Traugott Giesen Kolumne 06.10.2001
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Fünfundzwanzig Jahre Pastor am
Ort
Als der Kirchenvorstand freundliche Worte für
den Jubilar gefunden hatte, ein Rosenbukett fürs Ehepaar überreicht
und warmer Beifall verklungen war, da klang das "Lobe den Herrn" des Chores
gewaltig. Und beim "der dich erhält, wie es dir selber gefällt,
hast du nicht dieses verspüret?", da überschwemmten mich doch die
Gefühle. Ein Vierteljahrhundert dem Dorf und seinen Gästen Pastor
sein, das ist mit den zehn Berliner Pfarrer-Jahren schon ein Lebenswerk.
Gut fünfhundert Menschen hatten Platz gefunden
in St. Severin. Die allermeisten waren über vierzig, fünfzig; Hiesige
waren nur um zehn Hände voll da. Den Altar hatte der Kirchwart liebevoll
routiniert geschmückt, der anschließende Pflaumenkuchen kam vom
Bäcker. Das war früher anders, als wache Frauen des Dorfes aus
ihren Gärten, von ihrem Acker den Altar schmückten, und die Gaben
und Selbstgebackenes dann mit viel Hurra für "Brot für die Welt"
verkauft wurde. Auch die Kinderkirche hatte ihre Zeit. Obwohl man die
Mütter und Väter von jetzt meist selbst mal konfirmiert und getraut
hat, lassen sie Kirche den Pastor machen. Es ist also auch Wehmut untergemischt,
wenn man zurückblickt. Aber viel mehr Grund zum Dank ist allemal. Auch
ist man nach 25 Jahren doch immer noch unterwegs, und was an Elan verblasst,
das kann an Tiefgang zugekommen sein, schön wärs.
Immer wieder ist es ein Wunder, wenn die Predigt
Feuer hat, Trost und was zum Standhalten. Eine Reihe von Gottesdienstbesuchern
kommt immer mal wieder, was auch gefördert wird von der Magie des
romanischen Kirchleins, nah am Watt gelegen auf dem höchsten Sylter
Geestkern. Es ist schon Gnade, wenn einem jeden Predigtsonntag wieder was
einfällt.
Man muß als Pastor ja sein Vertrauenswissen
immer wieder sich vorsagen, jeden Sonntag das Weltbild neu entwerfen, muß
als ein Christ mit seinem Glauben dafür einstehen, daß Hiersein
herrlich ist, trotz all dem Wahn.
Den Mitmenschen an den Schnittpunkten ihres
Lebenslaufes beistehen, die Feste bereden, die Erfahrungen summieren und
Gottes Segen erbitten - das ist pastorale Arbeit. Im Dorf kommt viel Seelsorge
hinzu im Vorübergehen, und wenn Ringreiter und Feuerwehr tanzen. Der
Pastor ist der Mitwisser über die Generationen, wenn er lang genug bleibt;
das verpflichtet, diesem und jener was unter vier Augen zu sagen, was kein
anderer sich traut. Hinzu kommt hier ein Hand in Hand mit den Gastgebern.
Wenn deren Betten voll sind, sind auch deren Kirchenbänke mitvergeben.
"Pastor beschwer dich nicht - wir kommen im Winter." Aber die meisten sakralen
Verabredungen hat ja der Herrgott sowieso außer Haus, die Priester
sollen den Altar hüten und fürs Dorf beten.
Ich hatte viel Glück; keine Amtshandlung
vergessen, keine Katastophen verursacht, vom Anvertrauten viel gelernt, durch
die täglichen Gespräche mit der klugen Frau auf dem Teppich geblieben,
hinreichend gesund. Und viel Dank der Gemeinde fürs
Mögen.