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Predigt 13. Juli 2003

Keitumer Predigten Traugott Giesen 13.07.2003

Richtet nicht

Eingang: 1. Petrus 3,10f: "Segnet, weil ihr dazu berufen seid. Wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der tue Gutes, er suche den Frieden und jage ihm nach."

Predigttext: Matthäus 7,1-7 "Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn nach welchem Recht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden. Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge. Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen? und siehe, ein Balken ist in deinem Auge. Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst. Und: Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen."

Ein Moderator, der seine Interviewpartner bedrängend und hochfahrend befragte, mit Lust deren Schattenseiten zur Schau stellte, und jetzt selber wegen Rauschgift bestraft wird und um Entschuldigung bittet; Ein Tourismusstaatssekretär, der die Gäste beschimpft und endlich Reue zeigt; ein Regierungschef, der anstößige Liebesdienste zugeben muss und Frau und Volk um Verzeihung bittet, ein Pastor, der mit der falschen Frau segeln geht - bekennt im Gottesdienst vor der Gemeinde seine Schuld. Was gibt es zu sagen? Alle, die öffentlich bekennen, waren gepresst, waren in Not, einzugestehen, sie standen in der Pein, entblößt zu sein vor aller Augen, durften das Gesicht nicht wahren - da war keiner, der sie „entschuldigte, "Gutes von ihnen redete und alles zum Besten kehrte“- so Luthers Erklärung zum achten Gebot.

Richtet nicht! Das will unserer Gesellschaft auf neuen Grund stellen: Unsere biologischen Vorfahren, die Tiere, merzen ihre Schwachen, Kranken, ihre unrichtigen Genossen aus der Kette der Fortpflanzung. Aus diesem Erbe behaupten Menschen das Recht auf Krieg. Und das Recht auf Todesstrafe, also das Recht, sogar die Pflicht, Mitmenschen aus der Gesellschaft herauszuschneiden. Aber was so gerecht scheint: „Auge um Auge , Zahn um Zahn“, das blendet völlig aus, was den Menschen dazu brachte, was ihm angetan war, dass er mordete. Der Mörder zum Richter: „Ja, Sie meinen, die bösen Vögel gingen von mir aus, aber ich meine: die bösen Vögel seien auf mich zugeflattert“ (R. Musil).

Wir können uns die Gemeinschaft immer nicht vorstellen ohne strafbewehrte Gesetze, aber es ist Notwehr, es ist wie Fernsehverbot oder gekürztes Taschengeld beim Erziehen, Notwehr aus Ungeduld, aus Hilflosigkeit, aus Überzeugungsschwäche, aus Selbstschutz. Auch gewöhnen wir an Ordnung aus Angst, das Chaos aus dem Kinderzimmer überflute sonst die ganze Wohnung. Rufen wir nach harten Strafen nicht auch, damit es uns nicht die schmale Rinde Zivilisation wegspüle und auch wir uns auch dem Gefälle hingäben?

Sicher nötig, die Massenmörder und Menschenschinder der Diktaturen vors Tribunal zu ziehen, sicher nötig, die Mörder vor Gericht zu stellen, dass sie an ihrer Strafe ihr Menschsein nochmal lernen, sicherungsverwahrt. Doch ihr persönlich- richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet! Wollt nicht entlarven, stellt keine Falle - etwa mit Kindern; beratet, was nötig ist - und lasst Spielraum, damit sie nicht stehlen müssen. Erstmal zur Rede gestellt und bestraft, abgelehnt und gezeichnet, werden sie verfinstert und rächend. Wir wissen doch, die Lebensgeschichten von Mördern sind voll blutiger Kinderangst und verlorenem Selbstwert.

Richtet nicht - heißt auch: Zieht nicht vor Gericht. Paulus fragt: Warum lasst ihr euch nicht lieber Unrecht tun? Warum lasst ihr euch nicht lieber übervorteilen“- (1. Korinther 6,7)? Ja, warum nicht?

In uns ist eine Rechthabelust, vielleicht angezüchtet aus Überlebenstrieb: Solange ich Recht habe, bin ich weniger gefährdet. So nah ist uns noch die Horde, zu der man unbedingt gehören muss. Ich muss auf der richtigen Seite sein, die richtigen Klamotten tragen, das richtige Auto fahren, die richtigen Leute kennen, muss also wissen, wer die falschen Leute sind, was die falsche Meinung, was die falsche Kleiderordnung. Ich muss richten, muss urteilen, um sicher zu sein.

Und ich meine, mir treu bleiben zu müssen. Muss darum von mir fernhalten, was nicht meins ist. Meine Vorurteile sind da eine gute Abwehr - mein Wert besteht doch in der Beachtung von Werten…

Das sieht Jesus anders. Dein Wert liegt in der Würde, die dir zugesprochen ist. Nicht die Herde macht deine Würde sondern das einzigartige Du, zu dem Gott dich freispricht. Auch nicht die Treue zu Meinungen macht's, sondern Gottes Dir- treu-bleiben macht dich zu wem. Du bist freigesprochen zu deiner eigenen Person - und sollst des andern Personsein achten und schützen. Das ist Jesu wunderbare Entdeckung: Du bist zu deinem Ich berufen, und der Nächste zu seinem, und es sind genügend Kräfte der Anziehung da, dass wir was zusammen tun oder uns sonst lassen können.

