Predigt 25. Juni 1993
Keitumer Predigten Traugott Giesen 25.06.1993
Lobe den Herrn, viele Strophen
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat
und tun wird.
Psalm 103,2
Dieser Freudenruf ist ausgefaltet in ein Lied, wohl eines der intensivsten
unseres Gesangbuches:
Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren, meine geliebete
Seele, das ist mein Begehren.
Kommet zuhauf, Psalter und Harfe, wacht auf, lasset den Lobgesang hören!
Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret, der dich auf Adelers Fittichen
sicher geführet, der dich erhält, wie es dir selber gefällt,
hast du nicht dieses verspüret?
Lobe den Herren, der künstlich und fein dich bereitet, der dir Gesundheit
verliehen, dich freundlich geleitet. In wie viel Not hat nicht der gnädige
Gott über dir Flügel gebreitet!
Lobe den Herren, der deinen Stand sichtbar gesegnet, der aus dem Himmel mit
Strömen der Liebe geregnet. Denke daran, was der Allmächtige kann
der dir mit Liebe begegnet.
Lobe den Herren, was in mir ist, lobe den Namen. Alles, was Odem hat, lobe
mit Abrahams Samen. Er ist dein Licht, Seele, vergiss es ja nicht.
Lobende, schließe mit Amen.
(Joachim Neander 1680)
Zu den Höhepunkten des Lebens haben wir es gesungen, wünschen es
noch viele Male mit vielen zu singen. Vielleicht hast du ja heute Geburtstag
oder Hochzeitstag oder ein Jubiläum oder ein Herzklopf-Ereignis anderer
Art, dann nimm es noch persönlicher, ganz für dich.
Aber jeder, jede wird in den eigenen Lebenslauf zurückgeführt.
Die wichtigsten Stationen des Lebensbogens tauchen auf: Geburt, Taufe,
Erwachsenwerden Konfirmation, das Bündnis fürs Leben
die Trauung. Vielleicht Silber- oder Goldhochzeit, hohe Geburtstage der Eltern.
Oft schon, wenn wir glücklich waren, schmetterten wir Lobe den
Herren.
Dein, mein ganzer Lebensbogen ist in diesem Lied aufgespannt. Freude und
Mühe und Katastrophen und Rettung, Alltag und Fest sind mit hinein gewoben!
Und ich werde bei meiner besten Seite genommen, meine wohl wichtigste Begabung
wird aufgerufen. Etwas in mir rüttelt mich wach: Lobe den Herrn, meine
Seele, komm, staun doch, lob doch, preise, du bist kein Holzklotz, du musst
es doch merken, meine geliebete Seele: Lob ist fällig.
Du kannst nicht die Fülle des Lebens verbrauchen, wie die Kühe
die Weide abgrasen, gleichmütig. (Verzeiht, liebe Kühe draußen
auf der Weide, eure Augen erzählen, dass ihr dankbare Wesen seid. Klug
von Natur aus, ihr lobt ja wohl Gott automatisch, indem ihr dem Leben nutzt,
uns ernährt und keinem etwas zu Leide tut und noch das Gras kurz haltet.)
Kühe danken wohl von selbst. Aber wir Menschen müssen uns ermahnen,
müssen unserer Seele Sporen geben: Lob doch, dank doch!
Allein schon heute morgen das Frühstück war ein Erntedankfest wert.
Der gute Kaffee, das duftende Brot, die frische Butter. Es ist doch wahr:
Ein König der Ehren muss die ganze Schöpfung im Bau haben. Denk
nur, wie viel Naturgesetze ineinander haken müssen, wie viel Entwicklung
aufeinander abgestimmt sein muss, damit Korn wachsen kann, das dann von uns
Menschen als Brot verdaubar ist. Wir müssen irgendwie verwandt sein
mit dem Korn, sonst wäre es für uns nicht genießbar. Darum:
Zum Essen ein Dankgebet ist allemal intelligenter als einfach nur sagen:
Mahlzeit und reinhauen. Schlingen geht ja von selbst, aber Lob
und Dank kommt aus Nachdenken und Hinfühlen und Hinhören. Nimm
Bachs Musik. Sie kehrt Gottes Innerstes nach außen und verflüssigt
mein, dein Sehnen, rührt uns, rückt uns die Verhältnisse zurecht.
Das ist nicht Geplätscher, als bliebe alles beim Alten, sondern Inbrunst
und Aufruhr der Sinne. Wir kommen zusammen, wachen auf, werden zu Harfen
und Pauken, auf denen Gott sich ein Loblied spielt.
Der dich erhält, wie es dir selber gefällt, hast dus
verspürt? Doch ja, im Nachhinein siehst du dein Leben als Kette von
Bewahrungen. Perlen der Berührung reihen sich aneinander. Dazwischen
auch Abstände: Dunkel, Schmerzen, Abschiede, Schuld, Gewalt, Ohnmacht.
In deinem Leben auch finsteres Tal, Sackgassen, Verzweiflung, du erstarrst
vor Schreck, wurdest zu Eis vor Gram, hilflos, nicht helfen zu können.
