Predigt 23. Oktober 1994
Keitumer Predigten Traugott Giesen 23.10.1994
Schicksal oder Zufall, - ein Blatt im Wind? - Lauf, Forrest, lauf!
Hier unterm Schiffsbalken mit diesem herrlichen Machtwort wurdet Ihr eingesegnet.
50,51 Jahre habt ihr damit gelebt: „Gott ist alle Energie und alle Liebe“.
Ihr seid geprägt von dieser Gewissheit. Auch wenn ihr selten zur Kirche kamt, habt ihr doch mit ihrem Schatz gelebt. Wie Hinnak- den traf der Pastor auf dem Feld. Tag Hinnak- warst lang nicht zur Kirche. Aber ich bete auch hier draußen. Ja was betest du denn: Ach Gott, du kennst ja deinen Hinnak.-
Schwestern und Brüder, das für mich aufregendste »denn« steht im Brief des
Paulus an die Philipper im 2. Kapitel: Schaffet, daß ihr selig werdet mit Furcht
und Zittern, denn Gott ist es, der in euch wirkt beides, das Wollen und das
Vollbringen nach seinem Wohlgefallen.
Selig werden, glücklich werden mit weitem Horizont, schaff das, müh dich,
schufte, denk nach, kämpf um deine Person mit Furcht und Zittern, also bis
zur letzten Konsequenz. Alles steht auf dem Spiel, sogar ewiges Leben.
Schaffe, schufte, kämpfe um deinen Seelenfrieden, denn, also weil Gott in
dir Wollen und Vollbringen bewirkt. Also weil alles Schaffen Schicksal ist
nach Gottes Plan und Gefallen. Weil alles Schicksal ist, darum schufte, als
wäre alles nur in deiner Hand.
Man hält es im Kopf nicht aus, aber wahrscheinlich hält es uns aus und ist
das Geheimnis unseres Lebens. Nicht Mühe oder Schicksal, nicht Vernunft
oder Gnade, sondern Mühe und Glück:
Weil alles bestimmt ist, kämpf mit höchster Vernunft.
Weil alles Gnade ist, müh dich.
Forrest Gump - ein zauberhafter Film. Forrest Gump - das ist das Schicksal
eines Menschen, eines Jungen, der mit Kinderlähmung losgeht, das Leben
angeht und eine Freundin findet, die, als die Jungen hinter ihm herhetzen,
schreit: Lauf, Forrest, lauf! Und er läuft, läuft mit seinen Schienen, bis die
Schienen zersplittern und er schneller ist als die Jungen.
Ein zauberhafter Film. Und in diesem Film fragt Forrest Gump: Ist alles
Schicksal? Oder sind wir Blätter im Wind? Und er sagt: Vielleicht sind wir
beides.
Bete, als hülfe kein Arbeiten, und arbeite, als hülfe kein Beten. Es ist ein
Thema, was wir nicht zu Ende bringen. Schicksal, Bestimmung, Geschichte,
die geschichtet wird oder Zufall, Berechnung, Arbeit, Fleiß? Schicksal also
Gottes Erfindung, die unser Suchen und Machen und Finden mit einschließt,
z.B. unser Elternsein?
Ist es Schicksal, daß wir Eltern sind? Oder umgekehrt: Ist es Schicksal, Kind
gewesen zu sein bei diesen Eltern? Ist das Schicksal gewesen? Ja! Und
trotzdem: dieses Schicksal haben doch wir Eltern mit bewirkt, haben es mit
getan. Mindestens dadurch, daß wir uns ein Kind wünschten, daß wir es nicht
verhindert haben, ist es doch mit gekommen. Also Gottes Schicksalskraft
benutzt unser Machen, unser Tun mit.
Kinder, ja, mindestens latent müßten sie doch gewollt sein, irgendwie, selten
gezielt. Wir glauben sie als Gottes Kinder. Das ist das starke Symbol der
Taufe: Gottes Kinder, und wir sind die - soll ich sagen Leihmütter, Leihväter?
Das Wort ist verdorben, aber ihr wißt, was gemeint ist. Nicht wir vollbringen
es, sondern wir werden vollbracht als die, die erziehen. Wir werden
schwanger, wir machen nicht schwanger. Wir werden Vater und Mutter,
bringen auf die Welt. Schicksal ist das eine und unser Tun dazu das andere.
