Traugott Giesen Kolumne 09.06.2001
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Sinnvolle Zufälle - gönn' dir den
Glauben
Es war längst fällig, was mir geschah
- ich habe das schon oft gemerkt. Als mir in Paris die Brieftasche geklaut
wurde, kam nach Gefühlen ohnmächtigen Zorns der Wunsch, es möge
Not gelindert worden sein. Einer in Druck holt sich was weg von einem, der
anscheinend Überfluss hat. Diese erzwungene ausgleichende Gerechtigkeit
widerfährt Prominenten über die Maßen. Sie schöpfen
viel zu viel der Ehre ab, aber das hat seinen Preis: Sie werden belagert
von Fotografen, sie müssen schon einen eigenen Wald besitzen, um
ungestört spazieren zu können. Auch der Crash mit dem Auto, war
er nicht längst fällig? Bei dieser Sorglosigkeit, dieser deiner
drängenden Fahrweise? Nur finanziellen Schaden und einen gehörigen
Schrecken hat er dich gekostet. Aber du wirst gelernt haben. Viel zitternder
Dank war bei dir. Und du hast versprochen, von jetzt an nie mehr als zehn
Prozent zu schnell.
Und die Krankheit? Warum solltest du ohne
Krankenhaus bleiben, Jahrzehnte? Nimm deine Beschädigung als Schuss
vor den Bug. Du bist doch auch aus zerbrechlichem Material, das eben
ermüdet. Überfordere dich nicht mehr, kehre in deine Grenzen ein,
lerne mit deinen Kräften haushalten. Enttäusche, sage: Nein, das
kann ich nicht mehr. Da sollen Jüngere ran. Sollte deine Krankheit gerade
recht gekommen sein, damit dir Schlimmeres erspart bleibt?
Lass dir glückliche Fügungen geschehen.
Lass dir zum Guten dienen, was ist. Du hast beim Aufräumen die Telefonnummer
des Freundes gefunden, dem du den geliehenen Betrag längst zurückgeben
wolltest. Jetzt tu es. Du bist durch eine entfernte Verwandte auf dein
Familiengeheimnis gestoßen. Jetzt sieh dein Leben hellsichtiger. Und
die Verachtungen mache gut.
Menschen haben den Zug verpasst, der später
entgleiste; buchten in letzter Minute um und entgingen so dem Absturz. Die
Welt ist voller Lichter und Geheimnisse, voll Schicksal und Notwendigkeit.
Vieles lässt sich planen, aber es kommt, wie es kommt. Und du bist
behütet. Oder beladen und hast Schmerz. Und betest wieder um Kraft unter
die Flügel.
Wie zwei Liebende sich fanden, davon erzählen
die beiden immer wieder. Dieses Aufeinanderzu zweier Lebensläufe scheint
von langer Hand geplant. Sie werden aneinander gerückt und wieder
voneinander weggespült und dann wieder in eine Form gepresst und wieder
freigelassen und wieder zueinanderhin geleitet - da scheinen einem gute
Mächte am Werk.
Aber wir verderben auch den Lauf der Welt. Wie
wir unser Leben verpfuschen, wie die Tragödie von uns ausgeht,
genährt, unterhalten wird - das sehen wir scharfsichtiger bei anderen.
Dass jeder Verrückte ein von jemand Verrücktgemachter ist, das
können wir an den Krankengeschichten von Schwerverbrechern ablesen.
Wir sind verantwortlich, als wären wir allein. Und wissen doch von der
Gnade des Gelingens, als wäre Gott allein zuständig. Setz darauf,
dass die Dinge ganz allein um deinetwillen passieren. Und handel als hinge
alles, alles davon ab.