Und lassen müssen, zulassen, ertragen, ausbaden, weiden das musstest
und musst du auch. Aber wo Grauen ist, wächst das Rettende auch. Du
fandest dich wieder als wieder gefundenes vom Leben, von Gott. Du kamst wieder
in Gang, du wurdest wieder bereitet für eine neue Liebe, wurdest wieder
gebraucht und bekamst neue Chancen.
Beglückend heißt es im Psalm: Den Sack der Trauer hast du
mir ausgezogen und mich wieder mit Freuden gegürtet. Du hast meine Klage
verwandelt in einen Reigen, Du, Gott, stellst meine Füße auf weiten
Raum (Psalm 30,12; 31,9).
Doch, Mitmensch, du hast es gespürt, dass letztlich es gut wurde mit
dir, spürst, dass es gut wird.. Hindurch getragen bist du durch die
Mühen, bist mehr du selbst geworden und kannst jetzt auch die Umwege
und Irrwege annehmen als zu deinem Lebenslauf dazugehörend.
Gott hat dir mit der Zeit den Verlust aus dem Mittelpunkt gerückt oder
wird es tun.
Dass Gott alles so herrlich regieret, ist ein Spitzensatz des
Vertrauens. Man kann ihn nicht alle Tage über die Lippen bringen. Auch
schließt er den Schmerz mit ein, den Gott erleidet mit seiner Welt.
Wie eine Mutter den Schmerz des Kindes mitleidet, fast mehr noch als das
Kind selbst, so ist es doch auch mit Gott. Wenn die Welt sein Körper
ist, dann empfindet Gott alle Schmerzen am eigenen Leib und doch alle Freuden
auch.
Uns bleibts aufgegeben zu bitten: Dein Reich komme, Dein Wille geschehe,
weil ja so viel, was Gott nicht will, noch geschieht. Doch dabei soll
es nicht bleiben.
Alles gelebte Leben, wenn Gottes Regieren vollständig sein wird,
mündet in nicht endende Freude für alle Kreatur, das glaube ich
fest. Und darum singe ich schon jetzt manchmal aus Vorfreude von diesem
herrlichen Regieren. Es ist ein vorauseilender Lobpreis. Aus Besichtigung
der Weltlage drängt er sich nicht auf. Aber soviel Bewahrung in meinem
Leben lässt mich an wunderbare Fügung glauben. Nicht immer am finsteren
Tal vorbei, sondern hindurchgeführt ich, du, habe mit viel Verlusten
leben gelernt. Eine Handbreit über dem Chaos auf Adelers Fittichen sicher
geführet, ich, du, mal dir das aus.
Kunstvoll und fein dich bereitet. Aus dem winzigen Urspruch zweier
Zellen deiner Eltern: du, wunderbar, einzigartig, unverwechselbar, ein Original
des Schöpfers, von Kopf bis Fuß und den Fingerabdruck deines Daumens.
Und welch ein Lebensbogen hat sich dir schon aufgetan. Soviel Zeit ist dir
schon gewährt, soviel Lachen dir geschenkt, mit Geschick bist du begabt
und mit hinreichender Klugheit. Und Raum für Sünde ist dir gelassen,
für Schuld und Vergebung und gnädiges Übersehen und Gutmachen.
Er hat deinen Stand sichtbar gesegnet, aus dir ist etwas geworden.
Aber du kannst dir nicht danken für dich. Morgens vor dem Spiegel wirst
du ehrlich. Du siehst die Schleifspuren des Schicksals in deinem Gesicht.
Und dankst, noch die Sonne sehen zu dürfen, diesen Tag wieder das Deine
tun zu können. Deine Lebenskraft strömt dir zu. Du machst sie nicht,
sie macht dich. Wir werden doch ins Leben gehalten. Ungeheuer groß
ist dieser Vertrauensvorschuss. Du gut, du tauglich, du, mit deinen, in deinen
Grenzen, ein Kunstwerk der Schöpferlust Gottes. Lass es dir doch sagen,
genieß dich, sei gern du, hilf, dass andere gern sie selbst sind. Denke
daran, was der Allmächtige kann, der dir mit Liebe begegnet.
Zugegeben, das Wort Allmacht ist schwierig, mir doch auch. Es
meint, alle Macht gehört Gott. Doch es gibt ja noch eigenmächtige
Menschen, die sich selbst zu kleinen Herren aufplustern, oft auch aufgeblasen
werden zu grandiosen Typen durch schwaches Selbstbewusstsein anderer. Aber
diese kleinen Herren, so gefährlich sie auch sind, sie sind es zum
Glück nur für kurze Zeit, dann fällt sie die Konkurrenz und
ganz sicher der Tod.
Dass Gott der menschlichen Eigenmächtigkeit Raum lässt, ist nicht
Schwäche, sondern die Liebe verzichtet auf Gewalt und lässt frei
auch zu Irrtum und Schuld. Diesen Zusammenhang erinnert Kirche. Die Liebes-
und Leidensgeschichte von Abraham und Sara an wird mit uns fortgesetzt. Du,
ich, nicht Solisten des Lebens, Eigenbrötler und Vergessene, sondern:
Alles, was Odem hat, lobe, preise, glaube, hoffe mit und schöpfe aus
Gott, der unausschöpflichen Quelle guter Möglichkeiten.
Er ist dein Licht, Seele, vergiss es ja nicht.