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Traugott Giesen Kolumne 24.2.2001 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg

Auch Christen meditieren

Dass wir uns plötzlich getragen sehen wie eine Feder, die aller Schwere los im Wind fliegt, das kann man nicht machen. Das kann ich erbitten und vorbereiten mit Zurruhekommen, ich sage nicht: Entichung. Ja, auch von mir selbst befreit werden, wäre schön - und in Träumen, in Liebesumarmung, im Eingehülltsein von grosser Kunst können wir von uns weggetragen sein. Von Zeit zu Zeit ist es wichtig, die Welt auszuschliessen. Aber dann müssen wir bald die Rückreise antreten, müssen zulassen, dass die Welt mit grosser Gewalt wieder zurückflutet und wir zur Stelle sind. Wir sind doch in ein aktives Leben gestellt. Jesus sagt: "Der Acker Gottes ist die Welt", und wir sind die Mitarbeiter; sind zuständig, dass gute Saat gut wächst und das Unkraut so in Schach gehalten wird. Will sagen - ich sehe Meditation als bei der Arbeit sein, beteiligt an der guten Schöpfung. Schon das Urpaar der Menschheit hatte den Auftrag, den Garten Eden "zu bebauen und zu bewahren" (1. Mose 2, 15). Wir sind von guten Mächten wunderbar geborgen, mitten bei der Arbeit, beim Kochen und Reden, auch beim Fegen des Waldes.

Ja, von Zeit zu Zeit die Welt auszuschliessen ist wichtig. Jesus ging vierzig Tage in die Wüste und einmal mit seinen Jüngern auf den Berg Tabor. Dort sahen diese ihren Heiland im Gespräch mit Mose und Elia - und wollten dort oben Hütten bauen. Aber Jesus verweigert den Ausstieg, geht wieder mit ihnen zu Tal an die Arbeit.

Also, wir dürfen nur zum Himmel reisen und uns aus der Wirklichkeit abmelden für kurze Zeit, um dann den Alltag wieder aufzunehmen. Darin kommt Gott alltäglich, also jenseits des Weihrauchs. Ja, gut sind Übungen, um ruhig zu werden. Dorothee Sölle sagt es so: "Wenn ich ganz still bin, kann ich von meinem Bett aus das Meer rauschen hören. Es genügt aber nicht, ganz still zu sein. Ich muss auch meine Gedanken vom Land abziehen."

Es genügt nicht, die Gedanken vom Festland abzuziehen. Ich muss auch das Atmen dem Meer anpassen und Händen und Füssen die Ungeduld nehmen. Andere Religionen haben ganze Systeme, sich abzukehren von der Sinnenwelt und durch Erlöschen des Lebensdurstes die vielschichtige Wirklichkeit zu überwinden. Gegen Leidenschaft und Illusion soll Gleichmütigkeit und Erkenntnis aufgeboten werden. Auch die Kirche kennt Exerzitien. Durch die Abfolge von Schweigen, Beten, Tätigsein, Betrachten, Bedenken von Texten und Körperübungen, durch Wechsel von Alleinsein und Gemeinschaft, Arbeit und Gottesdienst sollen wir unsere Ganzheitlichkeit wiederfinden, aber nicht durch Amputieren unserer Wünsche.

Bei der Ökumenischen Gemeinschaft Taizé bei Cluny, findet man eine herrliche Mischung von Meditation und Aktion, Gebet und Gespräch, Schweigen und Gesang. Auch ihrer Kirche in der Nähe können sie mal wieder was abfordern.


 




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