Und blinde Natur fügt sich ineinander.
Ein anderes Beispiel: Die Bundestagswahl vom letzten Sonntag, Schicksal
und Menschenwille. Wir wählten oder gingen nicht zur Wahl und wählten so
auch. Doch dies Ergebnis, kam es zustande, weil es so sein sollte, oder weil
es so sein soll, wie es kommt? Wählten wir in dem Sinne: wir packten nur
Gottes Willen aus? Produzierten wir Gottes Willen? Wollte Gott dies Ergebnis,
und darum wählten wir so?
Oder ist Geschichte genau dieses wunderbare Machwerk aus Gottes Willen
und unserer menschlichen Freiheit, ein Netz des Willens Gottes, wo auch
unsere Menschenwillen die Fäden sind, mit denen Gott knüpft inclusiv
unserer Freiheit? Dein Leben, mein Leben, dein Beruf, deine Bindungen,
deine körperliche Konstitution, dein Gemüt - Schicksal? Wieviel Schicksal?
Viel mehr Schicksal als doch Erziehung. Auch Erziehung als Schicksal, die
Mutter als Schicksal.
Sterben wir, du und ich, wenn es bestimmt ist? Es ist bestimmt in Gottes Rat,
daß jeder Mensch sein Leben hat und muß scheiden. Wir glauben doch, daß
Gott Tag und Stunde weiß. Glauben wir es? Es rührt an die tiefsten Wurzeln
unseres Glaubens. Im Lied "Ich steh an deiner Krippe hier", gibt es einen
Vers, der heißt: Eh ich noch nicht geboren war, da warst du mir geboren und
gabst dich mir zu eigen gar, eh ich dich hab erkoren.- Also Gott weiß von mir,
ehe ich bin. Und wenn Gott von mir weiß, bevor ich in die Chromosomen
gefüllt werde, dann weiß er doch auch, bevor ich sterbe, daß ich komme. Nur,
warum höre ich denn auf zu rauchen, wo ich doch so gerne geraucht habe?
Benutzt jetzt Gott mein endlich Klugwerden, um seinen Willen zu erfüllen?
Kann Gott ohne mein Klugwerden seinen Willen nicht erfüllen? Es rührt an
die tiefen Schichten unseres Lebens. Ich weiß nur eins: Gott weiß. Und was
wir wahrnehmen vom Willen Gottes... Garl Gustav Jung hat einmal gesagt:
Wir wissen weniger von Gott als eine Ameise vom Britischen Museum. Das
soll nicht zum Lachen sein. Es ist nicht wichtig, daß unser Glauben, unser
Machen, unser Leisten uns trägt, sondern daß wir getragen werden. Daß Gott
an uns glaubt, das ist die Stärke unseres Glaubens. Wir brauchen keinen
starken Glauben, wir brauchen einen starken Gott, einen Gott, von dem wir
glauben, daß er noch mit unserem Schwachsinn fertig wird und mit unserer
Sünde.
Also: Mein Verzicht aufs Rauchen und meine Fahrtüchtigkeit sind Bestandteil
des Willens Gottes. Dennoch garantiert gesundes Leben nicht Altwerden und
sorgfältiges Autofahren nicht, daß ich ohne Unfall bleibe. Schicksal, mein
Mühen, meine Sorgen inklusive!!
Aber daß ich Kain werde oder Abel, in Indien geboren werde oder auf Sylt,
Mann oder Frau, schwarz oder weiß, soviel ist bestimmt. Alles was ist, ist
bestimmt. Doch was wird, ist eine Mischung aus Gottes Willen und
Menschenwillen.
Meins ist: schaffet, daß ihr's gut macht.
Gott bewirkt Vollbringen.
Ich finde darin den wunderbaren Trost, Freispruch und Trost zugleich.
