Traugott Giesen Kolumne 25.11.2000 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Friedhof - ein guter Ort
Mal wieder zum Friedhof gehen, diesem
besonderen Stück Erde. Mit Mauern umfriedet, bebaut und auch wieder
nicht, bewachsen, aber sehr ordentlich, Skulpturen und Schilder, von weit
hergeholte Steine, behauen, beschriftet. Das Wichtigste ist unsichtbar,
ist unter der Erde: Die Leichname der Toten, wieder zu Erde werdend oder
schon geworden.
Und Namen in Goldschrift, oft paarweise,
auf dem Land noch für die ganze Familie; Generationen haben sich hier
abgelagert. Grabmale spiegeln erfolgreiches Wirken, manche notieren die
irdischen Titel. Andere Grabsteine, schwarz und einheitlich, gereiht wie
Karteien, bezeugen bescheidene Leben.
Und Zeichen sind gesetzt: Kreuze als Pluszeichen
� auf immer zugehörig zu einem Ganzen; Herzen, Bäume, Sonnen
bezeugen den Glauben an ein Weiter und Darüberhinaus. Ein Geheimzeichen
ist der Schmetterling: Der Tod gebiert Verwandlung.
Frische Gräber sind mit Kränzen
und Sträussen bedeckt, die Schleifen beschriftet mit: �Immer Dein�
oder �In grosser Trauer�. Nach Kurzem wird der Schmuck der Beerdigung abgeräumt,
eine Dauerbepflanzung besorgt der Gärtner, gut für alle Jahreszeiten.
Manche Gräber sind liebevoll gepflegt.
Ihnen merkt man an, dass hier Zwiesprache zwischen Lebenden und Toten gehalten
wird. Gräber von Kindern erhalten manchmal noch neues Spielzeug oder
ein farbenfrohes Windspiel, was die Wehmut nicht kleiner macht.
Viele Gräber sind in diesen Tagen
fein gemacht. Tannengrün wird aufgelegt für den Winter, wohl
als wärmende Decke. Manche Gräber sind schon abgelaufen, aber
haben auf Kosten des Friedhofes Bestandsschutz, bis neue �Nutzungsberechtigte�
anders darüber verfügen.
Es ist wohl auch ein Platz da für
�Urnen unter dem grünen Rasen�, dazu ein Gedenkstein für die
Namenlosen. So soll das Bedürfnis der Hinterbliebenen, doch ein persönliches
Zeichen zu setzten, ins Allgemeingültige abgelenkt werden. Immer wieder
legen Menschen Blumen auf den Rasen, gerade dahin, wo sie die Handvoll
Asche ihres Verstorbenen vermuten. Ein gutes Zeichen, dass uns schwer aushaltbar
ist, sang- und klanglos Nächste verschwinden zu sehen. Da schiesst
einem schon ins Gedächtnis, ob man selbst auch so folgenlos, spurenlos,
so ungenannt davon muss, so rasch entsorgt.
Wir wollen doch unverlierbar sein, irgendeinem,
wenigstens Gott. �Fürchte dich nicht, spricht Gott, ich habe dich
vor dem Nichtsein erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen.
Du bist mein� ist noch immer der meistgewünschte Taufspruch. Dies
Ewiggültigsein steht in scharfem Kontrast zu unserm schnellen Vergessen.
Ein wenig über das Ende hinaus noch
unter den Lebenden zu weilen, wenigstens im Gedenken einiger, das ist ein
sehr menschlicher Wunsch. Ein Grab kann erzählen von Dank und den
leuchtenden Tagen, ein Gang über den Friedhof hilft, mit Lust noch
leben zu wollen, solang wir noch dürfen.