Traugott Giesen Kolumne
13.01.2001 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Wir dürfen glücklich sein
Die helle Freude schon beim Kindchen,
wenn ein Augenpaar über der Tischkante auf- und abtaucht. Eins braucht
zum Glück den andern, der mitmacht. Keiner ist seines eigenen Glückes
Schmied, niemand ist eine Insel. Robert Musil sagt: �In Wahrheit ist das
persönliche Glück nur insofern in sich abgeschlossen, wie es
ein Stein in der Mauer oder ein Tropfen in einem Fluss ist, durch den die
Kräfte und Spannungen des Ganzen gehen. Was ein Mensch tut und empfindet,
ist geringfügig im Vergleich mit allem, wovon er voraussetzen muss,
dass es andere für ihn in ordentlicher Weise tun und empfinden. Kein
Mensch lebt nur sein eigenes Gleichgewicht, sondern jeder stützt sich
auf das der Schichten, die ihn umfassen. Und so spielt in die kleine Lustfabrik
der Person ein höchst verwickelter Kredit� des guten Ganzen hinein.
Schön die Bestimmung: kleine Lustfabrik
Mensch. Also nicht Diener, Opfer, Verzichter soll ich sein. Wir dürfen
glücklich sein. Wünschen in diese Richtung ist uns mitgegeben
zur Orientierung. Darum achten die Christen auch aufs Loben und Danken.
Sie glauben an einen Schöpfer, der glückliche Menschen will.
Und der andauernd in seine Schöpfung einspeist die Botenstoffe für
Glück � die Sonne, das Serotonin, die schönen Gefühle beim
Umarmen, die Freude am Schenken, das Verliebtsein ins Gelingen.
Gut, dass wir einander fördern können.
Wir luchsen uns ja auch Glück ab. Jedes Fussballspiel nimmt davon
seinen Reiz, dass wir zugucken, wie geschickt die einen den andern den
Ball abnehmen. Taschendiebe, Herzendiebe, kleine Luder und grosse Ganoven
wollen ihr Glück machen, indem sie andere bestehlen. Aber die meisten
Mitmenschen haben genug Begabung, um damit andern gut zu sein. Und dann
selber davon gut zu haben. Das Bild ist doch stark: Unser Glück sitzt
wie ein Stein in einer Mauer � die Spannung der ganzen Mauer hält
den Stein, und der hält die Mauer mit. Mir ab und zu ins Bewusstsein
heben, wie andere mir zum Glück helfen, das wäre gut. Es ist
doch alles eine Standortfrage, eine Frage der rechten Zeit und der passenden
Mitarbeiter, der Schläfrigkeit der Mitbewerber und der Gesundheit
und der Veranlagung und der richtigen Befreundung und des Glaubens.
Glück ist
Es gibt Glückssträhnen und Pechserien,
aber dem Rat des Jesus folgen � sei klug und ohne falsch � bringt dir den
Frieden innen. Dann wirst du deine eigenen Empfindungen geniessen können
� meist jedenfalls. Und erzieh deine Seele etwas. Gewöhn ihr Missgunst
ab und lehre sie, mehr zu bewundern. Dann erlebst du: Hiersein ist herrlich,
nicht immer, nicht jederzeit. Aber es gibt viel zu feiern und zu geniessen,
zu bestaunen. Allein, wie oft du aufatmest und einen Not-Zusammenhang weisst!
In dir ist ein Gehaltensein, von guten Mächten wunderbar geborgen.
Du wirst dich behaupten.