Keitumer Predigten Traugott Giesen 22.08.1999
Sprüche 25, 11: Ein gutes Wort, geredet zur rechten Zeit, ist wie
ein goldner Apfel auf silbernen Schalen
1.Thessalonicher 5, 19 - 21: Den Geist dämpfet nicht. Prophetische
Rede verachtet nicht. Prüfet alles, aber das Gute bewahret.
Zum Sehen geboren
Wanderers Nachtlied
Und so lang du
Wär nicht das Auge
Apostelgeschichte 17, 22 - 28
�Die Dichter lügen� stand an Platos Akademie in Athen und verbot
ihnen den Zutritt. Auch in der Kirche sind die Dichter nicht gern gehört
� Kirchenliederdichter natürlich ausgenommen. � Anders dachte da Paulus.
Als der mit seiner Botschaft nach Athen kam, untermauert er seine Predigt
mit Zitaten athenischer, also nichtchristlicher Dichter. Paulus lobt die
Athener auch für ihre weitblickende Frömmigkeit: Die Athener
verehrten ihre bekannten Götter, hatten aber auch einen Tempel errichtet
mit der Aufschrift: Dem Unbekannten Gott. � Paulus nimmt den Gedanken auf:
In Glaubenssachen gibt es mehr als das schon Offenbare, � Paulus knüpft
an: Ich sag euch, mit wem ihr noch Bekanntschaft machen müßt:
Ich rede euch von dem Gott, der �nah ist einem jeden von uns. In dem leben
und weben und sind wir� � und eure Dichter sagen das auch: Wir sind göttlichen
Geschlechtes. �
Wie Paulus hole ich mir auch Hilfe bei unserm Lieblingsdichter Johann
Wolfgang von Goethe. � Allererst mag ich bei ihm Sprache leihen, Worte
borgen, Gefühle zu benennen. Bei Goethe in die Sprachschule gehen,
ist lernen mehr Ich zu werden. Und lernen, groß zu denken vom Menschen
� das geht nicht auf Gottes Kosten, keine Angst: �Wenig niedriger gemacht
denn Gott hast du den Menschen� sagt auch Psalm 8 � vor allem Gott mit
seinem Werk verknüpft sehen.
�Wahrscheinlich wissen wir über Goethe mehr als über irgendeinen
anderen Menschen� sagt sein jüngster Biograph Nicholas Boyles. Allein
das � der bestbekannte Mensch, also der, der am meisten von sich verraten
hat, und über den wohl am meisten Meinung gesagt wurde in einem 83
Jahre langen Leben � das soll es jetzt nicht sein, sondern:
Was wir von ihm für unsern Glauben lernen können, soll Thema
sein, zu Ehren seines 250. Geburtstages. Am 28.08.1749 geboren in Frankfurt
am Main als Sohn des Kaiserlichen Rates Johann Casper Goethe und seiner
Frau Catharina, geb. Textor; ev.-lutherisch getauft. Die tägliche
Bibellesung im Elternhaus ist selbstverständlich, Luthers Katechismus
ebenso. Daß er der Bibel seine Bildung verdanke, bekannte er zeitlebens.
Neben Latein und Griechisch hat er auch Hebräisch gekonnt. Das biblische
Hohe Lied der Liebe aus dem Hebräischen mal selber übersetzt.
Einschneidend für das Weltbewußtsein im 18. Jahrhundert
war das Erdbeben von Lissabon 1755 � der Zweifel an der Güte Gottes
und der liebenden Fürsorge prägte sich tief in die Seele des
damals Sechsjährigen. Und er lernte Gott in größerem Zusammenhang
zu wissen.
Er hatte Berührung zur Brüdergemeine, schätzte Gefühl
und Innerlichkeit, widersprach der knöchernen kirchlichen Dogmatik
und dem rationalisierenden Atheismus der Aufklärung.
Aber tief gegründet ist sein Glaube an die gotterfüllte Natur
und den welterfüllten Gott. �Das Dasein ist Gott� ist ein Grenzgedanke,
Gedanke an einen Urstoff, und eine Urform treibt ihn zeitlebens. Daß
sich alles aus einer Urform entwickelt hat, und damit die Verwandtschaft
aller Lebewesen, wird für ihn zu einer bestimmenden Idee, fast hundert
Jahre vor Darwin. Daß Gott in allem wirkt, in der Natur, in den Pflanzen
wie in den Lebewesen, ja auch in dem Künstler, das war ihm gewiß.
Ob Goethe oft zur Kirche war, ist eher unwahrscheinlich. �Der protestantische
Gottesdienst hat zu wenig Fülle und Konsequenz, als daß er die
Gemeinde zusammenhalten könnte, daher geschieht es leicht, daß
Glieder sich von ihr absondern�. Er blieb ein Leben lang evangelisch.
In Auseinandersetzung mit dem bedrängenden Theologen Lavater nennt
er sich einen dezidierten Nichtchristen. Aber Jesus verkörpert für
ihn das humanistische Ideal.
Er freut sich an Jesu großzügigem Glauben, der ja sagt:
Gott ist Geist, und die ihn anbeten, werden ihn im Geist und in der Wahrheit
anbeten (Johannes 4, 24). Der Geist aber weht wo er will (Johannes 3, 8),
so konnte er auch Mohammed würdigen und vertiefte sich in islamische
Texte. Toleranz im Glauben wird ihm höchstes Gebot. Er rät, gelten
zu lassen eigene Erlebnisse und Empfindungen. Er berief sich auf Jesu Wort
�Im Hause des Herrn sind viele Wohnungen� (Johannes 14, 2).
Goethe hatte es schwer mit dem Opfer Jesu am Kreuz. �Wer immer strebend
sich bemüht, den können wir erlösen" � das klingt nach Eigenrettung.
