Traugott Giesen Kolumne 30.06.2001
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Bitte, denk gut von dir
Man muss unter sich gucken, das erhebt - so
ein gar nicht kluger Spruch von früher. Als tröste mich im Ernst,
wenn es dem neben mir noch schlechter geht.
Ja, in der Schule krallten wir uns an den Misserfolg
der andern. Wir feixten, wenn der Blödel die Strafarbeit aufbekam, aber
meist waren wir doch selbst dran. Zuhause gab es vielleicht mildernde
Umstände, weil "die ganze Klasse" die Arbeit verhauen hatte. Doch erwachsen,
suchen wir bessere Kraftquellen als die schlechten Nachrichten über
andere.
Es gibt genug gute Gründe, freundlich von
dir zu denken. Du kannst was, bist wer, hast Wunschkraft, Heilkraft, Sympathie.
Du kannst nützen, kannst was bewegen, kannst dir es günstig richten
und anderen auch. Vielleicht bist du noch nicht geschickt genug; musst die
Nase für Vorteile (ohne anderen zu schaden) noch entwickeln? Sei klug
und ohne falsch, sagt Jesus. Und beharrlich; also bleib dran, wenn du einen
Zipfel Glück gefasst hast.
Geld genug, Jugend genug, Gesundheit genug -
schön und gut. Aber ob du deine Geldmittel an deine Wünsche angleichst,
oder deine Wünsche an dein Geld, bleibt immer die Frage. Und mit Hoffnung
bleibt man jung beim Altwerden. Und entscheidend ist doch, was man mit Gesundheit
oder Krankheit macht. Geld, Jugend, Gesundheit - machen nur vier Prozent
des Wohlbefindens aus; selbst kombiniert machen diese Gaben nur höchstens
15 Prozent des Glücksempfindens - sagt eine neueste Studie.
Entscheidend ist, dass du gut von dir denkst.
Das geht sicher nicht, wenn mich alle hassen - oder ich muss einen herrischen
Gott auf meiner Seite wissen, der dann alle andern bestraft. Tatsächlich
ist diese Verrücktheit so selten nicht: Ich allein als der Gute, die
andern schließen sich vom Gutsein aus, eben damit, dass sie mich nicht
ehren - dann ist nur ein Schritt, dass ich mich zum Rächer Gottes berufen
wähne. Doch, denk gut von dir; "lieber Gott, den Ganzen, das Ganze und
deinen Nächsten und dich selbst", sagt die Bibel. Also auch dich zu
lieben ist dir aufgegeben, kümmere dich um dich, sorg gut für dich.
Nur dann kannst du auch für andere da sein. Denk gut; leg es für
dich zurecht, allerdings ohne die Tatsachen zu verdrehen, sonst wird alles
fürchterlich. Auf den Gedanken, alle würden sich gegen dich
verschwören, auf den kommst du nicht; und wenn doch, dann diesmal zum
letzten Mal. Du bist gut genug, das sollst du wissen. Ob genau an diesem
Ort, dieser Arbeit, mit diesen Menschen, das musst du immer wieder ausloten.
Entwickle ein Gefühl dafür, zu merken, ob du gerade jetzt und hier
richtig bist.
Wir haben kein Recht auf genau diese Arbeit,
diese Nähe, kein Recht, gegrüßt zu werden, keiner muss genau
dich lieben. Du auch nicht ihn. Es ist doch ein Wunder, dass so viel gelingt.
Sieh auf dich, vergleich dich nicht so oft mit anderen. Und wenn, dann nimm
sie als Muntermacher: Können sie das, dann ist es nicht
unmöglich.