Freispruch, weil Gott uns Luft läßt zu schaffen. Und in dem Wort »Wir sind die
Kinder Gottes, die Erben seiner Verheißung, wir sind die Teilhaber an seinem
Schöpferdasein« macht er uns zu den Inhabern dieser Welt, zu denen, die
die Welt nutzen dürfen. Das »Macht sie euch untertan« das klingt so herrisch;
besser: "Nehmt sie doch in Gebrauch". Nehmt die Erde in Gebrauch und nutzt
den Acker und die Felder und das Wasser und die Natur, nutzt sie. Das ist der
Freispruch. Und gleichzeitig ein großer Trost, weil ich letztlich Gottes Medium
bin. Denn Gott ist es, der in euch ausrichtet Wollen und Vollbringen. Also sind
wir Gottes Werkzeuge, Medien. Darum bin ich letztlich nicht allein schuld an
dem, was ich falsch mache. Gott nimmt mich auf seine Kappe. Das steckt da
drin.
Gott schafft, darum schufte und tue. Da kommt sogar Luther zu dem Satz: Tue
so viel Gutes wie möglich und sündige tapfer drauflos dabei. Mit dem
Sündigen kommt Gott klar, wenn wir unser Quantum Gutes tun. Vulgär
gesagt: Nicht die fleißigen Teufel sind Gottes Problem, sondern die faulen
Engel. Will sagen: Gott baut aus unseren Aktivitäten und aus der wunderbaren
blinden Natur seine Geschichte. Und das bringt Freispruch und Trost
und auch ein Stück Demut bei uns. Ich kann nichts für meine Begabungen,
und ich sollte auch aus meinen Begabungen nicht zuviel Beifall und
Einkommen und Privilegien für mich ziehen. Klar, schaffen können ist herrlich
und wunderbar und wichtig, aber ich bin nur zuständig im Rahmen dieser
Begabung, im Rahmen meines Wissens, was mir anvertraut wird. Und das ist
auch Last und Mühe und Strapaze.
Vielleicht ist es richtig, daß wir so glauben: Jedem ist es sein Schicksal, im
Rahmen seiner Begabungen und seines Wissens zu leben und mit seinem
Gemüt auszukommen. Denn es ist Schicksal, mein Gemüt.
Der dich erhält, wie es dir selber gefällt. Daß Gott uns so erhält, wie wir es
selber letztlich gerne haben, das ist ein Trumpf, von dem Gott hofft, daß wir
ihn letztlich abliefern.
Zwischendurch werden wir krank, zwischendurch vergessen wir, daß Gott
uns liebt. Aber "denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten
dienen", ein Wort des Paulus. Und das klingt wie eine eherne Bestimmung:
Alles Geschehen dient dir und bedient dich, der du Gott liebst. Nicht weil du
Gott liebst, sondern weil du Gott glaubst, wirst du vom Leben bedient.
Krankheit bleibt natürlich Einschränkung, bleibt Mühsal. Und es gibt
Einschränkungen, die sind so nah am Sterben, sind Vorgriff, sind Übung fürs
Sterben. Und es gibt keine verpflichtenden Muster: so oder so mußt du deine
Krankheit denken, ob Schicksal oder Zufall. Ich kann aber nur für mich sagen:
Ich wäre lieber in Gottes Hand als in Hand blinder Viren. Ich will vielmehr die
Viren als Geschick, als mir geschickt annehmen. Und trotzdem will ich nicht
glauben, daß Gott mir Viren schickt. Das ist genau das Dilemma, in dem
unser Glaube lebt: Ich will nicht denken, daß eine hohe Stelle Beschädigungen
schickt, schon gar nicht Strafen. Will aber glauben, daß Gesundheit
Geschenk ist. Wenn ich glaube, daß Gesundheit Geschenk ist, ist der
Schenker doch auch zuständig für Mangel an Gesundheit. Aber es muß kein
Widerspruch sein, nur für unsere Logik, die immer nur ja/nein, ja/nein,
entweder/oder weiß, ist es ein Widerspruch.
Gott ist das Lebendige am Leben. Gott ist der, der vom Bösen erlöst. Gott ist
die Liebe, die neu macht, schön macht. Gott ist der, der hilft, dich
anzunehmen. Wir bleiben immer die Geliebten seiner Liebe, auch wenn uns
sein Lieben eben jetzt nicht erreichen kann. Durch unser Hassen und
Ängsten entziehen wir uns dem Frieden Gottes. Durch Jagen und Hetzen
überfahren wir den behutsamen Freudegeber Gott. Durch Furcht vor
Altwerden und Kleinwerden - nicht mehr Verfügenkönnen, das ist unsere
schlimmste Furcht - machen wir den Tod zu einer gottfernen Zone. Nur weil
wir uns so sportlich und aktiv und attraktiv und erfolgreich wollen, halten wir
Leid und Schmerz für gottverlassene Wüste.
