Predigt 29. Juni 2003
Keitumer Predigten Traugott Giesen 29.06.2003
Ehre, wem Ehre gebürt (Römerbrief 13,7)
Dazu einige Funde aus der Bibel: "Gott; alle Lande sind deiner Ehre voll"
(Jesaja 6,3). "Ja, Ehre sei Gott in der Höhe." (Lukas 2,14) "Du sollst
Vater und Mutter ehren." Und Priester, Arzt, Lehrer, die Frau den Mann, der
Mann die Frau; die Kinder, Witwen sind zu ehren, Witwer auch; die Ältesten.
Und 1. Petrus 2,17: "Ehret alle Menschen".
Auch: "Haltet die Weisheit in Ehren" (Weisheit 6,23). "Bei Gott ist mein
Heil und meine Ehre" (Psalm 62,8). Und die Bitte des Hiob: "Meine Ehre bleibe
immer frisch" (Hiob 29,20).
Ehre ist ein Lebensmittel, so nötig wie Trank und Speise. Wir leben
nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das uns aufbaut, ehrt,
lobt, auszeichnet, würdigt. Wir brauchen Anerkennung, sonst sind wir
wie nicht vorhanden. Werden wir dauernd übersehen, ist es nur ein Schritt,
und wir sind überfahren. Werden wir wie Luft behandelt, kann man sich
ganz und gar verflüchtigen oder aber: mit einem Donnerschlag schafft
man sich Rampenlicht. Eine Wahnnsinnstat sprengt einen für Augenblicke
ins Fernsehen. Aber Achtung erwerben, dass einem Aufmerksamkeit geschenkt
werde, Zeit und Gehör, das will erarbeitet und verdient sein.
Dabei - schon das schlichte Dasein, Hiersein, Menschseindürfen braucht
einen Basisschatz an Würde. In den Lebensschritten hier sein können
- chancenreich als Kind, nötig und frei als Erwachsener, beschützt
im Alter- das braucht so viel Achtung. Milliarden Menschen ringen um Essen
und Trinken, die Basiswürde überhaupt. Vielen ist die
Menschenwürde grob verletzt. Sie wollen Arbeit, sie wollen was leisten
und finden keine Abnehmer, fähige Musikanten aus Russland spielen hier
mit dem Hut vor den Füßen, Filme verschwinden unbeschaut, Bücher
werden verramscht. Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert, und jede Leistung ist
der Anerkennung würdig. Und Dank allen Menschen, die anderen ihre
Würde sichern helfen, ihnen Chancen einräumen, sie aufrichten,
ihre Umstände bessern.
Jeder für sich spürt sehr wohl, ob er gewürdigt wird oder
ausgenutzt. Wir registrieren, wer die von uns ausgeliehenen Video-Bänder
nicht zurückbringt oder den Gartengrill. Wir spüren, wenn einer
uns über den Mund fährt oder beim Begrüßen übergeht.
Ob einer uns dankt oder nicht. Das Ausdrücken von Dankbarkeit, bis auf
das routinemäßige Dankeschön, ist aus vieler Leuts Leben
entfernt. Manch einer kann seinem Vater, seiner Meisterin, seinem Gefährten
gegenüber keine Dankbarkeit ausdrücken; Dankbarkeit würde
die beiden auf unerklärliche Weise einander näher bringen, aber
Groll steht im Weg oder Neid oder Argwohn. Wer stemmt uns den Stein fort
von der Herzen Tür? Dass wir wieder warm und weich für einander
werden? Auch dem Kellner und der Friseurin ein anständiges Trinkgeld
geben, auch den Lehrern nach der Klassenfahrt einen spürbaren Elterndank.
Und den Altgewordenen Frechheiten ersparen. Das wäre schon viel..
Dank ist ja eine besonders köstliche Seite der Menschenwürde. Wir
merken und drücken aus: Was du mir getan hast, ist mehr als das - auch
das schon wunderbare, selbstverständliche Geben und Nehmen; das Hand
in Hand und eine wäscht die andere. Dank benennt das Außerordentliche,
das Nichtpflichtgemäße, das nicht im Preise Inbegriffene; Dank
zeigt: Ich weiß, du hast mir mehr gegeben als mir zusteht, du hast
dich mehr bemüht für mich, mich inniger beschenkt, als ich es erhoffen
durfte. Du hast mir Gutes getan und damit mich geehrt, erhoben, verwöhnt.
Sogar Gott will Dank und Lob: Er will uns nicht als gedankenlose Mampfer
und bewußtlose Verbraucher, sondern als Merkende, als aufgeweckte
Mitgenießer der Güter und Freuden; Gott will uns als kundige und
erfahrene und staunende Zeugen seiner Schöpfung. Die eben merken, wie
köstlich die Schöpfung geschaffen ist und wie grandios die Naturgesetze
gesetzt sind, dass überhaupt so was wie Musik entstehen kann. Und wie
unermesslich beglückend es ist, dass wir begabt zur Freude gemacht sind!
So ist es schon soli deo gloria" - also letztlich allein zur Ehre Gottes,
wenn wir einem Menschen danken. Wir sind einander doch nur - aber was heißt
hier nur - Handlanger der Liebe Gottes, nützliche Gehilfen, die bestenfalls
tun, was sie zu tun Gott schuldig sind (Lukas 17,10).
Danken wir einem, ehren wir einen, dann ehren wir uns selbst am meisten als
Merker. Wir sind der Empfindung fähig, sind beeindruckbar,
empfänglich, das Gegenteil von Holzköpfen und Coolbleibern.
