Predigt 11. Mai 1997
Keitumer Predigten Traugott Giesen 11.05.1997 Muttertag
Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß es dir gut gehe und du lange
lebest in dem Land, von dem Land, das Gott dir gegeben hat (2.Mose 20, 12).
Höre auf deine Eltern und schütze sie, verachte sie nicht, wenn
sie alt sind. Laß sie sich freuen, mach die fröhlich, die dich
geboren hat (Sprüche 23, 22. 25).
Muttertag -
Natürlich hat man seinen Kindern gesagt, daß da nichts draus gemacht
wird. Und doch freut man sich, wenn die Kleinen aus dem Kindergarten ein
Gemälde mitbringen, neuerdings ausdrücklich für Mama und Papa
- wenn vorhanden; und wenn die Größergewordenen mal heute anrufen
oder Blumen schicken oder vorbeikommen mit Kuchen. -
Und man ist ja selbst Kind einer Mutter - soll man sie drücken, ihr
danken? Wenn sich das Verhältnis umgedreht hat, die Tochter der
Altgewordenen jetzt Vater - Mutter sein muß? Hoffentlich sendet dann
der Bruder der fürsorgenden Schwester einen schönen Strauß,
oder auch umgekehrt: Der fürsorgende, näherdran Wohnende wird heute
von den andern bedankt. Wenn die Eltern schon im Himmel sind, dann schickt
man jedenfalls gute Gedanken; überhaupt, je älter wir werden, desto
heller strahlt das Licht der Erinnerung an die Eltern.
Das Schmerzlichste überhaupt ist, verwaiste Mutter, verwaiste Eltern
zu sein. Wer ein Kind zurückgeben mußte, weiß: Mutter/Vatersein
ist das Intensivst-Lebendige ihres Daseins gewesen. Auch ein Kind nicht
ausgetragen haben, bleibt bei einem. Drängend fehlt das Verlorene. Das
sehnend Gewünschte leuchtet am stärksten. Wie soll ein durch
künstliche Befruchtung ins Leben gerufenes Kind seinen Eltern einlösen
können deren Wunschbilder? Muttersein, auch Vatersein prägt so
stark. Nach und mit dem Frausein, Mannsein greift Elternschaft am meisten
in uns. Wir werden umgegraben und befruchtet, bringen Frucht und werden
abgeerntet im Mutter/Vatersein.
So ist auch der Verzicht auf Kinder einschneidend. Die Familienministerin
meint ja, kinderlose Paare würden sich der Zukunft verweigern - höhere
Zahlungen an die Rentenkasse sollten sie leisten. Vielleicht ist es ja ganz
anders. Sie bescheiden sich, nehmen sich zurück, wollen gern
mütterliche, väterliche Menschen sein, sorgen für Kinder auf
andere Weise, aber wollen, können nicht Eltern sein: Halten sich nicht
für die Retter der Welt; meinen, keine Heilande zu gebären.
Muß das aber nicht vorausgesetzt werden? Wer bewußt Elternschaft
will, der muß doch glauben: Mein, unser Kind ist nötig, ist einzig,
ist wunderbar, ist das Schönste, wird das Klügste, es wird
glücklich, wird ein Segen sein.
Muß nicht jedes Kind, spätestens, wenn es sich ankündet,
zum Wunschkind werden? Ist nicht jedes Kind vom Himmel abgepflückt?
Die Taufe gibt geradezu Brief und Siegel drauf, daß sie Söhne
und Töchter Gottes sind. Ihr Eltern bekommt ein Selbstbewußtsein
angedichtet - ihr bekommt in Pflege die, die Kinder von des Lebensgeheimnis
Verlangen nach sich selber sind.
Muttersein, Elternsein ist die innigste Mitbeteiligung an der Schöpfung,
und sicher ist die Frau als Gebärende die Vorarbeiterin der Schöpfung
und reich an Macht, ihr Kind zu trösten. Elternschaft ist wunderbar
und hochgefährdet. Haben und hatten Kinder bei uns einen glücklichen
Start? Und Kind gewesen sein bei Vater und Mutter oder bei einem anderen
mütterlichen, väterlichen Menschen - wie war das für dich?
Der französische Literaturprofessor Jaques Lusseyran, sagte über
seine Kinderzeit: "Meine Eltern - das war Schutz, Vertrauen. Noch heute,
im Alter, spüre ich das Kinderzeit-Gefühl der Wärme über
mir, hinter mir, und um mich, dieses wunderbare Gefühl, noch nicht auf
eigene Rechnung zu leben, sondern mich ganz auf andere zu stützen. Meine
Eltern trugen mich auf Händen, und das ist sicher der Grund, warum ich
in meiner Kindheit wohl niemals den Boden berührte. Ich lief zwischen
Gefahren und Schrecknissen durch wie Licht durch einen Spiegel dringt. Das
ist es, was ich als Glück meiner Kindheit bezeichne, diese magische
Rüstung, die - ist sie einem erst einmal umgelegt - Schutz gewährt
für das ganze Leben" (aus: "Das wiedergefundene Licht").
Anderen ging es anders. Viele leiden bis heute an der blutenden Zeit ihrer
Kinderangst, an Mißhandlungen - auch die Streitgespräche der liebelos
gewordenen Eltern, die Drohungen von Scheidung, und es zerreißt das
Kind in dem Wunsch, beide zusammenhalten zu können und: Daß endlich
Ruhe einkehre, wie auch immer.