Doch Faust wird nach der an Mephisto verlorenen Wette errettet durch die
von �oben ihm zur Hilfe kommende ewige Liebe.�
Von einer Art Unsterblichkeit war er überzeugt, als geistiges
Wesen fortzudauern, war ihm klar: Ich höre da Luther: �Mit wem Gott
gesprochen hat, in Zorn oder Gnade, der ist gewiß unsterblich.�
In den Leiden des Jungen Werther scheint er den Selbstmord zu rechtfertigen.
Jedenfalls nimmt er ihm den Stachel des Abfälligen und der Rebellion.
Jesus sagt: was ihr wollt von den Leuten, das tut ihnen auch (Matthäus
7, 12). Diese sogenannte �goldne Regel� übersetzt Goethe �willst du
dich deines Wertes freuen, so mußt der Welt du Wert verleihen�. �
Da steckt doch wie im Samenkorn ein ganzer Baum drin, der eine Satz beherbergt
eine ganze Ethik: Willst du taugen, sprich tauglich; willst du geliebt
sein, liebe.
Ich höre Christus zu mir reden in vielen Texten des Johann Wolfgang:
�Und so lang du das nicht hast, dieses Stirb und Werde!�, das ist doch
Jesu Bild vom Samenkorn noch einmal: Bleibt das Samenkorn allein, will
es sich nicht verlieren, dann bleibt�s allein. Wenn es aber sich hingibt
und in der Erde stirbt, bringt es viel Frucht (Johannes 12, 24). Gott,
Christus bleibt doch nicht gebannt in die Texte der Bibel und die biblischen
Ursprungserscheinungen, Gott begegnet doch heute, tritt heraus zu neuer
Offenbarung.
Diese Zuversicht des Goethe, dies Stoff sammeln für Lobe-den-Herrn.
Was Goethe über den Mißbrauch der Poesie gesagt hat, läßt
sich auch übertragen auf den Mißbrauch des Wortes Gottes durch
Prediger: �Die Poeten schreiben alle, als wären sie krank und die
ganze Welt ein Lazarett. Alle sprechen sie von den Leiden und dem Jammer
der Erde und von den Freuden des Jenseits, und unzufrieden, wie schon alle
sind, hetzt einer den andern in noch größere Unzufriedenheit
hinein. Das ist ein wahrer Mißbrauch der Poesie, die uns doch gegeben
ist, um die kleinen Zwiste des Lebens auszugleichen und den Menschen mit
der Welt und seinem Zustand zufrieden zu machen.�
Sicher Sünde ist mehr als kleine Zwistigkeit, aber aufgetragen
ist statt Jammern der Lobpreis der Gnade.
Goethe erlebte den Zusammenbruch des Napoleonischen Imperiums und des
Alten Europas. �Nord und West und Süd zersplittern, Throne bersten,
Reiche zittern.� Statt auf Auftrumpfen und herrischen Nationalismus setzt
er auf gegenseitige Öffnung der Kulturen. �Nationen sollen sich wie
Glieder einer Gemeinde verhalten�. Er lebte in einer Achsenzeit � der Wissenszuwachs
war enorm, beschleunigt war Forschung und Forscher. �Jetzt kann ein Brief
kaum hin und wieder gehen, so hat die Welt schon wieder eine andere Gestalt�.
� Dagegen riet er, sich zu halten an die �Naturlangsamkeit�. Und eben er
wußte sich von �Guten Mächten wunderbar geborgen� (Bonhoeffer).
Er wußte �den Einen, das Eine, das alles eint, und zu dem alles zurückfließt,
was von ihm weggeflossen ist� � "vieles kann nenbeneinander bestehen, was
sich gern wechselweise verdrängen möchte; der Weltgeist ist toleranter
als man denkt." � In Goethes Weltbild fallen alle Gegensätze zur Einheit
zusammen. Gott und Welt, Geist und Natur, Idee und Materie, Individuum
und Gesellschaft. Der Geist Gottes ist als Kraft im Werden des Universums
am Werk. � Goethe hielt sich an Spinoza: �Gott, die Allursache, das einzige
unabhängige Sein; alles andere hängt von Gott ab. �Im Prometheus
nennt Goethe doch wohl Gott: das �Heilig glühend Herz."
Goethe erzählt, daß er sah wie junge Zaunkönige vom
Rotkehlchen gefüttert wurden und sagte: �Wer das hört und nicht
an Gott glaubt, dem helfen nicht Moses und die Propheten. Das ist es nun,
was ich die Allgegenwart Gottes nenne, die einen Teil der unendlichen Liebe
überall verbreitet und eingepflanzt hat, und schon im Tier als Knospe
andeutet, was in edlen Menschen zur schönsten Blüte kommt.
Die von Gott durchdrungene Welt, der von Welt durchdrungene Gott ist
Goethes Thema � was wir in den Spiegelscherben unseres Lebens wiedererkennen,
von Heiligem und Tröstlichem, er kann es beglückend benennen.
Er hat Gott in der Welt erfühlt und nicht nur verkündet. �Alles
Vergängliche ist nur ein Gleichnis�, weist alles über sich hinaus.
�Was wär ein Gott, der nur von außen stieße, im Kreis
das All am Finger laufen ließe? Ihm ziemt�s, die Welt im Innern zu
bewegen, Natur in sich, sich in Natur zu hegen. So daß, was in ihm
lebt und webt und ist nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt."
Womit wir wieder bei Paulus sind und seinem Wissen: In Gott leben, weben
und sind wir.
Zwei Sonnensätze noch: �Gott helfe weiter und gebe Lichter, daß
wir uns nicht selbst so viel im Wege stehn.� Und: �Wer Gott vertraut, ist
schon auferbaut.� Amen.
Schlußgebet