Traugott Giesen Kolumne 01.12.2001
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Nach und nach geht uns ein Licht
auf
"Über denen in Finsternis und Schatten
des Todes scheint es hell" - ist die Urverheißung des Glaubens. Alle
Religionen erwarten eine Wendung zum Besseren, unabhängig von den Bildern.
Ob die große Stille oder der Prachtharem am Horizont der Wünsche
steht, der tanzende Gott oder Himmel, der die Hölle verschluckt - alles
sind nur Blicke in einen beschlagenen Spiegel. Wir werden sehen, es ist für
uns gesorgt. Mehr gibt es nicht zu wissen.
Doch alle Religionen halten diese Kargheit schwer
aus. Und erzählen Geschichten vom Weg ins gelobte Himmelsland. Besonders
glücklich dran sind die Christen. Ihr Meister hat die Schatten des Todes
selbst bis auf die Knochen erfahren. "Hinabgestiegen in das Reich des Todes"
- heißt: Er hat die Toten mit dem Lebenskuss versehen, er hat die Seelen
aller Verstorbenen im Triumph als Riesenschleppe mitgezogen in die Gegenwart
Gottes.
Meist wird diese Vision für den jüngsten
Tag aufgespart, aber ich glaube, dass mein Erlöser lebt; "das Lebendige
in allem Fleisch ist er". Wenn der Leib dahinsinkt, fährt das Lebendige
aus dem Fleisch ins Licht der Liebe. Ich kann mir nicht die Toten denken
wie eine zum Meeresboden herabgesunkene kostbare Fracht, die erst dermaleinst
geborgen wird. Die starben, sind schon in Gott, im Glück, in der Freude,
der Fülle.
Wir Irdischen sind noch auf dem Weg, suchen
Auskommen, Umarmung, Achtung. Im explodierenden Gelicht werfen die Sachen
bizarre Muster; je mehr wir eilen, desto weniger kommen wir nach. Wo nehmen
wir den Stern her, der sagt, wo es lang geht? Woher das Licht, das uns
erleuchtet?
Jesus sagte mal: "Ihr seid das Licht der Welt".
"Kinder des Lichts" dürfen wir uns nennen. Wenn dir das zu hoch ist,
denk an einen guten Menschen, dem du viel zu verdanken hast. Oder an die,
die vielen ein Vorbild waren: Regine Hildebrandt eben oder John Lennon oder
Mutter Theresa. Auch Mutter oder Vater oder Oma haben dir ein leuchtendes
Leben gezeigt mit aller Schlichtheit und dem üblichen Schatten. Sie
hatten was von Jesus - die kindlich unüberwindliche Zähigkeit,
mit dem Aufgepackten zurechtzukommen. Bitte, glaub dich als Kind des
Lichts.
"Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh
mit ein, der Morgenstern (Gott, Christus) bescheinet auch deine Angst und
Pein" - dieses Lied singen sie jetzt Sonntag in den Kirchen. Du brauchst
ja nicht mitsingen, aber deine Seele bekommt Heimatklänge mit. Geh doch
mal bewusst hin und sie die eine rote Kerze an dem großen Kranz mit
den drei noch unentzündeten. Nimm es doch als Bild, dass auch in deiner
Seele noch es hell werden soll. Lass dich aufspannen zu Hoffnung. Vor dir
ist Erleuchtung, Gern-du-sein, neue Gaben der Befreundung. Achte dich, du
bist wer. An dir können andere das Kerzlein ihres Ichs entzünden.
Deine Achtung stellt sie auf den Leuchter. Dir einen wunderschönen
Advent.