Predigt 6. Februar 2005
Keitumer Predigten Traugott Giesen 06.02.2005
Einführung des Organisten Alexander Ivanov
Psalm 96,1 Singet dem Herrn ein neues Lied!
Hurra - wir haben wieder einen Organisten! Das ist wichtig, wie eine
Königin für die Bienen, eine Sonne für den Mond. Denn Musik
ist die andere Sprache der Menschen. Mit Worten tasten wir uns an die Wahrheit.
Die Musik ist Wahrheit. Worte schillern, Musik klärt, Worte benennen,
Musik bekennt, Worte arbeiten an uns, Musik spielt mit uns. Vielleicht aber
sind es doch zwei Hände der einen packenden Wirklichkeit: Worte retten,
Musik heilt. Musik ist gestaltete Zeit, anders als bildende Kunst, die Raum
und Gegenstände gestaltet. Wie die Töne aufeinanderfolgen, in welchen
Höhen und mit welchen gleichzeitig - das macht die Musik. Vögel
tirilieren, Fahrgeräusche etwa von Lokomotiven können Fernweh erzeugen,
Mütter singen an Wiegen, Väter in Stadien, Nonnen und Mönche
in Klöstern, Priester in Tempeln, Gemeinde in Kirchen, Sangesfreudige
in Chören. Aus einer Fülle von Holz- und Metallinstrumenten wird
Musik hervorgelockt, - die Orgel,ein ganzes Orchester. Das erste Instrument
wohl die Rohrpfeife: ihre Geschichte ist voll Wehmut. In der griechischen
Sage jagt sich Pan mit den Nymphen, stellt einer Baumnymphe (Syrinx) besonders
nach: Sie flieht vor ihm, wird durch einen Fluß gehemmt, fleht die
Wellen an, ihre liquidas sorores - ihre verflüssigten Schwestern mögen
sie doch verwandeln, Pan greift nach ihr, da hält er nur Schilfrohr
in Händen. Während seiner Klagen um die verlorene Geliebte erzeugt
der Windhauch im Röhricht Töne, deren Wohlklang den Halbgott ergreift.
Pan bricht das Schilf, hier längere dort kürzere Rohre, verbindet
die Wohlabgestuften mit Wachs, und spielt die ersten Töne, gleich dem
Windhauch als Klage. So entstand die Panflöte, das Spiel schafft Pan
den Trost einer Vereinigung mit der Nymphe, die verschwunden und doch nicht
verschwunden, als Flötenklang in seinen Händen bleibt (Ovid nach
E. Bloch).
Wie Heiligabend in den Weihnachtsliedern, unsere Jugend aufgehoben ist in
den Schlagern von damals? Musik bewahrt uns das Gefühl großer
Erfahrungen. Und stiftet an zu großen Hoffnungen. Dies auch bewahrt
in Orpheus, dem Sänger. Mit der Leier und mit seinem Gesang brachte
er sogar Steine und Bäume in Bewegung. Als seine Frau Eurydike an einem
Schlangenbiß starb, ging er in die Unterwelt, um sie zurückzuholen.
Er wagt sich in die Unterwelt, vermöge seiner durch Musik harmonisch
gestimmten Seelenkräfte. Tatsächlich überredet er den
Höllenhund Pluton, Eurydike freizulassen. Der versprach es, unter der
Bedingung, daß er sich nicht umschaut bis sie zu Hause seien. Orpheus
aber, mißtrauisch, wandte sich um, und sah nach seiner Gattin. Da wich
sie von ihm und kehrte wieder zurück. Orpheus spielte und sang sich
die Geliebte vor sich, hielt sie sich singend am Leben, bis er sie in der
Unterwelt wiedersah. Musik hält Erinnerung fest und nimmt versöhnende
Zukunft vorweg, schenkt schon Himmel. Die Musik, die Liebe und der Tod: die
ewige Lust des Daseins geht auf leidvollen Abschied zu, du musst bereit sein,
auch individuell zu werden, vereinzelt, und sollst doch nicht erstarrren.
Du wirst wieder und du bleibst eingeflochten in das Gute.
Musik ist die Partitur des Lebens: jedes Stück ist heilig, weil es ein
Teil dieser Erde ist, jeder Mensch Sohn oder Tochter Gottes: "und wandert
ich auch im finsteren Tal" noch die Pforten der Unterwelt werden sich
öffnen. Der weltverklärende, jasagende Charakter
(Nietzsche) des Lebens klingt in der Musik und verspricht dem Einzelnen das
Bleiben in der Liebe, und der Tod wird sein verschlungen in den Sieg. Wie
die einzelnen Noten eine Melodie bilden, die Melodien eine Symphonie, so
wird dein Leben in eine Zeitwirklichkeit gebettet und diese in ein Ganzes
- du bist eingeflochten in das unendliche Band der Liebe. Alle deine Probleme
und deine Freuden sind eingefügt in Gottes Lied von der Erde, mit der
Erde.
