Traugott Giesen Kolumne 22.07.2000 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Was Predigten zu sagen haben
Nur wo eine Beute in Aussicht gestellt wird, kann man gut zuhören.
Welche Beute aber verspricht die Predigt? Das alte Wort von der Treue Gottes
soll hinübersetzen in heutiges Leben, Sinn soll rausspringen, wozu
wir hier auf dem Weg sind. Wir wollen was abbekommen von den Energiequellen
Glaube, Liebe, Hoffnung.
Die vor uns an Gott glaubten haben Bericht hinterlassen, auch Alarm,
Jauchzen, Gebote und lockende Gleichnisse. Die Geschichte vom verlorenen
Sohn ist eine solche Geschichte des Jesus, bei der man sich selbst an die
Hand nach Haus genommen fühlt, Lukas-Evangelium 15. Kapitel � und
wer keine Bibel zur Hand hat, lasse alles liegen, um sich eine zu erwerben.
Nachrichten vom glückenden Leben werden erst wahr, wenn sich jemand
die Mühe macht, sie aus dem Buchdasein in eine andere Wirklichkeit
zu übersetzen (U. Johnson). Das ist mehr als das Beleuchten unserer
Sackgassen, nicht Belehrung sondern Trost, schwebend vorgebracht ohne bestimmende
Gewalt, eher wie auf Schwingen gehoben. Der Philosoph Ernst Bloch wurde
zu seinem letzen, dem 92. Geburtstag gefragt: �So viel �Prinzip Hoffnung�
haben Sie immer angesagt, und wie denken sie in Richtung Sterben?� Da sog
er bedächtig an seiner Pfeife und verkündete: �Neugier, Jagdtrieb,
Flügelschlag.� �
Predigt muss Skeptizismus und Poesie vereinen (nach G. Dàvila):
Skeptizismus, um die Götzen zu strangulieren; Poesie, um die Seelen
zu verführen. Die falschen Götter machen irre: Nur das Teure
bringt zur Andacht, arme Reiche sprechen mit dem Geld; das ewige Bemühen,
aus allem seinen Vorteil zu ziehen. Und Poesie für die Seele, die
sich ja tatsächlich von Worten ernährt. Predigt möge einflössen:
Gut, dass du da bist; gut, dass du Du bist; gut, dass du hier und jetzt
bist. Wenn man nur eine Priese Mut empfinge, doch sich anzunehmen als schöne
Erfindung, und darum auch Spass bekommt anderen beizubringen, dass auch
sie sich geliebt und gebraucht finden.
Predigten sollten nicht verblasste Theologieprobleme mit Rednertalent
dekorieren. Hat denn einer was davon, das �geboren von der Jungfrau Maria�
unbiologisch zu deuten? Die Vorfahren im Glauben fanden das Symbol Jungfrau,
weil sie es brauchten. Sie brauchten es, weil sie beides zusammendenken
wollten: Jesus, Sohn Gottes und Menschenkind. Heute können wir �den
väterlich-mütterlichen Lebensgrund� für die Erschaffung
des Kindes zuständig glauben, inklusiv der leiblichen Eltern als den
ersten Mitarbeitern Gottes. Darum brauchen wir das Symbol Jungfrau Maria
nicht mehr sehr. Wichtig ist, unsere Gotteskindschaft einander in die Seele
zu streicheln.
Schmerzlich ist unsere Sprachlosigkeit für Angelegenheiten der
Liebe und des Heiligen. �Wie könnte sie, ohne zu stocken, noch �gepriesen�
sagen, da sie ein Dutzend Mal am Tag �ausgepreist� hört und selber
sagt� (B. Strauss). Wie können wir uns Sehnsucht machen für grosse
Gefühle, die uns bergen und gut machen? Predigten leisten Schweres:
Sie entdecken, was wir ohnehin wissen; was wir aber nicht in uns einlassen
wollen, weil wir uns sonst ändern müssten. Mal wieder eine gute
Predigt hören wär schon gut.