Aber es gibt doch Zeugen eines anderen Lebens, die bezeugen, wie sie auf
dem Grund des Leidens Gott getroffen haben. Wie sie geflucht und Gott
gestrichen hatten aus ihrem Leben, aber tiefer sinkend in Schweigen und
Verlassenheit, sehen sie sich in fester Hand geborgen. Und ein Glutkern
Gewißheit innen leuchtet ihnen; sie erfahren den Gang des Jesus von
Karfreitag bis Ostern noch einmal; sie singen ihr »Auferstanden aus Ruinen«.
Und im Forrest Gump - Film, da rettet Forrest einen Leutnant aus dem
Flammenmeer. Ohne Beine verflucht dieser Leutnant den Retter im Hospital
und Gott und alle. Er wußte nichts anderes als Kämpfen und Held werden,
und nun muß er ohne Beine weiterleben. Und Jahre später treibt der
Shrimps-Kutter von Forrest im Taifun, und der Leutnant ohne Beine oben im
Mast kommandiert das Schiff und bringt dieses Schiff durch den Taifun, und
alle anderen wurden im sicheren Hafen durch den Sturm zerstört. Nur Forrest
und der Leutnant haben überlebt, werden Millionäre und legen ihr Geld an in
einer Obst-Firma "Apple-Computer" - er hat das gar nicht so richtig mitgekriegt.
Später, der Leutnant auf neuen Füßen, klopft mit seinem Stock an
seine neuen Fußstützen: "Titan, Titan - Raumfahrt" und dankt Forrest und
Gott für die Rettung von damals, will sagen, im Karfreitag wissen wir nicht
Ostern, aber wegen dieses Modellmenschen Jesus wissen wir, daß Ostern,
die Auferstehung naht, mitten durch den Karfreitag hindurch. Und diese
Zeugen einer anderen Lebensart, die müßten wir uns mehr aufspüren und
mehr bewahren.
Die Bibel ist voller Rettungsgeschichten und ist doch nur ein beleuchteter
Ausschnitt des großen Lebens. Deine, meine Rettungsgeschichten gehören
mit dazu. Und die leuchtenden Antlitze derer, die uns starben, die uns ein
Signal noch gaben, daß alles Kämpfen von ihnen abgefallen ist, und die im
Haus von Licht sind, die gehören doch auch mit zu den Rettungsgeschichten.
Ich möchte an Bestimmung glauben in unser aller Leben. Eine Berufung hat
jeder Mensch, er muß sie nur hören. Und solange er sie nicht hört, solange er
nicht hört, was sein Auftrag ist, ist es seine Bestimmung, sie zu suchen. Und
wir sind bestimmt, unsere Begabungen ins Leben auszugeben, bis wir von
Gott zurückgenommen werden. Das heißt nicht, daß wir hier nur abspulen,
was längst bestimmt ist; wir stellen nicht nach, was ein ewiges Drehbuch
längst beschlossen hat. Mit dem uns eingeräumten Spielraum an Freiheit
und Lust und Schuld schreiben wir an unserem Drehbuch mit und damit an
dem Drehbuch der Welt und damit auch an Gottes eigenem Drehbuch.
Paulus sagt das einmal so: Wir sind Gottes Bauleute und Gottes Bau in einem
(1. Ko 3,9).
Als Eltern zeugen wir Gottes Kinder, als Bürger wählen wir Gottes Regierung,
als Polizisten hüten wir den Raum der Freiheit, der uns von Gott eingeräumt
ist, als Krankenschwester sind wir die Balsamkräfte den Geschundenen,
geben Gottes Liebe Hand und Fuß, als Kaufleute vermitteln wir nötige,
nützliche, schöne Dinge, als Pastoren lassen wir uns finden vom klärenden
tröstenden Wort.
In allem gilt: Schaffet, daß ihr selig werdet mit Mühen, denn Gott richtet das
Vollbringen in euch aus. Betet, aber fahrt fort, ans Ufer zu rudern, damit ihr
ankommt. Pflanzen begießen ist unsere Sache, Gottes Sache ist das
Gedeihen - Gott ist das Gedeihen (1 Ko 3, 7).
Amen