Was richtet uns auf? Das schöne Gespräch - gütig,
einfühlend, wohltuend, verständnisvoll. Nichts heilt mehr als dies
finden, sich erkennen, beim Namen nennen, Ich bin dein. Aber Sprache kann
auch Waffe sein. Manchmal greifen wir zu Worten wie zu Steinen. Musik aber
heilt ohne Missverständnis. Die Musik hebt deinen Kopf, du hörst
heilende Klänge, die Wut ebbt ab, wie das Gewitter in der Pastorale
bei Heimkehr der Hirten. Gegen den traurigen Hass stehen Lieder auf, die
dich hinrufen in Freundschaft. Ist nicht aller Hass Isolation? Musik aber
zieht in Bann, nimmt mit, löst die versteinerten Züge, Musik richtet
auf, soll sogar Pflanzen zu mehr Wachstum anregen. Rettend ist das richtige
Wort, heilend die richtige Melodie: Dr Oliver Sacks, nach einem komplizierten
Bruch, nach Musiktherapie sagte: "Ich fühlte mich bei den ersten himmlischen
Takten dieser Musik, als werde mir das belebende und schöpferische
Grundmuster der ganzen Welt enthüllt. Ich spürte, daß das
Leben selbst Musik ist, unsere Körper verfestigte Musik; und wir
können dahinfließen, wenn Muskeln, Bewegung und Musik im Einklang
sind.
Musik - die Partitur des Lebens? Musik ist ein Versprechen, daß wir
auf dem Weg sind, ist Schlüssel zu neuem Handeln und Leben. Auch die
Bibel lockt: Jauchzet, frohlocket. Singet dem Herrn ein neues Lied, denn
er tut Wunder. Und spielt dem Herrn mit Freuden, kommt vor ihn mit Frohlocken;
es ist als wolle Gott selber schöne Melodien, und werde davon freundlich
gestimmt. Vielleicht in Anlehnung an den König Saul in seiner Schwermut:
1.Samuel 16,23 "So oft nun der böse Geist von Gott über Saul kam,
nahm David die Harfe und spielte darauf mit seiner Hand. So wurde es Saul
leichter und es ward besser mit ihm und der böse Geist wich von ihm."
Musik lässt böse Geister weichen - schon ein morgendliches Singen
unter der Dusche ist doch ein Lobe den Herrn, ist ein gesungenes
Einverständnis: gut, zu leben. Singen erhebt die Seele, schon das Pfeifen
im dunklen Keller macht stark, vertreibt Gespenster, erst recht die Lieder,
die wir gemeinsam singen: dann sind wir wirklich ein gutes Team, nicht alles
nur Einzelkämpfer. Singend erkenne ich mich wieder als zugehörig,
und unsere Verschiedenheit als glückliche Ergänzung. Ja, wir nutzen
Musik auch als Klangteppich, als Schallschlucker, als Abschirmung vor
unerwünschter Wirklichkeit. Kann man ja auch..
Dagegen im Ohr die unbegreiflichen, von Tönen gebildeten Gestalten,
sie schicken auf große Fahrt. Große Musik ist Offenbarung.
Ballungen Gottes führt uns die die Orgel vor" (C.M. Cioran) Albert
Schweitzer über Bach: "Er ist ein Tröster. Er gibt mir den Glauben,
daß in der Kunst wie im Leben das wahrhaft Wahre nicht unterdrückt
werden kann. Das Wahre setzt sich aus eigener Kraft durch, wenn seine Zeit
gekommen ist. Bachs Werke predigen uns: Gesammelt sein und Groß
denken. Echte Musik lässt uns die Zeit mit Händen greifen,
die verwehende, fließende Zeit, und große Musik ist großes
Gebet, zerreißendes Flehen, und Freudenausbrüche sie
können nicht vergehen für immer in Luft. Wie aus Notenschrift der
Künstler Symphonien erweckt, so erweckt Gott aus Asche und Seelendiamant
den Himmlischen Menschen. Vielleicht weinen wir, ohne zu wissen, warum, weil
wir noch nicht sind, wie jene Musik es verspricht (Adorno).
Musik macht unser Vermissen hörbar, auch festlichen Stolz, bei Händel
prunkvoll, Musik ist die Kunst des Vorscheins: Der Augenblick voll
Chancen. Auch dein Existenzkern ist quellend, ist sprudelnd vor Sein, und
du bist eingeflochten in das Band, das dich mit in die Zukunft zieht. Jedenfalls:
Ein guter Gesang wischt den Staub vom Herzen (Christoph Lehmann) Für
den Künstler ist es erst mal harte Arbeit. Leon Fleisher sagt: Drei
Dinge sind wichtig in der Musik: erstens wie schlage ich einen Ton an, zweitens
wie unterstütze ich ihn, drittens, wie höre ich auf, das ist alles.
Aber wenn man in drei Minuten 3000 Noten spielt, sind das viele Entscheidungen.
Und er muß hinnehmen, daß Musik, den einen erhebt, den andern
im Grunde kalt lässt. Und doch spiele er weiter - warme, schwungvolle,
lebendige, berührende, persönliche Musik mit vielen
Übergängen von lieblich, leise, sanft, zu düster, heldisch,
brausend, spiele uns Musik, die in einer Viertelstunde das "Himmel hochjauchzend
und zu Tode betrübt" ein paar Mal vollzieht, und darin uns in die Seele
gießt die göttliche Botschaft, gleichzeitig Botschaft des Lebens:
"In Dir, Mensch, ist Gottes Lebendigkeit, ist die Melodie des Lebensmutes
und des Heimwehs; dein Geist ist von Musik unterkellert, deine Seele ist
Töneumschmetterlingt (R. Walser).
Luther: Wer sich die Musik erwählt, hat ein himmlisch Werk gewonnen,
denn ihr erster Anfang ist, von dem Himmel selbst gekommen, weil die lieben
Engelein selber Musikanten sein. Nicht gesagt, daß jeder Musikant auch
Engelein sei. Aber Alexander Ivanov werde uns einer.