Wochenspruch mit kurzer Auslegung (T.G.)
11.10.1998
Dies Gebot haben wir von ihm, daß, wer Gott liebt, daß der
auch seinen Bruder liebe. 1. Johannes 4, 21
Gebote von Christus? Nicht im Sinne von Gesetzen und Bedingungen. Gott
dosiert sein Lieben nicht nach unserm Tun. Aber von Gott geliebt, gestärkt
in Mitarbeit genommen, sind wir auch dem Nächsten verpflichtet; sehen
ihn einfach im anderen Licht. Er ist auch Gottes geliebter Mitmensch. Zumindest
will ich ihn neugierig beachten, will ihn fördern � vielleicht ihn
liebgewinnen. Schaue ich ihn ohne Neid und Angst an, gewinnt sein Antlitz
Glanz.
Keitumer Predigten Traugott Giesen
11.10.1998
Taufe stärkt
Kinder taufen � das heißt: sie bekommen ihren wahren Namen, sie
werden wahrgenommen als Kinder Gottes, sie werden unter aller Augen der
Gemeinde sowas wie neugeboren, noch einmal aus dem Becken, aus dem Wasser
gezogen und hochgenommen und gekennzeichnet mit gültiger Prägung.
Gut, daß uns die Vorfahren Kirche hinterlassen haben als anschaulichen
Ort der großen Familie, die una sancta � die eine heilige Kommune,
communio; gut daß sie uns Bibel überliefert haben � und hier
ein weiterer Grundtext zur Taufe:
Der Evangelist Lukas berichtet: Nach Ablauf der Kindbettzeit brachten
Maria und Josef ihr Kind in den Tempel, um es Gott und der Gemeinde darzustellen.
Und ein Mensch war da in Jerusalem mit Namen Simeon, fromm und gotterfahren.
Dem hatte der Heilige Geist geflüstert: �Du sollst noch Christus Jesus
sehen.� Und der Geist führte ihn in den Tempel, gerade als die Eltern
das Kind brachten. Er nahm es auf seine Arme und lobte Gott und sprach:
�Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt
hast. Denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen. Wie du�s verheißen
hast.� Auch die Seherin Hanna war da, schon 84 Jahre alt � auch sie segnete
das Kind. Und das Kind wuchs und wurde stark, voller Weisheit, und Gottes
Gnade war bei ihm (Lukas 2, 22 ff).
Diese Szene ist mir auf einmal leuchtend geworden, seit ich selbst
Großvater bin. Das alte Menschenpaar fällt mir auf. � Wie sie
eben gar nicht gelassen das Leben verstreichen lassen, sondern mit Inbrunst
das Neue fassen wollen. Schon ergraut, ja schlohweiß, lassen sie
vom Hoffen nicht ab. Sie strecken sich dem Neuen entgegen. �Ich werde nicht
sterben, bevor ich nicht das Heil gesehen habe�, das hat Simeon innen gehört
� darauf beharrt er, richtig zäh rammt er sich in jeden neuen Morgen.
Er will das Heil sehen.
Etwas entdecken wie Heil, Heil aufdecken ist unser Auftrag. Sehnsucht
soll uns treiben nach mehr als im Katalog steht. Daß mein, dein Leben
noch Zeuge eines Friedens werden, und wir uns nicht abfinden mit dem �Räuber
Zeit�, und nicht abfinden damit, noch einige Sonnentage in Sicherheit zu
bringen. � Den Heiland sehen, den Menschen sehen, der Frieden bringt, ihm
helfen Frieden zu bringen� dann kann man gut gehen � so Simeon.
Ein bißchen solch ein Gefühl habe ich bei jedem Kind, das
ich taufen darf, und sicher auch bei den Enkeln, die heute das Zeichen
Christi empfangen: mit ihnen tut Gott einen neuen Anlauf, mehr Liebe in
die Menschheit zu füllen. � Und ich, wir dürfen dabeisein, wenn
Gott eine neue Runde Schicksal einläutet.
Sie werden getauft zu Brüdern und Schwestern des Jesus � Kinder
Gottes, und in diesen Kindern kehrt Gottes Lust zu sein, seine Lust, sich
selbst ins Dasein zu stülpen� diese Lust kehrt in den Kindern wieder.
