Predigt 3. April 2005
Keitumer Predigten Traugott Giesen 03.04.2005
Johannes 20,24-31 Thomas
Thomas aber, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.Dann
sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber
sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale
sehe und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben. Und nach
acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt und Thomas
war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt
mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! Danach spricht er zu Thomas:
Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand
her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern
gläubig! Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!
Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du.
Selig sind, die nicht sehen und doch glauben! Dies aber, so der Nachsatz
des Evangelisten Johannes, ist geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus
der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben
habt in seinem Namen.
Johannes Paul II ist gestorben. Kein Mensch vor ihm hat sich in seinem langsamen
Schwächerwerden den Augen und der Einschätzung so viel anderer
hingehalten. An keinem Sterben haben so viele Menschen teilgehabt wie an
dem dieses Papstes. Er wolle von seinem Amt erst lassen, wenn Gott selber
ihn abruft, hatte er gesagt und suchte bis zuletzt seine Mitbrüder und
Schwestern zu stärken, sich auch vom Anblick der betenden und winkenden
Menge stärken zu lassen. Dann wurden die Gardinen zugezogen, ein Kardinal
sagte, er berühre schon das Antlitz Gottes. das war die letzte Verlautbarung
von ihm, vor seinem Tod.
Er war uns Mitmenschen im Glauben ein Vorbild. Er wollte stärken alle,
die zweifeln ob überhaupt noch was komme und ob der christliche
Glaube überhaupt lebenswichtig sei. Damit ist er ähnlich dran,
wie der Evangelist Johannes, der die Nachwelt mitreißen will zu
großer Zuversicht. Johannes erzählt die Existenz des Auferstandenen
in starken Bildern: wie ihn Maria verwechselt mit dem Gärtner, und wie
die Jünger nachts beim Fischfang ihn auf sich zukommen sehen. Und er
lässt auch Thomas auftreten, den Zweifler. Die Jünger erzählen
dem Thomas von der Erscheinung des Herrn, die Thomas versäumt hatte.
Ihr könnt mir viel erzählen, sagte er, Wenn ich
nicht meine Hand in seine aufgeschlitzte Seite legen kann, ist für mich
mit dem Tod alles aus, auch sein Leben, so strahlend es auch immer war.
Thomas steht für unsere Skepsis nach dem Motto: Macht euch das
Leben angenehm, nicht Himmel gibts, nicht Wiedersehen. Tolstoi und
Freud meinten, unsere Sehnsucht nach ewigem Leben sei kindisch, ja egoistisch.
Aber mit Neugier sterben, das sollte erlaubt sein. Auf den Himmel hoffen,
halte ich für menschlicher, phantasievoller, visionärer als
schlußausvorbei. Schon um Jesus willen. Für ihn weiß
ich die Gegenwart bei Gott und für Mozart und für Bruder Papst
und für meine Eltern auch, und du für deine auch. Aber gibts
nicht so was wie Beweise?
Der Evangelist Johannes erzählt, Jesus habe dem Zweifler den handgreiflichen
Beweis geliefert. Aber wir, warnt Johannes, die nächste
Christengenerationen, sollen solchen Beweis nicht mehr verlangen. Glauben
ist seliger als schauen. Und damit gib dich zufrieden, moderner Mensch. Wir
brauchen keine Beweise sondern wir brauchen glaubwürdige Menschen. Und
die Faszination des Johannes Paul II rührt wohl davon, daß dieser
Mensch vor Gewissheit strotzte; er wußte, daß der Erlöser
lebt. Und er nahm die Leiden dieser Zeit als Wegweiser zum Himmel. Ein
Stück nachahmen müssen wir die Leidensbereitschaft Christi. Nicht
an sein Kreuz müssen wir, aber unser Kreuz sollen wir tragen. Wir
dürfen Gott nicht allein mit den Leidenden lassen. Wir müssen einander
die Last mittragen. Allein diese Geste des Papstes, bei Ankunft im fremden
Land auf die Knie zu gehen und den Boden zu küssen, den Boden, der soviel
Blut aufgesogen und soviel Leid gesehen hat aber auch so viel Freuden wachsen
lässt- allein diese Geste der Ehrfurcht für Mutter Erde kann auch
einen hartgesotteten Zweifler rühren.
Was mag das meinen: Thomas will die Nägelmale des Leibes Christi und
seine Seitenwunde berühren dürfen.- Thomas, der dazugehört,
ist noch verkrümmt in seiner Todestrauer, für ihn ist Jesus dahinten
gelassen im Grab. Thomas will auch den Christus treffen, er will wissen:
Der ans Kreuz ging, der ist jetzt hier, bildet das Zeitzeichen im Jetzt,
sein Antlitz ist das Wasserzeichen in den Schicksalen des Lebens, die Wunden
und Leiden aller Kreatur geschehen an Gottes Leib, auch meine Schmerzen und
Mühen hab ich nicht allein sondern mit Christus. Und der kommt zu den
Seinen und sagt: Friede sei mit euch.- Seine Mitgenossen feiern
schon, sind voll Freude. Der Tod ist verschlungen in den Sieg- sie tanzen
fortan, sie beginnen, in sich versöhnt, geheilt zu leben. Das ist Jesu
Drive: Friede sei mit euch! Ich bin mit Euch, Friede sei mit euch! Inklusive
Schmerzen und Mühen: Friede mit euch! Das ist Auftrag, Ihr und das Um
euch herum ordne sich zum Frieden- das Verschiedene soll miteinander auskommen.
