Predigt 30. November 1997
Keitumer Predigten Traugott Giesen 30.11.1997 1.
Advent
Siehe, eine Frau wird schwanger und wird einen Sohn gebären, den
wird sie Immanuel - Gott mit uns - nennen; (Jesaja 7, 14).
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über
denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell; ein Kind ist uns
geboren, und Frieden ohne Ende soll werden mit ihm (Jesaja 9, 1, 6)
Advent ist ja das Neujahr im alten Kalender. Und wenn auch jetzt nur noch
das Kirchenjahr beginnt, hat doch dies Neujahr einen kräftigen Impuls
bei sich. Wir werden umgedreht zur Zukunft, werden ausgerüstet mit Mut,
dem Lebendigen uns auszusetzen. - Und was gibt es Lebendigeres als Kinder.
- Ich hatte Gelegenheit in einem Restaurant am Nebentisch einen wohl
fünfjährigen Jungen gut im Blick zu haben. Seine Eltern drückten
ihn geschickt an die Wand, so daß er fest saß. Sie forderten
ihn mehrmals auf: "Nun mach nur ja keinen Streß." Die Großeltern
oder so welch Ähnliche saßen gegenüber; Oma hatte ein
beruhigendes Geschick, was hilfreich war, denn Söhnchen hatte eine
fordernde, weinerliche Stimme, die er etwa einsetzte, wenn Mutter die Salz-
und Pfefferstreuer außer Reichweite räumte, nachdem er sie
fröhlich schon ziemlich geleert hatte. Er wollte auch was zu essen,
etwas Eigenes, bekam aber von jedem was Kleines ab, verweigerte aber die
Dankbarkeit und greinte. Dann holte Mutter ein Auto aus der Tasche und er
konnte eine Zeitlang die Speisekarte als Garage nutzen. Die Unsicherheit
der Eltern war zu spüren, sie fürchteten vorwurfsvolle Blicke -
ich ermutigte die Eltern durch anerkennende Worte: "Das Kerlchen hat Kraft,
er weiß sich zu helfen" und so. Die Mutter lächelte dankbar, der
Mann schaute fragend. Als der Junge mal wieder verstimmt klang, fing ich
seinen Blick: er hatte sich mit einem Schal bedeckt und lugte durch einen
Schlitz. Ich hatte auch einen Schal mit, tat es ihm nach, er lachte und wir
hatten Spaß. -
Wenn sich dem Lebendigen aussetzen gut ist, das Beste überhaupt ist,
- was gibt es Lebendigeres als ein Kind. Es hat Willen bei sich, Willen zu
sein, sich zu behaupten, Aufmerksamkeit sich zu erstreiten. Ein Kind ist
eine Verheißung:
Nichts anderes hatte der Prophet Jesaja in der Hand, an der Hand, um seiner
Predigt Wahrheitsgehalt zu geben. Beweise deine Prophezeiung, forderte das
Volk, beweise deine Hoffnung, gib ein Zeichen, daß deine Zuversicht
in die Zukunft realistisch sei. Und was bietet der gewaltigste Prophet Israels
auf: "Siehe, eine Frau wird schwanger und wird einen Sohn gebären, den
wird sie Immanuel - Gott mit uns - nennen" (Jesaja 7, 14). Und er sagt noch
weiter: Gott ist es, der die Fliege aus Ägypten und die Biene aus Assur
herbeipfeift und den König von Assyrien wird er euch an den Hals halten
als Rasiermesser (v.18.20) - Also der Geschichte schichtende Gott nutzt die
so selbstherrlich Regierenden, die meinen, nach Lust und ihrer Laune Kriege
zu führen. Der Prophet sagt, das Selbstherrliche ist nur Fratze und
Illusion, Gott läßt sie tanzen wie Puppen, wie Bienen pfeift er
sie heran, auch als Rasiermesser seines Willens. -
Ich weiß nicht, wie Gott regiert. Ich bin auch nur ein kleines Licht
- ich habe viel Glück auf meinem Lebensweg, darum habe ich viel zu danken,
liebenden Menschen und dem Grund der Dinge. Als ich in Not war, ahnte ich
auch den Lastenauflader, aber so direkt etwa Hitler oder Stalin als Knechte
Gottes zu bezeichnen, das kann ich nicht. Aber doch die Alliierten, die
Deutschland zur Vernunft brachten - die hat Gott herbeigepfiffen!? - Schon
ja, Gorbatschow als Friedensengel - schon möglich. Und die bösen
Tyrannen der Menschheit? Gott haftet für sie, wie er für Kain haftet.
