Predigt 30. Januar 2005
Keitumer Predigten Traugott Giesen 30.01.2005
Lazarus
Christus spricht: In der Welt habt ihr Angst, aber fasst Mut. Besiegt habe
ich die Welt. Friede, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht wie die Welt gibt,
gebe ich euch. Nicht erzittere euer Herz, nicht verzage es. (Johannes 16,32;
14,27)
Die Auferweckung des Lazarus
Johannes Evangelium 11,1: Es lag aber einer krank, Lazarus aus Betanien,
dem Dorf Marias und ihrer Schwester Marta. 2 Maria aber war es, die den Herrn
mit Salböl gesalbt und seine Füße mit ihrem Haar getrocknet
hatte. 5 Jesus aber hatte Marta lieb und ihre Schwester und Lazarus. 3 Da
sandten die Schwestern zu Jesus und ließen ihm sagen: Herr, siehe,
der, den du lieb hast, liegt krank. 4a Als Jesus das hörte, sprach er:
Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Verherrlichung Gottes. 6
Als er dann kam, ihn zu besuchen, war er schon tot, lag schon vier Tage im
Grabe.
21 Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder
wäre nicht gestorben. 22 Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest
von Gott, das wird dir Gott geben. 23 Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird
auferstehen. 24 Marta spricht zu ihm: Ich weiß wohl, dass er auferstehen
wird - bei der Auferstehung am Jüngsten Tage. 25 Jesus spricht zu ihr:
Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben,
auch wenn er stirbt; 26 und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr
sterben. Glaubst du das? 27 Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass
du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist. 33 Als
Jesus aber sah, wie sie weinte und wie auch die Juden weinten, die mit ihr
gekommen waren, ergrimmte er im Geist und wurde sehr betrübt 34 und
sprach: Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie antworteten ihm: Herr, komm und sieh
es! 35 Und Jesus gingen die Augen über. Und ergrimmte. Es war aber eine
Höhle und ein Stein lag davor.. Jesus aber hob seine Augen auf und sprach:
Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Und rief mit lauter
Stimme: Lazarus, komm heraus! 45 Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen
waren und sahen, was Jesus tat, glaubten an ihn.
Die Liebe und der Tod - das sind die Ufer, zwischen denen unser Leben
fließt. Die Liebe und der Tod sind die zwei Hände, zwischen denen
unser Leben spielt. Alles andere ist weniger wichtig: Geld, Ehre, Schuld,
doch die Liebe und der Tod - Dur und moll der Lebensmelodie. Die Liebe hält
zusammen, der Tod zerrreißt. Die Liebe ist das große Ja, - der
Tod scheint das große Nein zu sein. Aber vielleicht ist die Liebe
stärker als der Tod. Fragen wir Jesus, der Klügste von allen, der
Erfahrenste. Er hat den Tod nicht als Wand, sondern als Weg erlebt, er starb
in die Liebe, die Liebe saugte seinen Tod auf. Jetzt ist aber Jesus
Anfänger und Vollender des Glaubens, im Bild: der zweite Adam, mit dem
ersten kam der Tod, mit dem zweiten die Gewissheit: wir bleiben in Gott.
Für dieses Bleiben in der Liebe gibt es ein atemberaubendes Bild: die
Auferstehung des Lazarus. Lazarus steht für: Wir werden leben, auch
wenn wir unterwegs sterben. Denn Sterben löscht nicht die Liebe, die
Liebe trägt durchs Sterben, es gilt dieses Stirb und
werde!immer. Aber in Ruhe die Geschichte, von der frühen Christenheit
weitergesagt: Drei Geschwister, Jesus ihr Freund, zu jedem in besonderer
Nähe: Maria, wohl die Frau, die ihn einmal salbt vor vielen
Männeraugen, sie verschrien, auch bei denen, denen sie zu Willen war.
