Predigt 20. April 2003
Keitumer Predigten Traugott Giesen 20.04.2003
Ostersonntag. Vor dir, mit dir immer Werden
Was nützt dir mein Blut, wenn ich zur Grube fahre? Wird dir auch der
Staub danken und deine Treue verkündigen? HERR, höre und sei mir
gnädig! HERR, sei mein Helfer! Du hast mir meine Klage verwandelt in
einen Reigen, du hast mir den Sack der Trauer ausgezogen und mich mit Freude
gegürtet, dass ich dir lobsinge und dir danke in Ewigkeit. Psalm 30,
10-13
Johannes 20, 11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Und
sie schaute in das Grab und sieht zwei Engel in weißen Gewändern
sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo
sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten. Und die sprachen zu ihr: Frau, was
weinst du? Maria spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und
ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Und als sie das sagte,
wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus
ist. Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint,
es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen,
so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen. Spricht Jesus
zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch:
Rabbuni!, das heißt: Meister! Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich
nicht an! Ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu den
Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater,
zu meinem Gott und zu eurem Gott. Maria von Magdala geht und verkündigt
den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.
Christ ist erstanden! Wär' er nicht erstanden, so wär' die Welt
vergangen, untergegangen, wäre eingegangen, wäre erstickt an
Hoffnungslosigkeit. Wolf Biermann sagt: Auf dem Markt der Hofffnung ist die
Auferstehung Christi von den Toten die härteste Währung. Der Tod
ist nicht mehr, seit die ersten Christen überliefern: Er ist uns erschienen
- also nicht nur: wir haben ihn gesehen, sondern: Er stieß uns zu,
gemessen an ihm waren wir die Toten - er hat uns ins Leben gehoben, in
unvergängliche Gegenwart Gottes. Seit Jesu Auferstehen ist der Tod keine
Wand mehr, an der die Wirklichkeit zerschellt in Vergangenheit, kein
Schluß, Aus, Vorbei, keine Wand, sondern die Tür, zu bleiben
im Hause des Herrn immerdar (Psalm 23).
Mit dem Menschen kam das Sterben in die Welt, das bewusste Abschiednehmen
und Verlorengehen, das Verirren und Verenden in Scheol - im Totenreich -
Ach Gott klagen die Frommen des Alten Testamentes: Im
Totenreich gedenkt man deiner nicht, dort wird dir keiner danken (Psalm
6,6). Aber doch auch da schon: Wenn mir gleich Leib und Seele
verschmachtet, bist du doch allezeit meines Herzens Trost und meinTeil, Wenn
mir auch Himmel und Erde vergehen, bleibe ich an dir (Psalm 73,23ff)
und: bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da "(Psalm
139).- Erstmals aber treibt es ein Frommer auf die Spitze in seinem Sterben,
so entehrt, so als Idiot und Gotteslästerer hingestellt, starb noch
keiner öffentlich mit dem Schrei: "Nimm mich auf, mein Gott". So gegen
die Wand gekracht war noch kein Leben. Der die Taten Gottes tut, - soll dessen
Leben einfach im Sande verlaufen, abgehakt unter Irrtümer der
Weltgeschichte? Wenn sich an ihm nicht Gott als existent erwiese, wer
soll denn dann noch auf ihn hoffen? Dann wäre die Welt als Hoffnungsprojekt
endgültig den Bach der Geschichte runter, alles liefe auf Tod als Zerfall
hinaus. Was nach uns kommt wäre nichts Nennenswertes. Wenn aber es so
wäre, was sollte da alles Hoffen und Harren, - es hielt uns zum Narren.
So aber ist die Sensation der Schöpfung perfekt - ist einem der Durchbruch
gelungen, hat mit einem Gott sich erwiesen als für immer verbunden,
dann sterben wir alle in ein Bleiben in der Liebe. Die Schöpfung war
schon ein Wunder, aber die Vollendung wird sehr gut. Dass überhaupt
etwas angefangen hat, ist wunderbar, aber Wunder über Wunder wäre,
wenn das Anfangen kein Ende hätte. Schon ein Wunder, dass du da bist
- aber dass du vor Gott für ihn, bei ihm, mit ihm bleiben wirst, das
reißt doch den Horizont auf. Ob du gleich stürbest, bringst du
viel Frucht. Von hier aus sieht es aus, als gingst du weg, aber von Gott
aus kommst du, kommst heim. Da war alle Umamung hier, alle Befreundung, alle
Sonne, alle Freude hier schon Licht vom unerschöpften Lichte, Anfang,
Morgenglanz von Ewiggültigem.
