Traugott Giesen Kolumne 03.11.2001
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Das Mögen hat seine Zeit
Es ist ein Geheimnis, warum wir den einen
mögen und den andern herzlich unsympathisch finden. Zuneigung und Abneigung
entstehen nicht willentlich. Darum sind sie auch nicht verwerflich. Hauptsache,
man hält ihnen Verfallszeit zugute, und weiß, gerade sie haben
ihre Zeit und sie gehen vorüber. Machen wir kein Prinzip daraus. Die
Stimmung kann sich wenden, eine beistehende oder abfällige Bemerkung,
schon kann sich neue Neigung bilden.
Die gleiche Wellenlänge, ähnlicher
Humor, gemeinsame Begeisterung, Tun zusammen, das hebt zueinander. Schon
ein helles Lachen kann neugierig machen, man ist auf den Menschen gespannt,
das schafft schon ein Gefälle zum Positiven. Man spürt sich
geis-tesverwandt oder mag sich gar gut riechen. Aber mit des Fühlens
Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten. So fröhlich-festlich
der Abend auch gewesen sein mag - sieht man sich am nächsten Morgen,
kann man zufrieden sein, wenn freundliches Auskommen gelingt.
Manche Berufe sind sehr abhängig von Sympathie,
diesem flüchtigen Stoff. Wem es in der Gastronomie nicht von Natur aus
leicht fällt, nett zu sein auch zu den Schwierigen, bei dem bleibt wenig
hängen. Wenigstens höflich sollten wir einander begegnen, wie auf
Kreuzfahrten, wo das Behagen aller von der Rücksicht aller abhängt.
Dass gleich und gleich sich gern gesellt, hilft, sich zwanglos zu gruppieren
- Hundestrand, Drachenflugstrand, Kinderstrand, FKK. Um Hobbys zentrierte
Reisen helfen der Sympathie auf.
Manches schlechte Gefühl ist Übertragung.
Ein mieser Verwandter, ein gehässiger Nachbar hat ein Schreckenbild
in unser Kindergedächtnis geätzt - unbewusst messen wir alle Fremden
daran. Zu den selbsterworbenen Mustern guter oder schlechter Menschen kommt
das Erfahrungs-Reservoir der Menschheit hinzu. Wir haben Bilder vom guten
Hirten und vom Hochstapler in uns. Und Heiratsschwindelnde haben immer
Konjunktur: Der verführerischen sanft-väterlichen Ausstrahlung
verfällt so manche Frau, der hilfesuchenden Kindfrau so mancher
Mann.
Gut, dass wir ein Stück weit Vernunft walten
lassen können. Auch wenn man sich privat nicht einladen würde,
gibt es doch eine neutrale Ebene. Wir haben alle was, das gleich ist; Passanten
wollen aneinander vorbei, der Sachzwang lässt sie aufeinander achten.
Und das gemeinsame Interesse, Geld zu verdienen, baut Brücken. Darum
gelingt überhaupt Geschäft und Arbeit, weil wir von unseren Neigungen
absehen können, nicht zuschlagen oder bedrängen müssen, sondern
ein Polster aus Höflichkeit zwischen uns bringen können.
Schön, miteinander zu können, ohne
es zu müssen; gut, bei schlechter Schwingung Abstand zu wahren. Aber
es kostet Kraft, die Erwartung des andern bewusst nicht zu erfüllen.
Wir sollten unser Nichtmögen entschärfen. Wir haben ja zum Glück
Sprache, so können wir Enttäuschung aussprechen und Härte
rausnehmen.