Traugott Giesen Kolumne 14.07.2001
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Der Geduldige ist besser ein
Starker
In Interviews, in denen Menschen ihr Inneres
hervorkehren sollen, ist die Frage unvermeidlich: Was halten sie für
Ihre Schwäche? Öfter als jede andere Antwort, so habe ich das
Gefühl, kommt: "Ungeduld". Das kann daran liegen, dass wir diesen Mangel
für üblich und verzeihlich halten. Tatsächlich haben wir es
eiliger denn je und Ungeduld hat ja das Aroma der eiligen Erfolgreichen.
Und doch - was brauchen wir dringender als Geduld mit uns selbst, mit dem
Nächsten und mit den undurchschaubaren Fügungen Gottes? Wie finden
wir hin zu wachem Stillehalten auch bei Kränkung und unverständlichem
Verhalten, wie geben wir Verständnis-Kredit, vielleicht kriegt sich
der andere ja wieder ein? Erst mal gewähre dir selbst Güte. Du
bist auch nur ein schwacher Mensch von schwachen Eltern, und doch gut genug
fürs Hiersein. Bitte, fall nicht in Selbsthass über dein Versagen;
es kommt - jede Wette - durch Ungeduld zu Stande. Aber du musst auch nicht
der große Gewinner sein, der Nie-Enttäuscher und Durchreißer
- andere sind auch gut. Mit anderen bist du besser. Hör auf sie. Keiner
will dir Böses; verwirf deine Theorien, man verschwöre sich gegen
dich. Magst du dich, dann hast du auch Gefallen am Wohlsein anderer. Vielleicht
bist du schon auf den Geschmack gekommen, Spaß zu haben daran, anderer
Glück zu fördern. Jedenfalls "muß man das Gute tun, damit
es in der Welt ist." Tun wir Gutes ohne Hast - ein Traumbild dafür ist
das Wirken im Garten - die Blumen blühen nicht schneller, wenn man sie
zupft. Aber ihr zu Luft und Sonne und Wasser verhelfen, das fördert.
Und was brauchen wir Menschen? Unbedrängt müssen wir uns zu erkennen
geben können. Wir brauchen Vertrauen in die Geduld des Nächsten,
dass er uns nicht abpfeift sondern uns fördert, und hilft, uns zu
erklären. Auch sollten wir nicht lieben "mit der Uhr im Herzen" (Robert
Musil).
Wichtig, der Zeit Zeit zu lassen. Stürzen
wir aus Trubel und landen im Krankenhaus, müssen wir vor allem Geduld
lernen, darum heißt der Leidende ja auch Patient, also Geduldiger.
Alle kommen dran schön der Reihe nach, und wer unangenehm die Schwestern
treibt, wird um keinen Gran eher, geschweige denn liebevoller versorgt. Auch
die Menschen im Service müssen, um zu überleben, die unwirschen
Drängler herb behandeln. Wie kann man auch speisen wollen im
Halbstundentakt.
Meine nicht, Geduld bremse deine Initiative.
Sieh doch die Dinge von mehreren Seiten an. Und vor allem die
gefühlsbetonten Abneigungen lerne beherrschen. Du musst dein Gegenüber
nicht lieben, aber lass ihm Platz auch für seine Eigenwilligkeiten;
keine hat sich selbst geschaffen. Nimm seine Sonderbarkeit nicht als Angriff
auf dich, geh drüber hinweg. Feindlichkeiten überhören ist
friedenschaffende Geduld.
Einer der schönsten Titel für Gott
hat Paulus gefunden: "Der Gott der Geduld und des Trostes" - er sieht uns
die Sünden nach, damit wir uns bessern sollen (Weisheit 11,23).