Nicht mehr in Herde denken, sondern in Personen, jeder, jede ein Kosmos für sich. Und des andern Meinung, wenn sie abweicht von meiner, keine Bedrohung. Der große Aufklärer Voltaire hat es vorgemacht: „Ich bin zwar anderer Meinung, aber ich kämpfe dafür, dass du sie laut sagen kannst.“

Warum aber doch so gern richten und zensieren? Psychologen haben herausgefunden, dass ich besonders am andern kritisiere, was ich an mir auch nicht leiden kann. Vielleicht auch will ich den andern erziehen, weil ich so von mir absehen kann. Aber da komm ich nicht mit durch. Richte ich, werde ich auch scharf zensiert; maße ich mir an, zu beurteilen, dann werde ich auch unter die Lupe genommen.

Ich habe also ganz schön viel Holz abzutragen bei mir selbst, wirklich balkenmäßig. Bin ich geehrt, ein eigener Mensch zu sein, dann kann und muss ich mich auch getrauen, in mich rein zu gucken und „einen weniger moralisierenden, einen ehrlicheren und gütigeren Umgang mit mir selbst haben“ (E. Drewermann).

Jesu Wort: Richtet nicht! ist auch Auftrag: Richte und zensier dich nicht dauernd selbst. Tröstlich verstärkt Paulus: „ Nichts ist verwerflich, was du mit Danksagung empfängst“ (1. Timotheus 4,4). Ja, lass deine Freiheit nicht zum Ärgernis werden, (Römer 14,12). Aber, so Paulus, "du brauchst dich auch von einem fremden Knecht Gottes nicht richten zu lassen. Du stehst oder fällst deinem Herrn. Und du wird stehen bleiben, denn der Herr kann dich aufrecht halten" (Römerbrief 14,4).- Das für den Fall, dass sie auf dich mit Fingern zeigen.

Selbstgerechtigkeit und Selbstgefälligkeit treibt uns Jesus aus. Klar, in öffentlichen Ämtern müssen sie gläserne Taschen haben, wir vertrauen andern die Ämter an nicht zur eigenen Belustigung - da muss Kontrolle klar und Presse findig sein. Aber wir sollen auch nicht unsere Sünden aus uns raussprudeln, und sie anderen in den Schoß heulen. Sollen nicht „aus jedem Staubkorn ein Gebirge halluzinieren“(E. Drewermann). Mich öffentlich selbst bezichtigen: „Ich bin ein Schwein“, das könnte eine noch größere Heuchelei sein.

Jeder weiß: Ich, du Mensch bist Sünder und hast ein Recht auf Verbergen deines Inneren. Gott weiß. Darum „verlier dich nicht an eine depressive Ausgegossenheit“ (E. Drewermann), gib dich nicht hilflos jeder Plünderung preis. Denn wir sind nicht gefeit, auch Futter zu suchen für unser aller Häme. „Dass nicht groß bleib das Große“ (B. Brecht) - ist Sehnsucht bei uns allen, ja: „Es ist hier kein Unterschied: wir sind allzumal Sünder und ermangeln des Ruhmes, den wir vor Gott haben sollten“ (Römerbrief 6,22f).

Aber Jesu Wort: „Wirf die Perlen nicht vor die Säue“, könnte auch meinen: Hüte deine Scham, stell dein Selbst nicht zu aller Begutachtung aus. Die öffentliche Selbstbezichtigung - wer darf sie verlangen? Keinem steht es zu, Schauprozesse zu verhängen, in der Familie, der Schule, im Verein. Lieber wollen wir schützend uns vor den stellen, der sich öffentlich branntmarkt. „Hütet das Heilige, also euer Innerstes, es braucht einen gewissen Schutz. Nicht jeder ist zum Beichtiger berufen. Wer überhaupt hatte das Recht, Bill Clinton die öffentliche Beichte abzuverlangen über das, was nur zwei, höchstens Drei anging; was im Verborgenen getan war und nur durch hämischen Verrat ins kalte Licht der Zurschaustellung geriet?

Was du Gott zu sagen hast, das tu in deinem Kämmerlein, wirf das Heilige nicht auf den Markt des Gequatsches Und hilf, auch Rücksicht zu wahren gegen den Schuldigen, dass wir ihm gegenüber nicht zum Gaffer werden. Dass wir noch nicht strafrechtlich belangt wurden, ist doch reine Gnade. Jeder Arzt, jede zur Aufsicht verpflichtete Person weiß das, jeder Autofahrer hätte auch schon einen totfahren können.

Du, du hast doch eine in Gott begründete Selbstachtung: Man kann dir deine Ehre nicht nehmen, nicht mal du selbst nicht. Was du auch tust, du bleibst, was du bist: Sohn, Tochter Gottes, du geliebt, gebraucht vom tiefsten Grund. Dies himmelhochjauchzende Wissen behalte, auch wenn dich dein Tun zu Tode betrübt. Weil das Herz aller Dinge dich nicht von sich stößt, kannst du um Verzeihung bitten, dich um Wiedergutmachung mühen. Und kannst selber gütig werden und zweite, ja sieben mal siebzigfache neue Chancen geben.

Lebst du wie dus willst, und wenn ja, wie erklärst du dir dein Glück? Es ist doch Gnade, dass du einigermaßen kannst, was du musst und einigermaßen nur willst, was du darfst. Du richtest immer weniger, wirst deiner selbst sicher, wirst dir verlässlich. Und richtest andere weniger, bist doch in ihren Schuhen nicht gegangen. Amen


 




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