis und den
Wunsch und gewissermaßen auch den Zwang, sich zu achten." Sie achteten
die Fremden wie sich selbst. Wir wissen sie im Licht der Liebe, uns
voraus.