In dir, um dich rum, du mit anderen, andere mit dir im Frieden! Dieser Jesus
Drive ist bei den Jüngern schon angekommen, sie sind sicher: sie
haben ihn gesehen. Thomas will auch ihn sehen, schmecken, fühlen, wissen.
Will ihn selbst erfahren. Will es auch nicht aus Büchern haben, er will
es auch nicht den andern abgucken, er will, daß die Flamme der Freude
aus ihm selbst schlägt. Kern der Religion ist nicht der objekive Beweis,
daß Christus auferstanden ist. Sondern die Gewissheit , daß ich
mit Christus lebe und vom Tod auferstehe, also von gar nichts auch nicht
vom Tod entwichtigt werde. Der Kern, der in uns zum Baum wachsen soll ist:
Du wunderbar wichtig und geliebt. Und dir ist vergeben, das blamable Kleinliche,
das auch bei dir ist, weicht wie ein Nebel.
Kern der Religion, die wunderbare Perle, der Schatz im Acker meines, deines
Lebens ist: Du sollst getröstet werden. Aus dem Tal der Angst wirst
du in weites Land geführt, wirst versöhnt sein mit dir. Vor dir
die offenen Arme des liebenden Gottes. Und darum nimm die Arme deiner
Mitmenschen, ihre Augen, ihre Worte als Wegzehr hier. Und sei du anderen
ein Stück Friedensmittel. Wir sind uns noch nicht Himmel, sind uns
bestenfalls Erdenkameraden ob kurz oder lang, dazu bestimmt zu
helfen, daß du, ich ein vollständiger Mensch werde, mit umfassendem
Geist, mit den Mühen und Freuden des Lebens vertraut.
Daß ewige Verbundenheit für uns wahr wird, müssen wir wissen,
auch wenn wir zweifeln. Wichtig: daß wenigstens ein Raum offen bleibt
im Denken: Es könnte doch wahr sein, es könnte doch Auferstehung
sein- Durst bürgt für Wasser. Die Sehnsucht nach Vergebung und
Glück spricht für eine Zeit, da Fried und Freude lacht. Aber, gelobt
sei der Zweifel, die kratzenden Fragen (Christa Wolf). Es heißt
zum Glück: Thomas, einer der Zwölf- herrlich, daß
zur Kirche auch die gehören, die sich mit dem Glauben schwer tun. Der
Zweifel schließt uns nicht aus der Gemeinschaft der Heiligen aus- die
ist stark genug, Menschen mit Grauzone in Glaubenssachen bei sich zu halten-
da dachte der Papst leider anders. Er wollte eine geschlossene Kirche, einen
Fels, wir Evangelischen sehen die Kirche eher als Schifflein im tosenden
Meer. Jedenfalls darf Kirche keine Angst haben, an den Rändern
aufzudröseln. Als weiche der Glaube auf, wenn Zweifel Zutritt hat. Daß
Thomas der Zweifler einer der Jünger bleibt nehme ich als Mahnung an
Kirche: Grenze nicht aus und schieß dich nicht ein (nach E. Drewermann).
Thomas ist noch in Trauer, er weiß seinen Herrn nicht angekommen im
Glück, er wähnt ihn stecken geblieben im Tod wie in Beton. Thomas
kann sich Auferstehung nicht anders vorstellen als leiblich- also mit
wiederbelebtem Leib, also mit den Wunden. Johannes erzählt, Jesus habe
dem ungläubigen Thomas diese Ansicht gewährt, hat aber gleichzeitig
klar gestellt: Glauben ist mehr als sehen. -Als wollte Johannes den Beweis
für den Thomas einmalig zulassen, aber sofort wieder wegwischen. Ich
weiß, daß meine Eltern bei Gott sind, und so bei mir, auch wenn
ich sie nicht sehe. Ich glaube auch Christus bei Gott und so bei mir, auch
wenn ich ihn nicht sehe- ich erlebe ihn als den Leib Christi, in Verbundenheit
mit Menschen, in gelebter Ganzheit schon jetzt, selbst wenn sie nur zeitlich
und kurz ist. Ich brauche nicht die leibliche Erscheinung Christi, auch nicht
die meiner Eltern, auch nicht die der heiligen Jungfrau von Fatima oder Lourdes.
Aber Thomas schien die realpräsente Gegenwart Christi ganz anfaßbar
gebraucht zu haben- die Urgemeinde sagt, sie wäre ihm gewährt worden.
Und wenn ein Hinterbliebener Stein und Bein schwört, ihm sei sein
Verstorbener leibhaftig erschienen, dann ist das gut, wenn, ja wenn er den
Auftrag bekam: Du, find zu deinem eigenen Leben. Nicht das Erscheinen sondern
das damit einhergehende Wort sät den Glauben, darum ist mir die Kirche
des Wortes so wichtig, auch ohne Erscheinungen. Thomas hört: Sei nicht
ungläubig sondern gläubig: Also: sei nicht mehr trauernd
sondern vertrauend; sei nicht mehr zweifelnd-zerrissen, sondern ganz bei
dir. Und dann wächst bei dir Frieden, und du erfährst was
"Leben in Fülle" ist. Amen