Predigt 15.05.2005
Keitumer Predigten Traugott Giesen 15.05.2005
Pfingsten
"Schaffe in mir Gott ein weites Herz und gib mir einen neuen gewissen Geist.
Verlier mich nicht, ach, lasse deinen Geist bei mir. Hilf mir zu einem
freudvollen Geist." (Nach Psalm 51 12-14)
"Ich bin überzeugt, daß die Leiden dieser Zeit mal nicht mehr
ins Gewicht fallen werden gemessen an der Herrlichkeit, die auf uns zukommt.
Das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, daß die Kinder
Gottes offenbar werden. Auch die Natur wird frei werden von der Knechtschaft
der Vergänglichkeit, wird teihaben an der herrlichen Freiheit der Kinder
Gottes. Wir wissen, daß die ganze Schöpfung noch mit uns seufzt
und sich ängstet. Und auch wir, die wir Proben von Geist schon haben,
seufzen in uns selbst und sehnen uns nach voller Erlösung. Wir sind
zwar schon gerettet, aber doch nur erst auf Hoffnung. Der Geist helf unserer
Schwachheit auf." (Nach Römer 8, 18-26)
Apostelgeschichte 2:
"Fünfzig Tage nach Ostern, waren die Jünger und die Frauen um Maria
und eine Schar Freunde des Christus beieinander in Jerusalem. Und es geschah
plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und
erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen
Zungen, zerteilt wie von Feuer; die setzten sich auf einen jeden von ihnen,
und sie wurden alle erfüllt vom Heiligen Geist und sie fingen an zu
reden in Sprachen, wie der Geist ihnen gab, es auszusprechen.
Es wohnten aber in Jerusalem auch Juden aus allen Völkern unter dem
Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam eine Menge zusammen und wurde
bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden.
Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht
diese alle, die da reden, aus Galiläa? Was hören wir denn jeder
seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen
in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien,
Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen
und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Pleter: wir
hören sie in unsern Sprachen die großen Taten Gottes reden. Sie
entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern:
Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind
voll süßem Weines. Ein jeder hörte sie in seiner eigenen
Sprache reden."
Dies ist mir die höchste Gabe des Heiligen Geistes. Sie trifft genau
unsern schärfsten Mangel. Was, wenn wir unglücklich sind, fehlt
uns denn am meisten? Doch Sprache. Daß ich mich verstehe. Und: daß
einer mich versteht und in meiner Sprache mir antwortet, also mir aus dem
Herzen spricht und ich ihm.
"Die harte Mauer der Unbenennbarkeit der Dinge durchbrechen."(P. Nádas),
"die Last der Wortlosigkeit abwerfen" (Cioran) - das macht der Heilige Geist.
Gott äußert sich, verströmt sich.Weil Gott sich mitteilen
will, schafft er Welt und darin hörfähige Kreaturen, die nach ihm
fragen und nach einander. Seine Energie zündet besonders, wenn bei uns
die verschiedenen Interessen ins Gleichgewicht gewuchtet werden. Wenn wir
unsere Wünsche und Begabungen in Einklang bringen. Dann ist viel Heiliger
Geist am Werk.
Manchmal kann man die Köpfe richtig rauchen sehen - ja, das Bild der
Pfingstgemeinde gilt auch für heute: Nach schweren Verhandlungen, nach
harten Kämpfen zwischen Eheleuten oder Geschwistern ums Erbe, dann,
wenn sie einander verstanden haben und in einer Sprache das alle
zufriedenstellende Ergebnis verkünden, dann kann man über ihnen
so eine Art Flamme sehen, die die Bedenken abgeschmolzen hat.
Die Flamme über den Köpfen ist ein Bild für Heiligen Geist:
Die Mandorla, der Heiligenschein, ein anderes. Meist geht die Erleuchtung
von einem aus, der mit seinen vermittelnden Worten, vielleicht auch mit einem
Stück eigenen Verzichtes den Weg ebnete zur Einigung. Aber ein echter
Heiligenschein breitet sich ja aus auf alle Beteiligten. Er liegt auch auf
den Haaren, aber mehr noch auf den Gesichtern derer, die Frieden fanden.
Doch der Alltag erschöpft eben auch und die Seelen müssen wieder
blankgeputzt werden, und ein Sturm frischer Worte muß unsere fertigen
Vorstellungen durcheinander wirbeln.
Wir sind so beschaffen, daß wir uns weitgehend ergänzen, uns
fördern, uns arbeitsteilig beistehen können. Nur, es kann zu
Unfällen kommen: in der Katastrophe bekriegen wir uns, und die Kriege
beginnen immer mit bewaffneter Sprache. In der Krise gehen wir uns aus dem
Weg. Aber im Normalfall wäscht eine Hand die andere, und im Fall der
Liebe tun wir alles für den andern.- Ganz schlicht im Alltag macht Heiliger
Geist das "auf die Lippen beißen" und gerade jetzt nicht explodieren,
oder die Enttäuschung auf sich laden und verdauen, den andern froh sein
lassen, auch wenn man eben nicht mitgemeint ist, nicht in ein Reden, ein
Lachen eingemeindet ist.
Wir sind mit Sinn fürs Gemeinsame geschaffen, und das wichtigste Mittel
uns überein zu bringen, ist die Sprache. Ursprünglichst ist die
Sprache der Körper. Die Wärme, das Feuchte, das Streicheln, das
Nähren, die Körperheimat des Kindes in der Mutter, dann bei ihr
und bei den heutigen Vätern ganz langsam auch. Davon abgeleitet, das
Körpernahe der Liebesumarmung, die ja den Glanz aufs Haar und in die
Augen legt. Musik kann die Körper verflüssigen helfen, im Wohlklang
kannst du selbst Musik werden.
