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Predigt 29. Februar 2004

Keitumer Predigten   Traugott Giesen   29.02.2004

Das Hohelied der Liebe des Paulus

1. Korinther 13

"Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein misstönender Gong oder eine nur klirrende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib als Fackel brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze. Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles, dem Nächsten zugut.Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das In- Zungen- Reden und die Erkenntnis aufhören wird.Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen."

Goethe soll gesagt haben, für diesen Text gäbe er all die Seinen. Was ist so groß daran?

Es ist die Klärung, was Bruchstück ist und was vollkommen, was vergänglich ist und was bleibt. Nicht das Materielle wird hier für vergänglich erklärt, sondern auch höchste Gaben des Heiligen Geistes sind nicht ewig: Weissagung - also vorausschauende Deutung des Geschehens, Zungenreden - ekstatisches Fühlen und Sprechen; Erkenntnis - also das Verstehen unserer Existenz (P. Tillich) - hat alles seine Zeit. Allein die Liebe bleibt. Warum? Weil Gott selbst die Liebe ist - so führt Johannes den Paulus weiter. Darum: "Ein Tropfen Liebe ist mehr als ein Ozean an Wille und Verstand." (Blaise Pascal)

Unser Lieben ist auch erst übungshalber - wir sind noch Schüler der Liebe. Wir sehen den Anderen, und sofort kommt erst mal das Signal: Flucht oder Bleiben, Bedrohung oder Lockung. Wenn vielversprechend ist unsere zweite Regung: Wie kann ich ihn nutzen, was kann ich von ihm haben, - und was ist der Preis, was kann ich anbieten. Quer dazu steht die Liebe.

Paulus zählt erst mal auf, was nah an der Liebe ist, ohne doch Liebe zu sein. Mit Menschen- und mit Engelzungen reden - Dichter und Denker, Menschenführer, sie können ins Gelobte Land führen, aber auch in die Abhängigkeit, sie können süchtig machen, Rattenfänger, die das Lied der Freiheit auf dem Instrument der Gewalt spielen (ST. Lec); Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte - eine Willenskraft, die mitreißt, aber wohin? Oder aus Solidarität meine Habe den Armen geben, aus Protest mich sogar verbrennen - ohne Liebe wäre mir's nichts nütze. Ohne Liebe wäre ich nichts.

Liebe ist das Bleibende, so klein es hier auch beginnt. Liebe ist, was uns jetzt schon einander eröffnet, uns aufschließt und einander zur Heimat, sicher zur vorläufigen, immer mit Zeit versetzten Heimat macht - Liebe sucht nicht das Ihre. Kann sie dann sagen: "Ich will mit dem gehen, den ich liebe. Ich will nicht wissen, ob es gut ist; ich will nicht wissen was es kostet, ich will mit dem gehen, den ich liebe" (Bert Brecht)? Ein weites Feld...

Liebend ahnen wir, wie Gott einander meint. Liebend erkennen wir den andern als Gottes Erfindung, dazu gehört zu allererst, dass ich ihn nicht mit meinem Bild von ihm beherrsche. Ihn anerkennen als „Gods own country“: Du ein weites Land offener Möglichkeiten. Du, Gottes eigener Mensch. Andere sind dir nur vorübergehend als Freunde an die Seite gestellt, oder einer, eine anvertraut und zugemutet ein Leben lang, wenn die Liebe bleibt. Aber immer ist Liebe das Gegenteil von Besitzen.

Nur wenige, kaum ein, zwei Dutzend kennen wir; von ein zwei, vier Menschen sind wir erkannt, in etwa. Zeichnet sich ihnen ein inneres Bild von uns? Wieviel Übertragung, Vorurteil, Anziehung ist beigemischt? "Um uns kennenzulernen, müssten wir die Gehirnschalen aufsprengen" (Georg Büchner) - der Mann, das unbekannte Wesen, - die Frau doch erst recht. Und der Mensch dem andern Menschen? Nur wie in einem beschlagenen Spiegel ahnen wir ein dunkles Bild vom anderen. Und das Bild ist noch nicht mal er selbst, sondern nur die Erscheinung, die uns erscheint.

Dann aber von Angesicht zu Angesicht. Dann? Also Gott selbst kommt uns entgegen, das steht bevor, ihm zum Bilde hat er uns geschaffen, und einst werden wir Gott sehen, er hat uns auf ein Gegenüber angelegt, letztlich auf sich hat er uns gepolt. Daß du dir nicht selbst genug bist, liegt an dieser Magnetisierung auf ein Du hin, die macht, dass wir im Gegenüber leben wollen und müssen, damit wir einander erkennen und zur Selbsterkenntnis helfen. Ich erkenne auch von mir selbst erst ein dunkles Bild, schwankend, groß klein. Aber die Liebe klärt uns auf, hellt uns auf, macht schön, macht zum von Gott Gemeinten: "Du geliebt, gebraucht", sagt die Liebe.