Die Kinder sehen, heißt Gott ins Antlitz schauen. � So viel Wachheit
und Aufbruch und Neugier und leidgeprüfte Kraft, ja auch, ist bei
ihnen, das frischt auch den eigenen Glauben auf.
Es ist da der Elternwunsch �in den Kindern weiterleben zu wollen".
Es ist ein besitzergreifendes Wollen. Das Dasein ist viel zu klug eingerichtet,
als daß die Schöpfung eine Generation nach der andern vergeudete,
um die Ursprungseltern zu multiplizieren. Nein. Die Kinder sollen ihr Leben
führen und die Enkel erst recht. �
Christenglaube schützt geradezu gegen die Gier, Kinder und Enkel
zu besitzen. � Wir glauben doch, daß Gott sein Werk tut in jeder
Generation. Wir müssen sie freisprechen, sonst müssen sie sich
losreißen. � Das beschafft die Taufe: Klare Besitzverhältnisse:
Du Mensch, bist dir gegeben, daß du du selber wirst im Verhältnis
zu Gott, dem Ganzen. Die Taufe sagt: Kinder sind unmittelbar zu Gott, bleiben
immer dem Guten Lebensgrund verbunden.
Selbes dürfen wir uns anziehen: unsere Seele hat bei Gott Zukunft.
Letztlich darum brauchen wir unsere Kinder nicht als Sitz unserer Seelen.
Schrecklich, wenn Eltern die Kinder zu ihrer Verlängerung rankriegen,
daß sie ihre Ideen mittragen. � Vater und Sohn, beide in Klamotten
ihres Lieblingsfußballvereins � das geht ja noch � oder heute Mütter,
die die Mode der Töchter imitieren. � Beide lassen den Kindern nicht
Ihres. Wollen Kraft von ihnen nehmen.
Eure Kinder sind nicht eure Kinder. �Es sind die Söhne und Töchter
von des Lebens Verlangen nach sich selber� so Kalil Gibran.
Nicht die biologische Abkunft sondern die gemeinsame geistige Herkunft
macht uns verwandt, letztlich zu Geschwistern Christi, Kindern Gottes.
� Die irdische Differenz zwischen Eltern und Kindern ist nur vorübergehend
und dreht sich um. � Erst war man Kind der Eltern, dann fallen einem die
Eltern zur Fürsorge zu und wir werden kindlich, hoffentlich bei verständigen,
erwachsen gewordenen Kindern.
Die Taufe holt uns Eltern, Großeltern die eigene Taufe vor Augen,
als wäre es eben erst gewesen: wie wir schauen lernten und den Daumen
suchten und die Sachen handhaben lernten, und so gierig Nahrung verschlangen
� was war für ein Hungersturm bei uns � wir wußten ja lange
nicht, daß Mutters Brust nicht rationiert ist. Darum die Gier anfangs
� bis wir dann zu langen tiefen Zügen übergingen, und zuletzt
auch ein Nickerchen riskieren konnten, weil die Quelle ja bei uns blieb.
Und das Aufrichten-, das Gehen-, das Sprechenlernen � eine Welt haben wir
erobert und konnten erwachsen werden, konnten uns endlich selbst ernähren
� was war das ein langer Weg. � Und jetzt bildet ihr eigene Familien �
bei aller Wehmut über den Fehlenden �. Stattliche Figuren seid ihr
Eltern, wir Großeltern geworden. Wir feiern diesen Tag mit einem
Rausch der Dankbarkeit:
Euer Kind darf leben � ein Kind Gottes darf mit euch, mit eurer Hilfe
leben. Solch eine Teilnahme an der Schöpfung ist unvergleichlich wunderbar.
Wie sehr das eben Geborene Teil der Schöpfung ist, auch das bedenken
wir mit der Taufe, tauchen es wieder ein in Wasser; erinnern damit auch
an die biologische Herkunft allen Lebens aus dem Urozean � unsere Zellen
schwimmen immer noch in Flüssigkeit, deren Salzgehalt exakt dem des
Meeres entspricht. Auch durchläuft jedes einzelne Lebewesen zu seiner
Entstehung die gesamte Entstehung seiner Art noch einmal, mit Kiemenspalte
und Schwanz � 350 Millionen Jahre Entwicklung.