- Zu Pilatus sagt Jesus: Du hättest keine Macht, wenn sie dir nicht
von Gott verliehen wäre (Joh.-Ev. 19, 11) - also, hat Jesus sicher
ergänzt: Nutze sie nach seinem Willen.
Daß mit Gott wir die Heilige Mitte des Lebens meinen, ist unter uns
klar; und daß alles Geschehen von ihm ausgeht und bei ihm mündet,
ist auch klar. Diese Heilige Mitte kennzeichnet die Geburt eines Kindes als
Verheißung. "Ein Kind ist uns geboren" - heißt nicht: Biologie
läuft weiter. Sondern der die Zeit in Händen hat, wagt wieder eine
Runde im Spiel des Lebens. Jedes Kind ist ein neuer Einsatz.
Weihnachten hat ja auch ein Kind zur Mitte der Welt. Das feiern wir noch
heute. Die Ahnung begann 700 Jahre vorher im jüdischen Land:
Von einem Kind erwartet Jesaja den Himmel auf Erden. "Das Volk, das im Finstern
wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen
im finstern Lande, scheint es hell; ein Kind ist uns geboren, und Frieden
ohne Ende soll werden mit ihm" (Jesaja 9, 1, 6).
Sollte daher auch der Stolz der Mütter, der Eltern, der Großeltern
kommen: "Ist es nicht süß, ist es nicht herrlich, das schönste,
liebste, klügste Kind - eine Prinzessin, ein King, so sieh doch" - ich
fand die Begeisterung früher eher komisch, aber die Töne können
doch gar nicht hoch genug sein, in denen ein Kind gefeiert wird: Eltern
müssen überzeugt sein, daß sie Söhne/Töchter Gottes
im Arm haben.
Daß wir Eltern einen Willen Gottes verkörpern helfen, müssen
wir glauben, wenn wir uns Kinder wünschen. Kinder sind Samen der Zukunft,
der Liebe, der Schönheit; - darum ist auch "Brot für die Welt"
nicht eine Kollekte sondern das Gegenteil von Tod. Allein schon, um die Gewalttat
zu bedenken, die wir tun mit Verhungernlassen, schon darum brauchten wir
eher mehr gelebte Bußtage statt keinen. - Das nur am Rande.
Wenn auch jetzt nur das Kirchenjahr beginnt, hat doch dies Neujahr einen
kräftigen Impuls bei sich. Wir werden umgedreht zur Zukunft: Eben waren
wir noch festgehalten von Vergangenheit, schmückten die Gräber,
gedachten, daß wir auch mal Vergangenheit werden. Und dann, jetzt:
wir werden nach vorn gesogen von einer Geburt. Christi Geburt saugt uns nach
vorn - seine Geburt ist Verheißung. Das Herz der Welt wird immer klopfen
auch für dich, auch durch dich, auch mittels deiner. "Des Lebens Ruf
wird niemals enden." -
Das kann auch die Einstellung zu den Toten ändern. Sie sind ja gar nicht
Vergangene - des Lebens Ruf wird niemals enden. Sie sind mit in den Sog der
Zukunft gerissen - mehr als wir. - Sie sind schon am Herz der Welt. - Ja
sie wärmen uns, machen uns den Gang der Zeit tröstlich.
Advent streckt uns aus, dem Kind entgegen - streckt uns zur Wiedergeburt
unserer eigenen kindhaften Seele. - Weihnachten ist ja die köstliche
Verpackung für die Niederkunft unserer eigenen Seele, wir werden im
Licht des Krippenkindes wieder wie neu geboren. Wir werden von der Zukunftskraft
neu geliftet; werden neu eingestellt auf Freude, Wachsen, Zuversicht und
daß wir wieder Lust bekommen, Verantwortung zu übernehmen.