Eine Unterabteilung der Körpersprache ist die Sprache der Hände.
Das einfache Hand in Hand gehen. Dann Hand anlegen an einen und für
einander, handwerken, handeln, handfest für einander da sein. Wenn der
Geist stimmt, kann ohne viel Worte ein Werk werden.
Wenn der Geist stimmt meint: Gemeinsam von einem Interesse beseelt
sein. Dazu ist die Wortsprache nötig, neben der Körpersprache hat
der Gott der Kommunikation auch sie gefunden. So können wir Sachen und
Pläne und Gefühle in Worte fassen. Diese Gnade, daß wir einander
uns verständlich machen können, uns ausdrücken können,
uns nicht dauernd schlagen müssen, wenn wir uns nicht mögen und
uns nicht dauern küssen müssen, wenn wir uns sehr leiden können,
sondern wir haben Sprache bekommen, mit der wir uns vermitteln können.
Nur: ein Schlag ist immer ehrlich, eine Liebesumarmung immer echt - eine
Handarbeit, eine Leistung, ein Brot, ist immer wahr.
Aber die Sprache kann lügen, hinter Worten können wir uns auch
verbergen, Worte können auch misstrauisch machen, können
zuknöpfen . Da kann man reden- mit Menschen und mit Engelszungen
- so Paulus, "und ist der Geist der Liebe nicht - so wäre ich nur ein
scheppernder Gong oder eine klirrende Glocke" (1.Korinther 13) das erlebt
man schon: Sie hörte mir geduldig zu. Blieb aber eine stumme Insel,
die ich mit meinen Worten umschiffte (P.Nádas), aber ich konnte
nicht anlegen, nicht landen.
Heute feiern wir, daß uns Sprache gegeben ist. Den andern in seiner
Sprache erreichen, ihn in seiner Sprache verstehen, sein Herzensanliegen
teilen. Dein Inneres und mein Inneres bilden dann ein Inneres - das ist Heiliger
Geist. Der macht aus Zweien eins, aus vielen ein Ganzes.
Der Geist leistet Schwerarbeit. Denn jeder ist ja die Mitte seines Systems.
Jeder hat seine eigene Gendatei. Jeder ist das vorläufige Ende einer
langen Erfahrungsgeschichte. Der eine hält lieber fest, und die andere
verflüssigt es lieber in Sachen und Feste, der eine hat mehr Angst um
die Zukunft, und die andere lebt rein gegenwärtig. Und die Zeit ist
knapp und die Aufmerksamkeit ist auf eine Minute, 30 Sekunden getrimmt, und
um die Rohstoffe konkurrieren immer mehr Menschen. Wieviel Heiligen Geist
braucht es, die große Menschheit zum gerechteren Verteilen anzuleiten?
Und im Kleinen: Wieviel Verstehen braucht die Liebe?
Es bleibt nur eins: An den Heiligen Geist glauben. Fahrt aufnehmen in Richtung
Inspiration: Geist wittern. Ihn wirksam fühlen unter uns, das ist die
einzige Möglichkeit. Bittet, suchet, klopfet an, sagt Jesus, vergebt
77 mal 7 mal, wenn einer einen Rock will, dann gib ihm auch den Mantel, setzt
auf Verstehen. In diesem Zusammenhang: mal ein Beifall für alle Lehrer
und Erzieherinnen, die mit Geduld und Konsequenz Wissen und Haltung beibringen.
Und Beifall allen Dolmetscher, die des einen Wortfracht übersetzen ans
Ufer des anderen, es in seine Bilder füllen.
Also bitten wir um Heiligen Geist: Setzen wir den Atem Gottes in jeder seiner
Kreatur voraus. Natürlich kann man auch verrückt werden, auch
verrückt gemacht werden. Eine Faszination kann im Würgegriff
der Verzückung halten (DeLillo), dann sollte ein Freund mal einen
kalten Schauer über einen kippen. Andererseits: Deine Begeisterung kann
andere ganz unberührt lassen, genau wie bei den ersten Christen - sie
wähnten sich schon am Anfang des Himmels, sie sahen das Babylonische
Sprachengewirr aufgehoben durch gemeinsame Freude, gemeinsames Loben des
Lebens. Andere aber konnten damit nichts machen und hielten sie nur für
betrunken.
Das ist auch so eine Erkenntnis: Der Heilige Geist erreicht nicht alle auf
einmal, nicht alle auf eine Weise, er ist mehr wie ein warmer Wind, der langsam
die Blätter aus den Knospen wickelt, langsam bekehrt der Geist die Menschen
zu einander hin. Die engen Stirnen werden geweitet. Und die Alten sind oft
verknüpfender als die Enkel. Sagt der Enkel zur Großmutter:
Ach, du kriegst doch von dem Trubel gar nichts mehr mit. Und
Großmutter hellwach: Aber ich bin doch dabei.
Heiliger Geist schmilzt das Trennende der Unterschiede. Erstaunlich wie
ähnlich wir sind - das offenbart der Heiligen Geist. Fremdeln wir nicht
mehr so viel. Jeder hat Hunger, jeder braucht Achtung, jeder braucht gute
Worte. Anherrschen tut weh, und auch das Stummbleiben, das ins Leere laufen
lässt. Also bitten wir um Heiligen Geist, den Stoff, der vereint. Auch
mal wieder ein Kuß für Kirche. Sie ist doch das Bild der einen
großen Familie - quer durch alle Stammbäume Sie wahrt auch den
Grundtext des Lebens, die Liebe, quer durch alle Sprachen. Wir brauchen nicht
gerade für einander in Flammen stehen, aber doch gut, daß wir
uns haben. Gratulieren wir uns zu einander. Amen