Geehrt mit dem Titel Professor wurde Matthias Eisenberg, Organist und Kantor
an St. Severin in Keitum, aber auch Beglücker vieler Kunstfreundinnenen
und Freunde urbi et orbi. Und wir, die fröhliche Gottesdienstgemeinde,
freut sich mit. Freut sich, dass außer uns auch viele andere das
Außerordentliche seines Wirkens bemerkt, benannt und hervorgehoben
haben. Ein Dank mal an die Ins-Licht-Steller unter uns; Man muss was merken
und es dann noch als bemerkenswert benennen, es ins richtige Licht stellen
und an richtiger Stelle weitersagen.
Gerade im Künstlerischen ist ja meist nicht viel zu verdienen. Darum
heißt der schnöde Mammon da auch Honorar - also
Ehrengabe, was unterstellt, der Künstler ernähre sich
von seiner Begeisterung. Schon: Der Künstler muss wirken, was aus ihm
quillt und darf nicht erstlich bieten, was gefällt; Genial und beunruhigend
muss er uns zu mehr Lebensintensität verhelfen. Seine Kunst braucht
viel Handwerk und hart erarbeitete Geläufigkeit, aber aus der Tiefe
wird seine Kunst gespeist durch Sehnsucht und Vermissen. So kann sein Wille
auch Schmerzen und Leiden in Schaffensfreude umsetzen. Seine Kunst fußt
auf der Realität und meidet alles Willkürliche. Aber seine
Lösungen behüten das Geheimnisvolle. Alle Musik ruft ja einem
Ohr, das nicht das eigene des Musikers ist, ruft: Gut, dass du da bist, du
Mensch du bist, du, voll deiner Lebendigkeit. Jedes lustvolle Hören,
ob auf die Lerche oder auf Matthias an der Orgel, schlägt in uns Wellen
von Lob zu Gott. Hast Du einen schönen Beruf, du Freudenmeister, meistens!
Ehre dem, dem Ehre gebührt. Wir müssen mehr Ehre und Dank fließen
lassen. Unsere Begeisterung für die Kunst ist ja im Ganzen sehr
maßvoll. Von Beinausreißen keine Rede. Hat das Publikum zwei
Stunden weich gesessen, ist es eigentlich kein Opfer, dem Musiker einige
Minuten stehend Beifall zu zollen, aber meist will man schnell nach Hause.
Dabei ist leicht im schnellen Lauf die eine Taste falsch bedient. Viel
Schweiß muss fließen, bis das Schwierige leicht daher kommt.
Gut, wenn mal Dank und Ehre aufleuchten. Schön für alle, die
öffentliche Würdigung erfahren. Es ist nur ein Hauch Gutmachung
für viel Mühe und allein die Bahnfahrten zweiter Klasse - und dein
nahezu privatlebenloses Dasein. Und: Ehr macht wieder auch Beschwer.
Schon das normale Gelingen des Alltags ist viele Freuden-Feuerwerke wert.
Aber hinzu brauchen wir die außergewöhnlichen Leistungen, die
große Kunst. Gut, wenn wir Künstler haben. Für sie gilt
besonders, was Jesus sagt: Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel
suchen, und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.
Anvertrautes dürfen wir nicht vergraben. Und wer die Talente gut nutzt,
den setzt Gott über mehr. (Matthäus 25).
Eins noch: Stark ist das Bild des Paulus vom Zusammengehören: Wir
sind der Leib Christi, und jeder von uns ist Glied. Leidet ein Glied, leidet
der ganze Leib, wird ein Glied geehrt, so freuen sich alle Glieder mit (1.
Korinther 12,26f).- Was einem anvertraut ist, ist Gabe für alle. Wenn
die Rose selbst sich schmückt, schmückt sie auch den Garten.
Außerdem: Keine Kunstform kommt, so kann man behaupten, aus nichts.
Sie kommt immer danach (aus: Steiner, Grammatik der Schöpfung),
ist immer auch Erbe und bedient sich aus dem Schatzhaus der Menschheit.
Vita brevis, ars longa: Das Leben ist kurz, eine gute Melodie
bleibt ewig - sie immer wieder aufführen, sie heraufführen,
überwindet den Tod, jedenfalls jetzt.
Musik als Stellvertrendendes, als Ersatz, als Trost, als gesungenes Heimweh
vielleicht: dazu passt die Erzählung von Ovid, wie die Flöte gefunden
wurde: Der Gott Pan jagte sich mit Nymphen, stellt dieser, der Baumnymphe
Syrinx, nach. Sie flieht vor ihm, sieht sich durch einen Fluß gehemmt,
fleht die Wellen an, ihre liquidas sorores - ihre
fließenden Schwestern, sie zu verwandeln. Pan greift nach
ihr. Da hält er nur Schilfrohr in Händen. Während seiner Klagen
um die verlorene Geliebte erzeugt der Windhauch im Röhricht Töne,
deren Wohlklang den Gott ergreift. Pan bricht das Schilf, hier längere,
dort kürzere Töne, verbindet die wohlabgestuften mit Wachs und
spielt die ersten Töne, gleich dem Windhauch, doch mit lebendem Atem
und als Klage. Die Panflöte ist so entstanden. Und ist die Orgel nicht
ein großes Flöten- und Pfeifen-Orchester? "Das Spiel schafft Pan
den Trost einer Vereinigung mit der Nymphe, die verschwunden und doch nicht
verschwunden als Flötenklang in seinen Händen blieb (E. Bloch)
Und jetzt: große Musik. Amen
Ps: Matthias Eisenberg, dem Organisten von St. Severin, war am 23.6.2003
der "Professor ehrenhalber" von der Mininsterpäsidentin Heide Simonis
verliehen worden.