Jesus hat sie vor vielen Ohren "Tochter Gottes" genannt, sie aufgerichtet
zu einem würdigen Leben. Martha ist die Frau des Hauses, hat alles im
Griff, unermüdlich fleißig, dadurch auch bin all da
- ein Stück weit entmündigend die anderen, Jesus weist sie mal
zurecht, in dieser Geschichte wird sie aber die große Erkennerin des
Christus. Und Lazarus, Bürger von Betanien, Freund des Jesus, krank,
schwer, es geht aufs Sterben zu, aber Jesus drängt nicht hin, bleibt
aus. Wie muß den Schwestern zumute gewesen sein - der Freund und Arzt
und Hüter des Hauses ist nicht da, wenn er gebraucht wird.. Was ist
die Liebe, wenn sie nicht spürt, auch über weite Entfernung, da
bist du nötig, zum Helfen, zum Aushalten mit, zum stillen Begleiten,
wenn es zum Sterben gehen muß. Ach, viel hat das mit uns zu tun: diese
Dankbarkeit, wenn wir treu gewesen sein konnten, die letzten Tage und Stunden
den geliebten Menschen, sie gehütet haben, Beschwerden gelindert, ihnen
Geleit gegeben zu haben bis zum letzten Blick und Atemzug. Oder ist bei uns
Schmerz, zu spät gekommen zu sein, vielleicht hat er noch darauf hin
gelebt, noch mal dich geliebten Menschen zu sehen, ein letztes Wort, ein
letztes Berühren, Und du konntest nicht vergeben und dir vergeben sein
lassen, weil du zu spät kamst. Dann nimm jetzt den Abschied als gesagt
und geschehen an. Jesus war es nicht gelungen. Viele Male haben die Schwestern
den Jesus heransaugen wollen mit ihren Blicken die Straße hinauf: Wir
mit unseren Handys haben das schon vergessen: das innige Sehnen und
ohnmächtige Herbeiwünschen - nein, erleben das auch noch, wenn
wir beten zum Himmel, der andere möge doch drangehen, möge doch
den Hörer aufnehmen.
Als Jesus endlich kam, kommt Martha ihm entgegen: Und er weiß, was
sie gleich sagen wird; sie geht schleppend, sie wird sagen: Alles zu
spät. Merkwürdiges war ihr immer wieder durch den Kopf gegangen
in den letzten Tagen, bei allem Jammer und Sterben: Jesus, als er die Nachricht
von der Erkrankung des Freundes bekam, soll gesagt haben: Diese Krankheit
ist nicht zum Tode, sondern zur Verherrlichung Gottes".... Keine Krankheit
zum Tode... das hatte sie immer als Leuchtschrift in ihrer Stirn mitlaufen
bei allem Weinen.
Und auch jetzt, das paßt ja. Sie sagt: Alles zu spät:
Und er: Dein Bruder wird auferstehen. Und sie: Ja, sicher
dermaleinst. Und er: Was heißt hier dermaleinst: Ich bin
die Auferstehung, wer an mich glaubt, lebt; auch wenn er (zwischendurch)
stirbt, er lebt.
An Jesus glauben heißt wissen: Sterben entwertet nicht, Wir tauschen
nur die Räume (Michelangelo), werden durchflutet von Zugehören
zum Licht. Sterben ist "zu-Ende-geboren-werden", dann trennt nichts mehr
vom wahren Leben, wir sind schon im Hause des Herrn, auch wenn
der Korridor uns dunkel scheint, wir mit Tunnelblick noch nicht die Fülle
mitkriegen. Jesus steht hier für das wahre, wirkliche Zugehören
zum Leben: Liebe leben - da kann man nicht von lassen, da muß man immer
mehr von kriegen: auch wenn die Köperkräfte schrumpfen, die Seele
drängt auf Heilung, sie spannt die Flügel auf, heimgeholt zu werden
ins Ganze. Der Tod ist nicht mehr die bis-herher-und- nicht-weiter-Wand.
Aber auch nicht der Einlass ins Paradies, als wäre hier nur Jammertal.
Auferstehung zum Leben jetzt: Wer an mich glaubt, der ist vom Tod ins
Leben hindurchgeschritten(Johannes 5,24), wer mittels meiner ans Leben
glaubt, selbst wenn er stirbt, wird er leben. Wenn wir uns fragen,
wie denn diese paradoxe Aussage zu verstehen sei, es gebe gar keinen Tod
für den, der wirklich glaube, so müssen wir sagen: "Es gilt, die
Entdeckung zu machen: Das, was wir sind, kann und wird uns niemand rauben.
Das ewige Leben ist im Werden, wartet, nicht, bis nach dem Leben, es ist
jetzt (Drewermann).
Also jetzt leben, jetzt unvergängliche Worte sagen, jetzt den Himmel
auf die Erde holen, für Kinder nach dem Tsunami wieder Menschen als
Eltern finden, jetzt Erkenntnis, Durchblick, versöhnt von sich denken.
Einer wird dir Engel, einer klaubt dich auf von der Straße in fremdem
Land; eine rettet dich vom Nichtssein. Alle haben Lazarus schon ins Grab
gelegt - Jesus nimmt dies stärkste Bild für aus und vorbei: er
stinkt schon - und ruft ihn aus dem Grab. Es geht nicht um das einmalige
Rückgängigmachen einer Beerdigung. Es geht Jesus darum, anhand
eines Rückrufs ins Leben uns zu rufen zum riesigen Leben; jetzt hört
auf, euch aufgegeben zu haben, nehmt euch neu in Empfang. Jetzt fangt das
ewige Leben an der Liebe und der Power.