Liebe- das Größte, die Größte? Mehr als Glaube, mehr als Hoffnung? Liebe ist anerkennen: Du Gottes eigener Stoff. Die Liebe wächst aus dem Glauben: Du gut, du Gottes Mensch; also hast du Wachstumskraft in dir -das macht Hoffnung. Nehmen wir hilfsweise den Rosen-Liebhaber: Er glaubt, er weiß die Rose ist die Rose; weiß damit, wie sie werden wird, werden kann, hat Hoffnung für sie. Aber wichtiger: Er liebt die Rose, ihre Anfänge und das Wachsen und das Werden und das Wiederweggehen. Die Liebe ist die Größte, weil erst die Liebe ernstnimmt ihr Rosesein, und erst Liebe die Hoffnung für sie hat, darum Geduld, und Vorfreude und vorausahnender Abschiedsschmerz. Das Größte ist die Liebe. Aber wir machen sie nicht, sondern sie uns; Liebe hebt uns ins Sein, treibt hoffend nach vorn.

Unser Lieben ist brüchig, oft fahrig, ungeduldig, lässt sich erbittern, hat im Hinterkopf die Liste der Verletzungen, unser Lieben erträgt nicht alles. Unser Lieben hört auf; spätestens, wenn wir eingeschlafen sind, sind wir nur bei uns. Verlorene Liebesmüh scheint im Rückblick vielen Geschiedenen ihr damaliges Kämpfen und Dulden. Menschen tun sich gegenseitig auch weh, nutzen sich auch aus. Ein solides Geben und Nehmen, eine Fairness wäre schon viel. Gute Beziehungen eben, die sich lohnen für beide; gegen die Kälte beieinander Unterstand finden - viel wert; aber Liebe? Die alles duldet, dem Nächsten zu gut? Die alles hofft, immer wieder wettet auf das Zurechtkommen des Geliebten, des Kindes, Schülers, Klienten, Schützlings, die bürgt für seine Heiligkeit. Manchmal ist so was in uns, ein Mitleiden, ein schützen müssen, aber das ist kein Verdienst, das tut die Liebe.

Wir sind so angewiesen auf das Zutrauen, das Loben, das Ermutigen durch andere. Nichtbemerktwerden ist schmerzlich, Verachtung schneidet, schneidet ab. Wir wollen, wir müssen erkannt werden, einer muss uns zur Erkenntnis unserer selbst helfen, wir sind ja zum Gegenübersein geschaffen, wir müssen mit Menschen reden, weil wir Antwort brauchen, müssen doch wahrnehmen, was wir denken, ob es was taugt, müssen uns wetzen aneinander, müssen uns verantworten, brauchen Zeugen. Wenn keiner mehr merkt, dass ich noch lebe, wenn ich zu keines Leben mit dazu gehöre, bin ich Fremder hier - und fremdel bald auch mit mir.

Wer aber kann mich erkennen? Doch nur, wer um mich weiß, wie ich von Gott gemeint bin, wer mich hellklingend in mir selbst weiß, auch wenn ich auswendig abweisend scheine; wer mich sehnsüchtig weiß, auch wenn ich einen satten Eindruck mache; wer mich bittet, auch wenn ich zugeknöpft mich gebe, wer mir also Güte zutraut, auch wenn ich herb wirke. Und wer nimmt mich so, wie Gott mich meint? Der liebende Mensch nimmt mich nicht, wie ich mich gebe, sondern wie ich gemeint bin. Und dem, der mich liebt und darum auch lassen kann, dem schau ich ab, nehm ich ab, von dem kupfer ich mich ab, um seinetwillen glaub ich an mich.

Gott kennt dich, du bist seines Wesens, in dir schlägt er Erdenwurzeln, er hat dich aus dem Nichtsein erlöst, ruft dich bei deinem Namen, sein Ruf gibt dir Hingehören. Die Liebe hebt der Mutter den Schrei ihres Kindes aus vielen Geräuschen hervor.-Die Geschichte der Liebe mit dir macht dein Wesen.

