Traugott Giesen Kolumne 26.01.2002
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Vom Glück des
Gebrauchtwerdens
Die Mütter werden ruhig, wenn sie ihre
Säuglinge stillen. Man möchte fragen, wer stillt wen. Es ist wohl
ein Behagen, wenn die Milch fließt und das Kindlein sich satt nuckelt.
Schmerzlich für die Mutter, wenn das Kind die Brust verweigert. Es ist
ein Jammer, nicht gebraucht zu werden.
Und der Pastor hat so viel Ahnung von Schicksalen,
und keiner fragt. Und die Schuldnerberater werden zu spät aufgesucht
und Familientherapeutinnen bleiben auf abgesprochenen Terminen sitzen. Dagegen,
wie schön kocht es sich, wenn Gäste dem duftenden Mahl entgegengieren.
Wie locker unterrichtet es sich vor wissbegierigen Schülern. Wie schnell
von der Hand geht das Straßekehren, wenn einer sich mal bedankt fürs
viele Bücken. Oder der Lokführer, der an der Endstation aus dem
Fensterchen auf den Strom der Ausgestiegenen schaut - es war einigermaßen
freie Fahrt, war keine brenzlige Situation - wie zufrieden geht er gleich
nach Hause. Und der Zivildienstleistende hat bald seinen Job getan und noch
nie in seinem kurzen Leben so viel Anerkennung eingeheimst. "Gut, dass Sie
da sind", hat er oft gehört.
Viel ist schon nachgedacht worden, warum denn
Gott die Welt, speziell die Menschen, geschaffen habe. Vielleicht ist es
schlicht so, dass Gott gern gebraucht wird; er war ihm einfach zu leer, der
Laden ohne Kunden. Außerdem, was macht es denn für Spaß,
für sich allein zu schaffen. Selbst die Blumen blühen ja, um besucht
zu werden. Es ist ein Stoff in der Welt, dass wir uns gegenseitig begehren
und nützen sollen und können. Dass einer sich was von dir verspricht,
sei froh darüber. Natürlich will keiner ausgenutzt werden. Vor
allem die nassforsche Selbstverständlichkeit, mit der junge Leute Pension
Mama genießen, kann auf den Geist gehen und bedarf sanfter, klarer
Abhilfe. Aber etwas haben, was begehrenswert ist für andere,
bekömmlich, hilfreich, aufbauend, ist Glück. Dann hast du was in
die Waagschale zu geben. Am schönsten ist die Gabe, andere Begabungen
zu entdecken und sie brauchbar zu machen.
Es ist ein großer Wille in der Welt, dem
Leben zu nützen und das Seine beizutragen. Oft braucht nur einer das
Gefühl: Hier gehöre ich hin und von mir hängt das Gedeihen
mit ab. Es braucht oft nur Geduld der Wissenden und die Lust, mit dem andern
ein Gespann zu bilden; und sei es nur für eine Aktion.
Wenn man länger nicht das Gewohnte tun
durfte, können Pflichten wieder eine Perlenkette sein. Es tut gut, nach
dem Urlaub wieder an seinen Arbeitsplatz zu dürfen. Gut, wenn man bei
Krankheit vertreten wird und nicht einfach ersetzt. Wir sind, was wir tun
und lassen. Was wir erledigen, läuft so mit, und wehe, es ist zu viel,
was uns ungefragt aufgetragen wird. Das erledigt einen. Aber Fähigkeiten
haben, die erfreuen, die nützen, das kann einen in feierliche Stimmung
bringen. Und wenn du noch gebraucht wirst, sei dankbar. Und wenn du was tust,
das dir wichtig ist, bist du glücklich dran.