Genau das bringt doch jedes Kindlein mit in die Welt und bringt es uns wieder
bei und fordert auch von uns: Freude, Wachsen, Zuversicht, Verantwortung.
Nicht nur für ein Kind - sondern für das Reale überhaupt.
Daß Gott ein Kind wird, versenkt ja das Göttliche ins Reale, in
das Lebendige. In jedem Kind flackert das Heilige über die Maßen,
aus den Augen scheint Strahlen, aber auch Hände im Schoß
erzählen doch vom Gelingen. - Will sagen Advent schickt uns los, die
Zeichen von Freude, Wachsen, Zuversicht und Verantwortung zu bemerken.
Adventszeit ist eine Musterstrecke des Zeitlaufes: erst eine Kerze, dann
zwei, dann drei, dann vier, dann ein ganzer Lichterbaum. - Die erste Kerze,
das erste Lächeln, die erste Bitte, das erste Weinen, Brauchen,
Gebrauchtwerden, Anleiten, mehr zu wissen, zu können. - Kerzen sind
doch wie Perlen, Licht im Dunkel, Anfang, Trost, Zeichen von Wende zum Besseren.
Die Zeichen suchen, selbst Zeichen werden - ist Projekt im Advent.
Das ist aufregend: Wir sind uns alle Zeichen. Nur für was?
Ein nervender Kunde an der Kasse; ein Vater, der Unterhalt schuldig bleibt,
einer, der Fahrerflucht begeht - sie malen uns mit ihrer Verzweiflung das
Leben schwarz. Und was zeigt die Hilfsbereitschaft, die Güte, was die
Menschlichkeit mit Durchsetzungskraft? Wieviele Menschen werden tagtäglich
gerettet, gestützt, gefördert, untergehakt, besucht, bestärkt:
Wir können Zeichen sein, Kerzen, Lichter, daß Leben doch gut ist
und mit dir, Nächstem, noch viel vor hat.
Gut, daß wir noch 3 1/2 Wochen Zeit haben bis zum großen Fest.
- Ich will mal sehen, wie ich wem begegne, wäre gern Zeichen zum Guten.
Sehen wir zu, sind wir Last oder Entlastung, Stein oder Flügel, Wunde
oder Blüte, Licht oder Schwarz?
Advent sät Licht in unsere Zeit, nimmt uns die Lähmung, spannt
uns in Erwartung, macht uns zuständig für Freude. Mit Christi Geburt
kam ja der Sinn zur Welt in Gestalt eines bedürftigen Kindes. Die Menschheit
bekam einen Schub, sich des Kleinen und Unscheinbaren anzunehmen. Und die
Zeichen beachte, die deinen persönlichen Lebensweg dir weisen. In jeder
Krippe liegt ein Kind Gottes, in jeder Haut steckt ein zitterndes Ich, jeder
Augenblick birgt eine Perle, jeder Anruf kann eine Berufung sein, und du
bist auch ein Schatz. Auch du ein Grund zur Freude. Auch über dir steht
ein guter Stern.
Gott hat viele Namen. Advent heißt: Gott kommt, heißt, daß
Sinn, Freude, Liebe, Schönheit, Güte kommen, zu dir, durch dich,
manchmal trotz deinerselbst. Advent ist Zeit, genauer hinzuschauen, die Spuren
zu suchen, auch Spur zu werden: daß Gott hier war. Das haben wir schon
oft erlebt, daß wir voneinander lassen mit erhebendem Gefühl,
leicht ist's uns ums Herz, ein Engel hat uns berührt. Dies geschehe
andern mit uns, daß sie uns als Zeichen nehmen: gut zu leben, gut,
ich zu sein.
Advent und das englische "adventage" - "Abenteuer" kommen aus derselben Wurzel.
Adventszeit ist auch Abenteuer - Zeit, mich, dich zu finden als Lichtschein,
als heiße Spur nach Weihnachten. Amen.