Diese Umwertung aller Werte vom Todgeweihten, zum Keimhaften, vom Enden zum
Anfangen erlebt Maria Magdalena, typisch - Maria von Magdala aber stand
draußen vor dem Grab und weinte.- Grab als der letzte Ort, die Grube
für das Verfallene; das Weinen ein Fließen, ein Wegfließen
und Fahrenlassen, - ein letzter Blick, eine schöne Geste, ein Winken
, ein Zeichen des Behaltenwollens: Und sie schaute in das Grab. Und sieht
zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und
den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten.
Sie sieht: Leere, aber die ist weiß gerahmt. Engel, also Zeichengeber:
hier ist Gutes im Werden. Hier wird ein neues Weltbild entworfen. Engel sind
auch die, die fragen: Frau, was weinst du? Maria spricht zu ihnen: Sie haben
meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt
haben.- Er ist noch als Totgesagter ihr Herr, aber schon was
Gegenständliches, was Wegnehmbares, Hinlegbares, dann auch
Zurücklassbares.
Und als sie so redete, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß
nicht, dass es Jesus ist.- Sehen und nicht gewahr werden; starren und missdeuten.
Ihn stehen sehen und durch ihn hindurch sehen oder ihn für einen andern
halten - die Missverständnisse der Liebe klingen hier an - mitten im
Leben: "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte" - so ein
berühmter Buchtitel mitten im Leben Todessequenzen, Funkstille,
wie Luft behandeln. Der Nächste erscheint einem fremd. Spricht Jesus
zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Er erkennt ihr Weinen als Suchen,
er ist schon bei ihr, ist noch und wieder bei ihr. Sie meint noch, es sei
der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage
mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.
Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf
Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! Unzählige Male gemalt,
nie fertig erzählt, immer neu ist dies wie ein Nadelöhr, wo wir
uns selber einfädeln können, wir die Angesprochenen werden, die
sich umdrehen, die umgedreht, hingedreht werden zu sich selbst, die sich
erkennen, indem sie erkannt werden: anerkannt, wahrgenommen werden. Mit Namen,
in seiner Einzigartigkeit geahnt, nicht nur unter dem Gattungsbegriff, Frau,
oder Mann zur Sache gerufen, sondern beim Namen gerufen: Du, wir eine
Geschichte, eine Wahrheit umfängt uns. Und die Angerufene, die bei ihrem
Namen Gerufene, die zu sich selbst Gerufene benennt ihn, bekennt sich zu
ihm : Rabbuni, geliebter Meister, durch den sie zu sich fand als Tochter
Gottes
Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Ich bin im Gehen zum Vater.
Du aber geh zu den Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater
und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. "Mein" und "euer"
unterschieden, aber Vater unser - wir bleiben, auch wenn die
Papierwand Sterben zwischen uns ist, wir bleiben die zu unserm Vatermuttergott
Gehörenden. Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern:
Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.
Maria wurde verwandelt- aus der Rückwärtsschauenden wurde die
Verkünderin, aus der Bewahrenden die Stärkende, aus dem historischen
Jesus wurde ihr der gegenwärtige Christus. Der Sack der Trauer war ihr
ausgezogen, mit Freude ist sie gegürtet.
Und das ist dir auch widerfahren: Du dachtest, alles sei aus - und dann stellte
dir Gott die Füße wieder auf weiten Raum (Psalm 31,9). Du hast
es erlebt, dein Ich ist neugeboren worden, durch die Mühen hindurch
hat sich dein Ich gezwängt und ist daran gewachsen. Und immer ist Anfang,
auch Enden ist Beginn, und jede erste Begegnung ein unverhofftes Wiedersehen
(Botho Strauss). "Unsere Täler von Zeit und Raum in seinen Händen
stehen" (Psalm 31,16), - darum auch mal mit Neugier sterben. Aber erst mal
mit Neugier leben, lieben, jetzt. Die Tendenz des Lebens, zu überraschen,
ist der Grund deines Hierseins. Also geh dem Leben auf den Grund, fördere
seine Überraschungen zu Tage, glaub dich selbst als starkes Stück
Leben: Verkündige dem Jesus gleich, das Leben als Gottes starkes
Stück, und ein großes Dämmern des Ganzen ruht vor unserer
Seele (Goethe: Werther' Leiden). Amen.