Und das Gedächtnis der Menschheit ist bei ihm � die Ängste
vor Feuer und Lautem, als wäre Krieg los, die Ängste vor Hunger,
die Angst vor Schmerzen � ist alles bei ihm, dem neuen Menschlein; wir
kommen nicht leer hier an. Aber zum Angstgedächtnis haben wir das
Freudengedächtnis: Bilder von Himmel, Liebe, Auferstehung � Hindurchgerettetwerden.
Taufe ist auch ein Urbild der Rettung: Aus dem Ertrinken gerettet � aus
der Flut des Bewußtlosen erhoben. � Jetzt fängst du an: dein
Selbstsein, dein Gerufensein beginnt. Du, ein eigener Mensch, bist hier
nicht in der Fremde, bist hier unter Mitmenschen, die selber Sehnsucht
nach Verbundenheit haben. Du bist hier unter Menschen zuhause.
Taufe als Pforte der Zukunft, ermächtigt dich, dein Leben zu führen,
zunächst unter starker Hilfe der Eltern. Sie helfen dir, in Ruhe erwachsen
zu werden, zu reifen, du selbst zu werden. Sie kehren dir immer wieder
um die Fluchtrichtung: aus Angst werde Hoffnung, Erwartung, Neugier, Wunsch,
Eroberung, Frieden. Diese Tendenz, daß vorne Rettung ist � lebt der
Simeon und lebt besonders der Jesus. Jesus hat diese Prägung des Leben
besiegelt: Vorn immer Gott, Besseres, Wiedergeburt, Auferstehung, vorn
Auftrag und Freude, vorn Trost und Wissen. Damit ist auch unser Dienst
als Paten klar: immer wieder anleiten zu nach vorn offenem Vertrauen: In
Gott gehüllt bist du.
Das zeigt die Taufe auch. Das Wasser der Taufe erinnert noch mal an
das Ganze. Du, wie ein Fisch im Wasser, bist du in Gott. Der Fisch sieht
auch nicht das Wasser und ist doch darin und besteht daraus � so auch wir
� wir sind in Gott, haben ihn in uns.
Taufe ist ein Ausweis: Euch Eltern ist ein Kind in Auftrag gegeben
von der Schöpfungsfreude, ein Kind Gottes ist euch anvertraut: Du
bist Vater, Mutter im Namen Gottes und bist gut genug für dein Kind.
Du bist gewürdigt, deine Sprache, deine Traumbilder, dein Vertrauen
weiterzusagen, und was bei euch als gut, als böse gilt. Ihr seid bestimmt,
dem Kind den Gut-Böse-Code mitzugeben, der bei euch gilt. Der kann
auch wieder nur heißen: Gut ist, was der Liebe Bahn bricht. Und bedenkt:
Wer Moral einfordert, muß sie auch für sein eigenes Verhalten
gelten lassen. Und andere Lehrende werden dem Kind an die Seite gestellt
� bis es alle abschüttelt.
Noch eins: Simon hält das Kind hoch � schaut, seht � damit rückt
das Leben ein Quantum weiter. Das Kind öffnet das Wissenssystem für
neue Irritation. Begrüßen wir wie Simon diesen Angriff durch
Neues. Bleiben wir nicht selbstblockiert. Ein Kind hilft, die alten Antworten
zu vergessen, die alten Bequemlichkeiten, die schon Gesetz waren. Frühere
Beobachtungen bilden den Schatz des Gedächtnisses. Sie erlauben, weiterzumachen
auf hohem Niveau � aber verlocken auch, die Vergangenheit für den
Abschlußbericht zu halten, die vertraute, alte Tour zu fahren. Was
früher aufregend neu war, ist geronnen zum Beton des Wissens. Doch
ein Kind setzt einen Anfang, ist Anfang, ist Gottes Hebel: Heute mache
ich alles Neu: � Das Kind ruft uns zu: Vergiß es, was dich lähmt.
Ein Kind macht, daß wir unser Wissen wieder mit Zukunft verknüpfen.
Ein Kind verknüpft mit Zukunft. Gut, daß ihr da seid. Amen.
Schlußgebet
Erntedank-Altar 11.10.1998