Traugott Giesen Kolumne 11.03.2000 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Mal eben in die Sonne
Doch, Sonne ist ein Menschenrecht. Gefängnis ist auch darum so
schlimm, weil man nicht jederzeit raus kann ins Licht. Und wer ans Bett
gefesselt ist, denkt schwermütig hin zu denen mit Platz an der Sonne.
Und viele auf Arbeit fühlen sich fast wie unter Tage, ständig
bei künstlicher Beleuchtung und unter Gebläse oder am Computer,
vor sich Mattscheibe und innen bald auch.
Wochenlang gab es hier grauen Himmel und Regen in Kübeln. Ein
Tief zog das andere nach sich. Aber im Süden plustert sich lange schon
ein Hoch. Über Mittelmeer und Alpen scheint die Sonne in ihrer ganzen
Pracht. Da muss man doch hin. Wenn irgendmöglich pack ein Köfferchen
voll und sag für eine Woche tschüs in Richtung Süden.
Zum Beispiel Mallorca, Hin und Zurück mit sauberem Bett � alles
andere findet sich fürs gleiche Geld, wie man Zuhause lebt. Du hältst
dein Gesicht der Sonne hin und alle Schatten fallen hinter dich. Du sitzt
auf einer Bank am belebten Platz, neben dir Palmen � allein schon das Rauschen
ihrer langen Wedel, gemischt mit Kinderhallo und Verkehrsbrodeln von etwas
weiter weg � und du stehst nicht im Stau, du musst nichts, darfst einfach
da sein und dich besonnen lassen � dein Herz geht dir auf vor Freude. Du
schaust den Hunden nach, den Passanten, den Müttern mit Babys. Und
bemerkst die zähen Alten, wie sie die Sonne einsaugen, als sei es
ihre bevorzugte Nahrung.
Oder du suchst dir Strand, legst was unter und döst weg, die Wellen
plätschern, sie schaukeln dich in einer Sonnenbarke. Deine Haut ist
gestreichelt von Wind und Licht. Du fühlst dich wohl. Dies Behagen
ist ein Geschenk Gottes � oder des Lebens � an dich, gerade dich, der du
aufblühst unter dieser Bejahekraft.
�Wär nicht das Auge sonnenhaft, nie könnte es die Sonne schauen�
� sagte Goethe und wollte uns belehren über unser Geschöpfsein
vom Himmel her. Wir wiedererkennen am leuchtenden Gestirn unser inneres
Leuchten, sind jedenfalls nicht Erdlinge sondern Kinder des Lichtes. Kaiser
Alexander fragte den Philosophen Diogenes, ob dieser einen Wunsch habe.
Und der blinzelte und sprach: �Geh mir aus der Sonne.� Recht gibt man dem
Weisen aus der Tonne, wenn man nach viel dunklen Tagen hingegossen ist
dem Glück der Helle. Dann will man nichts als Sonne und lässt
sogar das Handy weg.
Eine Woche sich losreissen von allem Müssen, aller Düsternis;
und Sonne von der Haut bis in die Seele strömen lassen � schön
für den, der sich eben gönnen kann. Jedenfalls sollten wir wenigstens
die Sonnenblinker aufnehmen, die sich hier ins Nördliche verirren.
Sollten, wenn irgendmöglich, sofort ins Freie treten oder das Fenster
öffnen. Jeder Sonnenstrahl versichert: Gut, dass du da bist.