Keitumer Predigten Traugott
Giesen 10.11.2002
Elia, die Schwermut und Gott verstecken sich
im Flüstern (Könige 19)
Es ist uns mal so, dass uns die Flamme Lebensenergie
kleiner wird und blakt und verzagt. Der große Elia, ein Menschheitsheld,
weil er Aufregendes von Gott vernimmt, Prophet, 800 vor Christus, will nicht
mehr. In zwei Sätzen wird seine Schwermut beschrieben. Melancholiker
füllen Bücher und kommen auch nicht weiter als diese drei Zeilen
im 1. Buch der Könige,19. Kapitel:
Elia entließ seinen Diener und ging
hin die Wüste eine Tagesreise weit und kam und setzte sich unter einen
Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so
nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine
Väter.
Nicht handgreiflich will sich Elia ans Leben
gehen: König Saul stürzte sich ins Schwert, Judas erhängte
sich - vielleicht wussten sie sich in äußerster Gottverlorenheit,
wollten sich ihm aus den Augen, aus dem Sein wischen, wollten das Leben nicht
weiter mit sich belasten, machten Bilanz, wollten sich abschaffen, sich
verneinen, sie litten an Schuld oder Schmerz, konnten sich hier nicht
länger ertragen. Oder wollten sie den Himmel an sich reißen? Hatten
so viel Sehnsucht nach Heil, dass sie sich das ewige Leben erobern, es entern
wie ein Schiff, egal, was hier für Unheil zurückbleibt. Der Selbstmord
funkelte über ihnen, dass sie sich Gott in die Arme oder vor die
Füße schmeißen, fragen nichts mehr nach Himmel und Erde.
Der Selbstmord aus verzweifelter Bilanz, oder
aus Heimweh nach Fülle und Heimat - die Bibel geht ohne Vorwurf
darüber hinweg, sie überlässt die Wertung dem Herrn. Aber
das Leben gehört uns nicht, es ist uns anvertraut und zugemutet, es
steht uns nicht zu, zu sagen: Schluß jetzt und ziehen selbst den Stecker
raus. Jeder muß einen Weg zu Ende gehen. Aber wenn wir es sagen
müssen, dürfen wir sagen wie Elia:
Es ist genug, Herr nimm meine Seele.
Und schlicht zusammengefasst: Ich bin nicht besser als meine Eltern
- was doch heißt, all den Hochmut der frühem Jahre begraben, all
die Verachtung über die Blindheit und Blauäugigkeit der Eltern
bereuen und sich einreihen in die Kette der Generationen: Man hat sich
bemüht (So die Grabinschrift von Willy Brandt). Vielleicht auch:
Für deine großen Pläne war ich armer Mensch zu klein
(B.Brecht).- Elia ist nur noch lebensmüde, lebenssatt und bittet, dass
Gott seine Seele einhole.
Es ist genug - das kann auch mal unserer
Einschätzung von Lebenslast und Erdenschwere sein: unsere Seele möge
sich einrollen wie ein dürres Blatt. Ob wir noch mit Neugier sterben,
ob uns Fried und Freude lacht in der letzten Stunde, ob uns einer singt:
"Breit aus die Flügel beide, steht dahin. Vielleicht wollen wir
auch so unbeobachtet gehen, wie Elia:
"Elia entlässt seinen Diener, macht sich
einsam, kraftlos, unauffindbar, er geht in die Wüste, setzt sich unter
einen Wachholder, wünscht sich zu sterben. Und schlief ein.
Erst mal schlafen - Das große
Trostmittel gegen die Traurigkeit (T.v. Aquin)- der Schlaf, die
Nabelschnur, mit dem der Einzelne mit dem Ganzen zusammenhängt" (nach
F. Hebbel), überhaupt: Der Morgen ist klüger als der Abend.
Und siehe, ein Engel rührte ihn an
und sprach zu ihm: Steh auf und iss! Und er sah sich um, und siehe,
zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit
Wasser."
Engel- das ist wer Rettendes, nicht von außen
erkennbar dieser Bote des Heilenden, es ist nicht der Engel, der rettet,
sondern sein Befehl: Aufstehen und Essen; auf die Füße kommen,
Energie aufnehmen. Tischgemeinschaft, Leibsorge, Saft und Kraft. Und
als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen.
Herrlich normal - die biblischen Erfahrungen - eine Engelaktion reicht nicht,
um aus einer Schwermut uns aufsteigen zu lassen.
Und der Engel des HERRN kam zum zweiten
Mal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast
einen weiten Weg vor dir. Was wirklich aufrichtet, ist ein Auftrag.
Ein neues Gebrauchtwerden entfacht die Lebensgeister neu. Ein Weg liegt vor
dir, dass du Gott begegnest.
Und er stand auf und aß und trank
und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte
bis zum Berg Gottes, dem Horeb. Und er kam dort in eine Höhle und blieb
dort über Nacht. Und siehe, das Wort des HERRN kam zu ihm: Was machst
du hier, Elia?"
