Keitumer Predigten Traugott
Giesen 12.01.2003
Was ist Kirche? Du bist Kirche. Du und Kirche
bauen sich auf
Abschied der verdienstvollen Damen und Herren
des Kirchenvorstandes und Einführung der Neuen.
Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt.
Und spricht auch: Ihr, ihr seid das Licht der Welt. Also lasset euer Licht
leuchten! (Johannes 8,12/Matthäus 5,14)
Wir sind Erben von Erfahrung, wie das Leben
anzupacken, zu nutzen, zu bewahren, zu bestehen ist. Ein starker Erfahrungsstrang
ist Wissenschaft, man denke nur an die Seefahrt, das Wissen, wie heute Schiffe
zu bauen sind, ist doch vielen Stürmen, Flauten, Untergängen
abgerungen. Oder auf dem Felde der Gesundheit: Wie viele Beobachtungen mussten
zusammengetragen werden, um einen Keim zu isolieren, einen Virus bekämpfen
zu können. Das ist das Feld der objektiven, also messbaren, zählbaren,
im Experiment beliebig oft wiederholbaren Ergebnisse.
Ganz andere Ergebnisse bringt das Vertrauenswissen
auf dem Feld des Lebens. Denn da bei Lachen, Lieben, Leiden, Nehmen, Geben,
Schuldigwerden und Verstehen, da auf dem Felde des Lebens, wo geboren und
verknüpft und gestorben wird, da muß jeder Mensch sein Bild sich
machen, sein Gewissen hören und schulen, da hilft keine Wissenschaft.
Woher Lebensmut, woher Nächstenliebe, Vergebungskraft, Verantwortung,
woher Hoffnung für die, die uns starben - warum sind wir? Was dürfen
wir hoffen, was sollen wir tun? Groß ist das Feld der Religion. Ein
Jeder zieht daraus Kräfte, aber das Feld der Religion pflegen, den
Gottesglauben bewahren und dolmetschen und in die Fächer des Lebens
einspeisen - dazu ist Kirche da und auch ein Kirchenvorstand.
Kirche - das Wort hat mindestens drei Bedeutungen:
Die Keitumer Kirche steht außerhalb des Dorfes. Also Kirche: das
Gebäude; ich gehöre zur Kirche, also die Glaubensgemeinschaft,
und: jetzt ist Kirche; also der Gottesdienst. Für alles drei ist der
Kirchenvorstand zuständig, er muß machen, dass es gemacht wird:
Die Kirche soll erhalten bleiben, die Gemeinschaft gebaut, Gottesdienst soll
gefeiert werden.
St. Severin, dazu der Gemeindesaal in Tinnum,
die Pastorate, der Saal; aber jetzt besonders diese Kirche mit diesem Friedhof
ist der Achtsamkeit, der Bewahrung, der Pflege wert. Es ist dies ein Haus,
worin der Heilige Geist gut die Menschen bebrüten kann, eine feste Burg.
Die letzten Kirchenvorstände haben viel für Standfestigkeit und
äußere und innere Schönheit dieses uns allen gemeinsam
gehörenden Hauses getan. Andere Generationen mussten mit einem drohenden
Fluch gezwungen werden, sich für Erhalt ihrer Kirche einzusetzen; die
Glocke soll einen Jüngling begraben, was auch der Fall war, der Turm
soll fallen, wenn ja wenn nicht alle zehn, zwanzig Jahre der Turm abgeklopft
wird und bröselnde Steine durch neue, festgebrannte ersetzt
würden.
Kirchenvorsteher, die jetzt den Abschied nehmen,
haben die Eingangshalle wiedergewonnen für uns alle. Die Älteren
wissen, dass der große Rundbogen hinten zugemauert war 200 Jahre lang,
aus Sorge und Kraftlosigkeit. Viel Eisen und neue Balken haben neue statische
Sicherheit gebracht, die West-Empore war völlig verwurmt und ist
gänzlich neu aufgebaut: mit der malerischen, hellklingenden Orgel hat
die gegenwärtige Gemeinde und dieser sich jetzt verabschiedende
Kirchenvorstand ein wunderbares Geschenk gemacht den Künftigen.
Auch ein Glück ist unser gewachsener Friedhof,
das Sterbliche liegt gut unter dem Schutz von St. Severin. Viele große
Familiengräber wurden mit Verkauf der Bauernhöfe von einst
aufgelöst. Dass dennoch das Familiäre, das menschenfreundlich
Individuelle und Maßvolle erhalten blieb bei nur wenig importiertem
Prunk, ist auch der Aufmerksamkeit des Kirchenvorstandes und seiner Mitarbeiter
zu verdanken. Also, dieser Heilige Ort braucht eine dauernde Behütung
vor Begrabschen und Vermarkten. Wie sorglos manche Reisegesellschaften ihr
Picknick hier halten wollen und Hochzeiten am liebsten Tanz mit Aussschank
unter den Bäumen hätten, ist leicht zu denken. Da musste manch
klares Nein gesprochen sein.
Kirche ist das Gotteshaus. Kirche ist auch die
Glaubensgemeinschaft, die zu pflegen dem Kirchenvorstand aufgegeben ist.
Aber erst mal geht ja die Glaubensgemeinschaft vorweg, hat uns aufgebaut,
uns den Glauben überliefert mittels der Eltern, der Großeltern,
der Lehrer und Pastoren. Wie wir in Sprache hineinwuchsen, in eine gedeutete
Welt einwanderten, - seht nur mal ein 24-bändiges Lexikon an oder das
Internet - wir haben doch Welt vorgefunden, ehe wir sie dann auch ein winziges
Stück mitbauen. Und so haben wir auch den christlichen Glauben vorgefunden,
er ist uns vorgelebt worden, wir haben ihn vorgelesen bekommen in den Geschichten
der Bibel, haben auch Religions- und Konfirmandenunterricht gehabt, haben
von Glaubenshelden gehört und vom Schuldigwerden der Kirche in der
Geschichte.
