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Keitumer Predigten   Traugott Giesen   05.12.1999

Die Weltdeutung des neuen Orgelprospektes.

Der Kirchenvorstand wünschte und bekam eine Orgel, die redet, auch wenn sie nicht gespielt wird. Und die das klingende Spiel noch bereichert durch Anschauung. Nun ist der Schmuck noch mehr als ein schönes Kleid geworden. Zu sehen gibt es eine Weltdeutung.
Aber erzählen wir uns erst mal, was wir sehen: Da sind zwei Bäume oder mehr, Palmen und Weinstock, dazu Früchte mindestens drei Sorten � Weintrauben, 22 üppige blaue Trauben mit dicken Beeren, goldene Äpfel, Feigen. In den Bäumen sitzen Vögel, ein Rabe ist dabei, der Seelenvogel. Ein Hirte schwebt oben links, eine wuchtige Schlange ringelt sich am rechten Baum. Die Bäume wachsen in der Mitte zu einer Krone zusammen. Die Bäume umranken die drei Pfeifentürme in der Höhe und der Breite. Der Organist sitzt unter dem Dach der Krone beider Bäume. Und über seinem Haupt auch der Regenbogen und eine Taube, die pfeilgerade sich auf den Organisten senkt.
Schon die schmuckvolle Rahmung der Orgel ist ein Fest für die Augen. Es hat was von einem Bühnenvorhang � könnte nicht das ganze Bild auf Stoff gebannt sein, und mit Glockenspiel zur Seite gerückt werden für eine Zauberflöten-Aufführung zum Beispiel. � Dann wäre das Bild wie Eingang ins verwunschene Reich der Feen und Geister.
Als Orgelvorhang ist das Bild erst recht mehr als schön anzusehen. Es zeigt so was wie Eingang ins Paradies, ja es ist Einlaß ins Paradies. Wir sehen Symbole, die sich uns mit Zusammenhalt und Glück verbinden. �
Die Bäume meinen mehr als üppige Natur, als schönes Dekor. Sie bilden den Rahmen des Paradieses � mußten wir es auch verlassen � uns wurde mitgegeben die Musik des Paradieses. Und hören wir sie, werden wir wieder zum Ursprung hingeleitet.
Große Musik ist wie der Herzton Gottes. Weil sie ertönt, ist ein väterlich-mütterlicher Lebensgrund. Beglückende Musik ist klingender Zusammenhalt � ist Vorklang und Nachhall von Zusammengehören. Und fühltest du dich auch verloren, Mozarts Musik macht dich wie neugeboren � zieht dich aus der Angst in guten Zusammenhang.
Der Orgelvorhang zeigt guten Zusammenhang. � Die Bäume voller Früchte, die Schlange gehört dazu, die Bäume wachsen zusammen.
Tiefergreifend, jetzt: die Pforten des Paradieses bilden zwei verschiedene Bäume � wie die für uns zusammengehören macht unser Leben wichtig.
Dabei klingen uns Christen natürlich die biblischen Verse nach:
1. Mose 2, 9. Und Gott der Herr ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen.
3, 22f Als sie aber gegessen hatten von dem Baum der Erkenntnis, sprach Gott: Der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun, daß er nicht noch ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens, und esse und lebe ewig! und wies ihn der Herrgott aus dem Garten Eden, daß er die Erde bebaute, von der er genommen war.
Das klingt so: Wir Menschen sind vertrieben aus dem Garten eines bewußtlosen Glückes, wie es die Tiere haben. Die Menschen mußten kennenlernen das Wissen von Gut und Böse und das Wissen vom Tod. Ist das nun Strafe? Es kann so sein � das Wissen um Gut und Böse macht ja mein Tun so gewichtig. Ich kann mutwillig schaden, ich kann, um zu triumphieren den andern demütigen. Ich kann Schuld in Kauf nehmen, um Gutes zu bewirken. � All das wollen wir nicht, wären dann gern wieder Kind, nicht zuständig � wir sehen unser Schuldsein als Last. Unglück anrichten ist Last.
Und wir sehen unser Sterbenmüssen als Qual. Ungeheuerlich unser Vorsorgen, Raffen, Sicherheiten zulegen. Das alles ist doch ein Verbarrikadieren gegen den Tod. Gern wären wir pflanzenhaft in den Naturkreislauf gebettet und wüßten nichts vom Enden hier.
Aber die Musik und die Lebensgeschichte des Jesus führt uns wieder, immer wieder an die Pforten des Paradieses � vor die zwei Bäume: den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis.