(Vielleicht erkennst du das erst von Angesicht zu Angesicht, wenn wir einst Gott schauen - gut , diese Hoffnung. Und gut, dein Glaube, in den dein Denken und Erkennen eingelassen ist: Doch Liebe lässt dich singen oder ahnen: „Da ich noch nicht geboren war, da warst du mir geboren und hast mich dir zu eigen gar, eh ich dich kannt, erkoren. Eh ich durch deine Hand gemacht, da hast du schon bei dir bedacht, wie du mein wolltest werden. (Paul Gerhardt) Zum Bilde Gottes du geboren, diese Zwiesprachegeschichte, macht dich zu Dir, bringt dich zu dir. Auch mittels derer, die dich lieben, und du sie. Liebe erschließt uns, wie wir gemeint sind.)

Und was ist mit den Hassern und Neidern, den Tyrannen und Blutsaugern? An welcher Verderbtheit lernten sie ihr Wesen? Für sie hat keiner die Hoffnung hochgehalten, wer hat sie denn gut geglaubt? Wer hat sie geliebt, und nicht erdrückt, geachtet und nicht gehandelt, wer hat ihnen Bilder des Heils erzählt und nicht Gewalt-Videos in ihre Gehirne gespult? Sie waren doch zur Schnecke gemacht, wie sollten sie sich als geliebt erkennen? Wer, wenn nicht sie, braucht die Begegnung von Angesicht zu Angesicht, dass Gott ihre Tränen abwischt, die sie weinten und sie weinen machten.

Die hier Geliebten haben doch schon von Gott verbürgt bekommen, wie sie gemeint sind; wir, haben wir nicht schon Himmel, mitten am Tag, auf der lebendigen Haut, freies Gewissen? Wir können uns doch laben am Glück, das wir anzünden in anderen. Und wollen es noch viel mehr. Karlheinz Böhm, Rupert Neudeck - nur zwei Namen glücklicher Menschen. Und du kennst auch einen Menschen, dessen Gesicht vor Güte strahlt. Und deines? Schau dich nicht an im beschlagenen Spiegel deines Zweifels, deines Deprimiertseins, sondern schau in das Angesicht eines von dir geretteten Menschen. Der unter die Räuber Gefallene, halbtot Liegengelassene, als der Samariter ihm die Wunden verband, ihn aufhob, da schaute der Gerettete ihn an , als wäre er Gott oder sein Engel. Der Liebe dienen, das ist Leben. Leben ist, der Liebe dienen.

Liebe lässt mich mit dem andern fühlen, das wirft auch noch für mich viel ab. Glaubt doch nicht, dass die Liebenden der Erde viel zugesetzt hätten, glaubt doch bitte, dass Jesus ein glücklicher Mensch war, er wusste sich mit Gott d`accord; er der Offenbarer des wahren Gottes, der Liebe; voll Gnade und Wahrheit, er. Und die Lieben.

Kann man Liebe befehlen, kann man zur Liebe verpflichten? Du sollst lieben, Gott und deinen Nächsten, wie dich selbst. Das ist eigentlich kein Imperativ. Das ist ein Indikativ. Du, du liebst. fertig. Und wo du nicht liebst, kannst du Berge versetzen, kannst sogar andern nützen, aber dir nicht. Nur die Liebe ist dir nütze, nur durch die Liebe bist du du. Steh dazu, sei du, wie Gott dich meint. wenn du weißt, wie Gott dich meint, dann leb in die Richtung, und was dir unterwegs an Bösem widerfährt, was du tust, was dir angetan wird - vergib, und bitte um Vergebung, mach gut, lass es gut sein, kümmere dich um Wichtigeres: Um die Liebe heute, die durch dich Herz und Hand, Sprache und Leib bekommen will.

(„Weil unsere Liebe zu den anderen und zu dem Grund unseres Seins Stückwerk ist, ist auch die Erkenntnis der anderen und die Erkenntnis Gottes Stückwerk.... Unsere Erkenntnis reicht so weit, wie unsere vereinigende Liebe (Paul Tillich).- Außerdem sind wir selbst Bruchstücke, wir brauchen andere Bruchstücke, um mit ihnen vereinigt, mehr vom Ganzen zu ertasten. )

Wir sind Bruchstücke, das ist unsere Tragik. Wir wissen unsere Egänzungsbedürftigkeit, das ist unser Glanz. Die Ganzheit, zu der wir gehören, wird geeint durch Liebe. Deren In-der-Welt-sein ist höher ist als alle Vernunft. Sie kommt als eine Art Schmelzzustand über uns, sie ist ein Gefühl von bergender Lust, auf daß alles im Grunde zugehörig ist, alles nur eines ist in Liebe, der unendlichen, zerbrechlichen Macht.


 




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