Aber jede Generation muß am Flussbett
des Glaubens arbeiten, dass der Lebensmut und die ethische Weisung des
Christentums weiter fließen und das Land, die Gesellschaft
befruchte.
Und jeder muß seinen Glauben finden, muß
sich in seinem Glauben finden, muß selbst auf den Geschmack kommen,
zu Gott zu gehören. Muß Christus als sein Licht sich aufgehen
lassen und dann auch Leuchten abgeben. Christen haben einen Sinn für
die Ähnlichkeit mit dem Leben anderer und lassen das Geben-und-Nehmen
plus Güte die Basis sein für den immer neu auszuhandelnden Frieden.
Und es gibt eben auch Menschen, die den Ruf hörten: Steh zur Kirche,
laß dich wählen.
Der Kirchenvorstand gestaltet das Leben der
Glaubensgemeinschaft mit. Feste sind nötig, um als Gemeinschaft sich
zu merken, und gemeinsame Projekte, wovon ein Spielplatz nicht das Geringste
ist. Gemeinsame Hilfsaktionen - Dank auch für die Benefizkonzerte, die
mit unserem Organisten möglich wurden. Der Kirchenvorstand erkennt auch
Not in der Nachbarschaft, setzt die Pastoren in Bewegung und hilft der
Kommunalgemeinde zu richtigen Entscheidungen, vor allem zu reden, immer noch
einmal zu reden im Vertrauen, dass die gerechtere Lösung sich Bahn bricht.
Beraten werden muß immer wieder die
Brücke vom alten Wort zum neuen Leben, - verwandelt werden muß
Glaubensinhalt in Alltagswissen: wie aus Theologie Lebensmut schöpfen
und Erkenntnis, was nötig ist: Freiheit und die Grenzen, Verantwortung
und Bewahren der Schöpfung.
Die Glaubensgemeinschaft bauen, - das muß
der Heilige Geist, wir können nur vorbereiten, dass sich Menschen treffen
können, Kaffee fertig ist, ein Stück Heimat sich finden
läßt, Gespräche zwischen Einheimischen und Gästen etwa
sich anbahnen. Ein Kirchenvorsteher fand, dass in langen Jahren hier aus
kirchlichem Grasland ein Kulturland geworden ist, das es zu bewahren gilt.
Man muß den Menschen fassen, wie er ist,
unerlöst und bedürftig. Man darf ihm nicht erlauben, sich an der
Hoffnung zu vergreifen, darf nicht schweigen, wo Schweigen Verrat ist Wir
müssen aufeinander achten, christlich glauben macht ja erhöht
zurechnungsfähig.
Kirche ist das Bauwerk, Kirche ist die
Glaubensgemeinschaft und Kirche ist Gottesdienst - Kirchenvorstand verantwortet
mit Pastoren und Organist die Gottesdienste, damit der Dienst im Alltag gelingt:
mit Frieden für die Seele, Lust zur Nächstenliebe und gemeinsamem
Handeln. Gottesdienst ist zu feiern für die bestandene Woche, und an
den gemeinsamen Festen im Jahreskreis, und zu den Gelegenheiten, da die
Gesellschaft den Atem anhält. Und an den Höhepunkten der einzelnen
Leben. Taufe, Konfirmation, Hochzeit, Beerdigung - dann Glauben parat halten,
für festen Boden in der schwankenden jagenden Zeit. Dass Chorwerk
Vaterunser, dies gemeinsame Singen und Beten und Nachdenken im Gottesdienst
ist so was, wie das Mark für den Körper, wo neues Blut, neues Leben
gebaut wird.
Menschen, die sich für nichts halten als
ihr eigenes Machwerk, die müssen wieder einen Seinsgrund zu fassen kriegen,
der sie wert macht; wer sich verloren vorkommt, dem muss das Vertrauenswissen
ganz langsam wieder nachwachsen. Wer herrisch mit seinem und anderer Menschen
Leben herumfuhrwerkt, der muß ein "Halt,so nicht!" abkriegen. Gottesdienst
und Seelsorge und erweckende Musik helfen unserer Schwachheit auf. Für
diese Felder haben Pastoren und Organist einen Sonderauftrag, der aber die
Zwiesprache mit dem Kirchenvorstand nur würzen, nicht verhindern soll.
Dank für alle Ermutigung, alles Mitbeten, Entschuldigen, Gutes
von ihm reden und alles zum Besten kehren im alten Kirchenvorstand.
Dank für viele Stunden pro Monat über sechs zwölf, achtzehn
oder vierundzwanzig Jahre, für Sorgen und Anwürfe, für Ärger
und Verletzungen, manchmal arge Träume und Tränen und Magenweh,
aber auch dank viel aneinander Wachsen, ja Freundschaft ist es geworden,
auch unter viel Lachen. Dank fürs Arbeitgebersein mit Augenmaß.
Und Dank auch für eine gute Grundstimmung in Sachen Kirche in den
Dörfern, was Sie mitbereitet haben.
Und Mut Euch Neuen, Tatkraft, Wissensdurst,
Freude, bleibt fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, fest
im Gebet.
Wir, die wir Christen sein wollen, ob mit dem
Ehrenamt des Kirchenvorstandes oder anderswo engagiert - mühen wir uns,
dass unsere Zivilgesellschaft eine Zukunft hat, sie hat eine Zukunft, wenn
Kirche weiter vom Licht der Welt besonnt wird und Licht auszuteilen hat -
Gottvertrauen und die Kultur des Helfens. Das walte Gott. Amen.