Der eine mit herrlichen Früchten der Freude und des Trostes � der andere mit Früchten der Liebe und der Weisheit, der Schlange, dem Chaos abgerungen. Und wir können versöhnt denken von Gut und Böse und vom Tod.
Verflochten sind die Bäume. Das zu wissen, ist rettend. Wir Menschen bekommen vom Baum des Lebens viel ab, wenn wir dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse auch gerecht werden. Wenn wir das Goldene und das Böse in uns aushalten. Mächtig wälzt sich durch unsere Erkenntnis die braune Schlange: Wir können singen und keifen, denken und bleiern wiederholen; fördern und vereiteln, ein Zuhause für Verschiedene beschaffen und sortieren und abweisen, wählen und jede Gelegenheit ergreifen, verhandeln und schnappen, gebückt sein vor Freundlichkeit und brettgerade sturheil aus Herrischsein. Goldne Früchte und im Staub kriechende Schlange � das sind wir. Und wenn wir das aushalten, ertragen, mit einander bestehen, dann bringt uns der Lebensbaum die Trauben des Glückes.
Musik lockt uns in dies Vertrauen, wir können doch Anfänge von Paradies hier finden � immer wieder. Nach immer wieder neuen Verlusten und Austreibungen führt uns Musik vor die neue Chance. Erkenne, daß Leben und Erkenntnis verflochten sind. Ich kann mit meinen durchwachsenen Anlagen zum bösguten, gutbösen Menschen goldene Früchte schenken und empfangen. �
Verflochten soll mir Leben und Erkenntnis sein: Immer wieder Hiersein ist herrlich � Trauben die Fülle � und Auftrag, Verantwortung, mit in der Pflicht, die Erde zu bebauen und zu bewahren und das Dunkle, das Zerstörerische in mir und in der Welt zu bändigen.
Dreifach ist das Dach aus Segen über dem, der uns die Lockmusik ins Paradies spielt:
Da ist die Krone, geflochten aus Zweigen von Leben und Erkennen. � Hiersein und Tun, Leben und Erkennen soll verknüpft sein aus der heilenden Macht des Vertrauens.
Und das zweite Symbol für Zusammenhalt: der Regenbogen, ja in die Wolken gestellt als Versprechen � es soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. � Wie erlebt � nach dem Orkan jetzt Windstille, Zeit, die Schäden zu reparieren.
Und das dritte Schutzelement: Die Taube des Heiligen Geistes über dir Mensch � Ströme von geistlichen Kräften fließen dir zu � sieh dich als Ort guter Einfälle, du unserer Schwachheit aufhelfend, du berufen: Mit dir reißt ein Stück Himmel auf. Und dann �
Manchmal stehen wir auf, stehen zur Auferstehung auf, mitten am Tage, mit unserem lebendigen Haar, mit unserer atmenden Haut.
Vor uns eine Fata Morgana von Palmen, mit Früchten die Fülle und weidender Schlange. In uns das Gewohnte. Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken, Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus. Dennoch leicht, unverwundbar, geordnet in geheimnisvolle Ordnung, vorweggenommen in ein Haus aus Licht � (angelehnt an M. L. Kaschnitz).
Die Orgel, gespielt von geistvollen Künstlern, bildet Paradiesisches uns ein, Zusammenhalt, Zugehören auch durch Einladung zum Mitsingen. Das Dach der Bäume zeigt uns unser Beschenktsein mit Leben und Erkenntnis, der Regenbogen ist da und Heiliger Geist, übrigens auch überm Predigenden hier unterm Kanzeldeckel eine Taube.
Was uns die Musik spielt ist unser Heimweh nach den Guten Mächten, wunderbar uns bergend. Das Geheimnis der Musik ist Sehnsucht des Getrennten nach Einheit. Und doch auch ein Stück Himmel hier.
Heute, am 2. Advent werden wir wieder mit Anfangsenergie ausgestattet. � Alle großen Feste statten uns aus, den Lebensweg weiter zu gehen; Weihnachten � Geburt, Ostern � Auferstehung, Himmelfahrt � Himmel offen, Pfingsten � Anschluß an Gemeinschaft in Gottes Geist und Advent � wieder werden wir hingewendet zur Zukunft: vor dir Lebenkönnen mit dem Anfänger und Vollender unseres Glaubens, Christus, � der stattet uns aus mit Elan: Will Leben und Erkennen zusammenhalten, das Chaos in dir zähmen, Früchte bringen, Frucht teilen � und Musik sich gefallen lassen wie Kinderlieder, die uns zusammenhüten. Amen.
 


 




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