Was machst du hier Elia? - damit beginnt
Gottesbegegnung: Du weißt dich wahrgenommen, du siehst dich ins
Gespräch genommen vom Herz aller Dinge. Du weißt, dass Gott herguckt
zu dir, mitten zu dir, dich meint: was machst du hier?
Elia sprach: Ich habe geeifert für
den HERRN, den Gott Zebaoth; denn Israel hat deinen Bund verlassen und deine
Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet,
und ich bin allein übrig geblieben, und sie trachten danach, dass sie
mir mein Leben nehmen.-
Das ist eine Bilanz der Vergeblichkeit - was
hat er für Gott gewütet, geeifert, gekämpft, und jetzt scheint
er alleine übriggeblieben, geschlagen, verachtet, erfolglos, hat für
Gott eine schlechte Figur gemacht.
Aber Gott zieht eine andere Bilanz: Worin ist
das Heilige erfahrbar, worin scheint das Ewige auf? Das Fascinosum
et Tremendum - das Begeisternde und Erschauernmachende Gottes-wie kommt
es zu uns:
Der Herr sprach: Geh heraus und tritt
hin auf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR wird vorübergehen.
Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen
zerbrach, kam vor dem HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde. Nach dem
Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben.
Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der
HERR war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen,
die Stimme eines verschwebenden Schweigens(M. Buber). Als das
Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel."
Eben hatte Elia noch so für Gott gewütet,
und jetzt führt ihm Gott die Gewalt in form von Sturm und Feuer vor.
Also Gott ist Auslöser der Stürme, auch Auslöserin sexueller
Stürme (Harold Brodkey), aber im Gewaltigen ist keine Botschaft
von ihm, darin können wir Gott nicht vernehmen. In Erdbeben spricht
er nicht. Im zerstörenden Karzinom spricht er nicht, in Mord und Krieg
spricht er nicht. Gott betreibt alle Energie, ist der erste Beweger von allem,
aber darin teilt er sich nicht uns mit. Nur als Stimme verschwebenden Schweigens
meldet sich Gott.
Ja, alle Energie ist Gottes Macht, aber anonym,
zerschlagend und befruchtend, ersäufend und durststillend, - aber reden
tut Gott in der Stimme verschwebenden Schweigens, wie ein leiser Wind uns
einhüllt, oder wenn die Liebenden nur leise atmen oder wenn das Kindlein
schläft, unter den Augen der Eltern oder der Friede überm Watt,
von weitem nur hörbar die Enten; oder das Unterschreiben der
Friedensdokumente nach langem Ringen, oder der Blick hinauf ans Firmament
- ein großes wunderbares Schweigen, das dich miteinschließt.
Und die Stille nach dem Weihnachtsoratorium - Augenblicke innigsten Ganzseins.
Die lebendige Stille ist Gottes Reden pur. Alles Wichtige geschieht leise,
ist das die Lehre des Elia? Das Wachsen der Kinder, das Bilden des Gewissens,
das Blühen und Verblühen, das Heilen der Wunde, das Zeugen und
Sterben, der Anwachs von Ebbe und Flut.
Das Wort Gottes ist nicht im Donnerhall. Es
vollzieht sich zwischen den Menschenworten. Was die Welt im Innersten
zusammenhält, ist ein schwebendes Verstehen, Heiliger Geist - eine
göttliche Anhauchung, die uns in freier Verbundenheit zusammen sein
läßt. Kein Lärm. eher ein Lispeln, ein Wispern: Gott hält
in Händen, auch das Fallen. Er ist der Hintergrund auf dem wir alle
spielen, das Dazwischen von uns.
Könnte das gemeint sein? Ja, wir müssen
arbeiten, müssen schaffen und tätig sein, auch lärmend. Aber
Gott spricht mit uns im Schweigen, im Leisewerden, im Merken, im Lindern,
im Schauen. Ein "Gott, dessen Sinn Triumph ist", (H. Brodkey) lehnt Gott
selber ab, das zeigt er ja auch in Jesus, diese leise, unverstummbare
Stimme.
Gott spricht auch in unserm Gewissen, fast
schweigend. Er ist oberste Berufungsinstanz, die kann den Einzelnen frei
und stark machen, auch wenn die ganze übrige Gesellschaft gegen ihn
ist. Diese wichtigste psychologische Funktion Gottes geschieht ohne Donner
und Buhei - mit der Stimme eines verschwebenden Schweigens. Gott liegt in
der Luft als Klangteppich der Wahrheit, der Liebe, Hoffnung verwebt. Einen
Schimmer Gottes finden wir in den Sinnoasen des Daseins. Gott ist immer da
als der Stoff eines verschwebendes Schweigen, welches dich wissen macht:
Du darfst dich anvertrauen. Das möge helfen auch in Schwermut.
Amen.