Und um wachzurütteln, bittet er Gott, wie unter Komplizen, eine Auferstehung
möglich zu machen, damit sie im eigenen Dasein ihr Auferstehen leben.
Und die Leichentücher flattern, die Binden wirft er von sich, sprengt
die Fesseln. Er tanzt in ein neues Lebendigsein. Ob der Lazarus aus
dem Grab auferstand? Wichtig, daß du, ich uns rufen lassen aus verkrusteten
Ängsten und Betongedanken im Kopf. Daß wir auferstehen mitten
am Tag, in unserer atmenden Haut (Kaschnitz) Von Jesus weiß ich,
daß er lebt, die Wiederbelebung des Lazarus nehm ich mir als Bild:
jetzt, hier beginnt das ewige Leben, jetzt leb richtig, wichtig voll Freude,
trotz allem Leide. Der Tod, das Nein, das Leersein liegt schon hinter uns:
Heute der erste Tag eines nicht endenden Zusammenlebens mit Gott und seiner
Schöpfung. Lazarus, komm heraus! Wer braucht in deiner
Nähe diesen Ruf, Du? Und wer anders? Leben wollen, machen, daß
ein anderer leben will, das ist Frommheit, dem Jesus nach.
( Hermann Hesse sagt von seinem Goldmund: Immer wieder trieb es ihn
empor, verzweifelt und gierig lief er um sein Leben, und mitten in der bittersten
Not erquickte und berauschte ihn die unsinnige Kraft und Wildheit des
Nichtsterbenwollens, die ungeheure Stärke des nackten Lebenstriebes.
Vom beschneiten Wacholderbusch las er mit blaugefrorenen Händen die
kleinen vertrockneten Beeren und kaute das spröde, bittere Zeug mit
Tannennadeln vermischt, es schmeckte aufreizend scharf, er fraß Hände
voll Schnee gegen den Durst. Und es hätte ihn hinweggerissen,
in die Einsamkeit und ins Grübeln, auf die Wanderschaft, zur Betrachtung
des Leides, des Todes, der Zweifelhaftigkeit des Treibens, zum Starren in
den Abgrund. Manchmal war ihm dann aus der hoffnungslosen Hingabe an den
Anblick des Sinnlosen und Furchtbaren plötzlich eine Freude
aufgeblüht, eine heftige Verliebtheit, die Lust, ein schönes Lied
zu singen oder zu zeichnen, oder im Riechen an der Blume, im Spielen mit
einer Katze war ihm das kindliche Einverstandensein mit dem Leben wieder
zurückgekehrt. )
Nachlassen und Aufgeben ist Jesu Sache nicht. Einfach sind Dinge, weil
es kurze Sätze gibt, nicht weil es Einfachheit im wirklichen Leben
gäbe (H. Brodkey). Die Realität ist so reichhaltig. Gib nicht
auf, zu merken und zu handeln. (Täglich enden wir im Schlaf, ein Segen.
Aber Schlaf ist schön, weil wir aufwachen, irgendwann ist alle Kraft
für hier ausgegeben, dann reicht eine leichte Bewegung, die zuviel ist,
und wir sind los vom Erdenbaum, bis dahin.)
Lazarus, komm ran. Und feiere jetzt die Liebe und die Freiheit, nicht erst
dann in einem zukünftigen Himmel. Und entrichte jetzt den Preis für
deine Art zu leben, nicht erst nachträglich in einer künftigen
Hölle. (Wir können nicht aufhören, unsere Leben auf
das Hören und das Sehen und das Miterleben und das Wissen auszurichten,
in der Überzeugung, daß diese unsere Leben davon abhängen,
daß wir an einem Tag zusammen sind oder einen Anruf entgegennehmen
oder etwas wagen oder ein Verbrechen begehen oder einen Tod verursachen und
wissen, daß es so war (X. Marias).)
Lazarus, geh an dein Leben, reiß dich los von den Fesseln dessen, was
du nicht willst, du freigesprochen, vom Zwang des Erfahrenen, du darfst noch
mal üben, gern du zu sein; geliebt, gebraucht, entzieh dich nicht dem
Leben, der Verwandlung, leb, was du wirklich willst und arbeite daran, dass
du gern in deinem Leben bist , wie das Pferd in seinem Stall. Liebe, weich
nicht aus, erfüll' deine Pflicht und begrüß' jeden Morgen
Seine Exzellenz, das Leben! (Brigitte Kronauer). Der Rest ergibt
sich, denn die Liebe ist stärker als der Tod.