Kindheit, Vater, Mutter Großeltern - was ließ uns wachsen, was
ist uns eingewachsen - an Stärkung oder Schwächung? Wir können
nur Gott danken, wenn wir danken können.
Eine beschützte Kindheit hilft, Anforderungen und Gefahren zu dosieren
gemäß Einsicht und Aufnahmevermögen. Sie lehrt Vertrauen,
auch durch ihr Mühen, keine Versprechen zu brechen. Sie läßt
abschauen, daß man mit Fairneß durchs Leben kommt und bringt
Ehrfurcht bei vor dem Lebendigen in aller Kreatur. Sie zeigt die Umwelt als
Freundesland. Sie teilt Beurteilungen mit, Meinungen, Wertungen, bettet ein
in gewisse Urteilssicherheit der Eltern. Sie hilft, daß man Ethik
vorfindet, - nicht: Mach, was du willst; nicht: Beurteile nach Lustgewinn
- also Fernseher nicht als Nuckel; nur als Beispiel.
Mit Lust mögen Eltern lernen, was dem Kind in seiner Entwicklung gedeihlich
ist - zunächst liebevolle Nähe, Schutz, Nahrung,
Verläßlichkeit; die Eltern sind da oder kommen zur rechten Zeit
wieder, Regelmäßigkeiten sind wichtig, ein Rhythmus von Schlafen,
Essen, Nähe, Spielen. - Dann lernen in Gemeinschaft, schon früh
spüren lassen, daß das Kind was kann und gebraucht wird.
Kinder haben ein Recht auf Erziehende, die wissen, daß sie vorbildlich
sind - in Stärken und Schwächen. Kinder haben ein Recht auf Erziehende,
die achtsam damit umgehen, daß sie in den Kindern Zeugen haben - und
alles Gesehene, Gehörte, Gefühlte prägt. Darum ja auch die
seufzende Feststellung: Was nützt die beste Erziehung, die Kinder machen
doch alles nach.
Vater, Mutter sind Rollen, in die wir mittels der Kinder reinwachsen, Kinder
erziehen uns schon sehr. Was zur Hilfe kommt, sind Muster im Gedächtnis
der Menschheit - die weit über unsere kleinen wunderbaren, schwierigen
Eltern emporragen. "Vater" - ist ein Urbild von Beschützen und Sagen,
was richtig ist: Gottvater strahlt was ab auf den kleinen Erdenvater. Auch
in unserer Mutter leuchtet das Mütterliche Element, das Nährende,
das Erzählende, das die Fäden des Lebens Webende, Göttin gleich,
die Brust der Mutter ist die Leinwand der Welt; später geht uns die
Einheit verloren, bis wir als Himmel sie wiederfinden.
Vielleicht haben Töchter für die Gloriole des Vaters mehr Sinn
und Söhne spüren die Schutzmantelrolle der Mutter mehr - Väter
und Söhne sind oft sehr ungeschickt miteinander, sehr zum Leid der
Mütter, die sie ja beide liebt, ja, einen im andern.
Eltern sind groß, weil ihre Aufgabe groß ist, ja heilig. Sie
sind vom Himmel her erwählt, sind dem Kind Schicksal. Hoffentlich wissen
sie ihre Berufung.
Früher waren die Rollen von Vater und Mutter eisern, heute dürfen
und müssen wir die Lebensformen sehr weit selbst gestalten. Wer
Mutterschaftsurlaub nimmt, wer das Zuhause bestellt, ob Hausmann oder Hausfrau,
oder geteilt oder in Etappen, das müssen und dürfen heute die Eltern
selbst entscheiden; sicher bei immer noch ungerechten ökonomischen
Verhältnissen. Und Jammer bleibt die mit Kindern sitzengelassene Frau.
-
Heute kommt die ideelle Vater/Mutterschaft mehr zum tragen. Auch Männer
können umsorgen, pflegen, schmücken, singen, streicheln. - Auch
Frauen können verhandeln, ordnen, viel Geld verdienen, klare Kante ziehen,
Wächter über die Lebenschancen ihrer Kinder sein.
Wichtig ist, wieder neu zu sehen, wie dramatisch die Zeit der Kindheit ist,
wie der Anstieg von Jugendkriminalität in einem Jahr um 12 Prozent Alarm
ist. - Wir müssen uns anbieten als Helfende, als Paten, als Babysitter,
müssen beistehen denen, die heute Eltern sind. Welch Treue derer, die
im Sport die Jugendlichen zu Teamgeist anleiten, in der Jugendfeuerwehr oder
bei den Pfadfindern. Und in der Schule - wie ehren wir begnadete Pädagogen?
Auch unter denen, die den Schulbus fahren? Wer hat Kraft zum
Bewährungshelfer?
Dank an die Mütter, an die Eltern ist auch ein Dank an Gott, denn es
war doch Gnade, daß so viel Freude und Wachsen trotz allem gelang;
Muttertag kann man als Erntedankfest nehmen für die Früchte der
Erziehung. Wir durften anfangen mit einem "Goldenen Zeitalter". Elan ist
uns mitgegeben, daß auch mit uns, durch uns "etwas in der Welt entsteht,
das allen in die Kindheit scheint und worin noch keiner war: Heimat" (E.
Bloch).