Keitumer Predigten Traugott
Giesen 14.07.2002
Kunst ist wunderbar
In der vergangenen Woche wurde der höchste
jemals erzielte Preis für ein Bild bezahlt. Für das Bild "der
Kindermord in Bethlehem" von Peter Paul Rubens wurden 77Millionen Euro
gelöhnt. Auch ein Grund, über Kunst nachzudenken.
Und: St. Severin ist eine Skulptur überlassen worden, von Anna Cromy:
eine Pieta', auf der Südseite der Kirche aufgestellt: Eine Hülle,
ohne Gesicht, der Tod hat kein Wesen, sondern ist Mantel, in den wir
eingehüllt zu Gott nach Hause kommen. So kann es sein, möge es
bitte sein.
"Kunst ist wunderbar, und sie kann vieles sein, nur eins ist sie nicht: wichtig.
Wichtig ist nur, wer mit wem spricht, wer wem zu essen gibt, wer wem den
Hintern abwischt, wenn er es selbst nicht kann", das sagt Howard Buten, ein
Therapeut, der mit autistischen Kindern arbeitet und im Hauptberuf Clown
ist. Mir wiegt dieses Wort schwer, weil es nah am rigorosen Paulus ist; der
erklärt alles zu Nebensachen, was vom Bau des Reiches Gottes abhält.
Dem Reich Gottes hier Beine machen aber heißt, Güte und Gerechtigkeit
herbeibringen. Also: Kaufet die Zeit aus, es ist böse Zeit, - so wohl
Paulus im Brief an die Epheser (5,16). Keine Zeit zu genießen, keine
Zeit zur Freude an Schönheit, jetzt schon, sie lenke nur ab, keine Zeit
für Kunst.
Geradezu bedrohlich ist die Kunst im Alten Testament meist beurteilt. Die
schaurige Erfahrung mit dem Goldenen Kalb, das sie alle in die Knie zwang
(2.Mose 32), lag wie ein Fluch auf fast aller Kunst, - sie lade ein zu
Götzendienst (Weisheit 14): Als ein Vater über seinen Sohn, der
ihm allzu früh genommen wurde, Leid und Schmerzen trug, ließ er
ein Bild machen und verehrte den, der längst tot war, jetzt als Gott
und stiftete für die Seinen geheime Gottesdienste und Feiern.
Auch wurden Bilder verehrt auf das Gebot der Tyrannen hin. Die Leute konnten
sie nicht von Angesicht zu Angesicht ehren, weil sie zu ferne wohnten, und
machten sich aus der Ferne eine Vorstellung von ihrem Aussehen und fertigten
ein sichtbares Bild des Königs an, den sie ehren wollten, damit sie
durch ihren Eifer dem Abwesenden schmeichelten, als ob er anwesend wäre.
Der Ehrgeiz der Künstler zielte darauf, dem Fürsten zu gefallen
und machten das Bild durch seine Kunst so, dass es nicht nur ähnlich,
sondern auch schön aussah. Die Menge aber, die von der Anmut des Werkes
angezogen wurde, hielt jetzt den für einen Gott, der kurz zuvor nur
als Mensch geehrt worden war. Dies wurde zu einer Gefahr für das Leben.
Ja, wohl erkannt die Abgründigkeit der Schönheit, das ist die Kehrseite
von Kunst: Sie kann süchtig, kann hörig machen. Aber das Schöne
ist doch Gottes schönes Geschenk. Der Himmel in seiner Pracht ist Grund,
an Gott ehrfürchtig zu glauben - Licht ist dein Kleid",
schwärmten sie von Gott in Psam104. Ja, Gott ist doch als der große
Künstler anzusehen, der die Farben und Formen ins Sein ruft und die
Welt zu seinem Schmuck schafft.
Und den Menschen schuf er zu seinem Bilde, und hat damit die ganze Dramatik
von Bild und Abbild und Vorbild überhaupt selbst in den Menschen eingelegt.
Sehet die Lilien, in ihrer Schönheit" sagt Jesus - zum Sehen
geboren, zum Schauen bestellt" (Goethe) sieht uns Jesus, zum Merken und
Wahrnehmen. Wenn dazu Freiheit und Liebe kommt, dann ist auch Spielraum für
Kunst uns zugedacht. Wir sind doch ausgerüstet mit Lust auf Kunst, also
etwas gut zu machen, handwerklich, und etwas schön zu machen, etwas
Schönes zu machen und damit stärken wir uns in den Mühen,
gern hier zu sein trotz des Verwehens der Zeit.
Immer wieder tauchten die Rigorosen auf, die Bilderstürmer, die Zensoren
von Konzert und Theater, die Kasernierer der Liebessehnsucht in die Ehe,
Verächter der Kunstfreiheit unter Berufung auf einen strengen Gott.
Aber der leuchtende Jesus, der Freudenmeister, der sich die Schmückung
mit köstlicher Narde gefallen lässt, der zum Fest lädt, jetzt,
und seine Güte ausgibt an Böse und Gute will Kunst, fordert uns
auf, sie zu merken: Sehet die Lilien, schöner gekleidet als Salomo
in all seiner Pracht".
Kunst erhebt das Ich, macht dankbar, stiftet zum Aufräumen an, leitet
an, Gutes zu denken.
Beim Betrachten einer Bernini-Skulptur durchströmt uns der Gedanke:
Wenn einer der Mitmenschen das konnte, diesen toten Stein zum
Fließen, Strömen, Bewegen brachte (C.Nooteboom.), dann ist der
Mensch insgesamt doch kein Fehler - es überkommt uns eine
geheimnisvolle Bewunderung für die eigene Gattung", und man geht
erhoben davon: Doch, auch ich kann meine Arbeit anständig machen. Und
etwa vor einem intensiveren Bild: Jesus stillt den Sturm" wächst
mein Glaube wohl auch: Ich kann die Angst, ich kann aus dem Sturm davonrudern.
Bilder können mit Macht und Schönheit aufgeladen sein - sie
können schmücken, man kann mit ihnen prunken, kann sich der Ahnen
versichern, kann vorzeigen: man ist kein Hergelaufener, sondern tief verwurzelt;
Kunst kann beschützen: ein Heiland bannt doch die Dämonen - Reste
davon: ein Bild der Kinder, Enkel im Portemonnaie als ein Gebet;
Die mittelalterlichen Kirchen als Beispiel für die Kraft der Kunst:
Die Schwelle, die Säule, der Bogen, das Kreuz, die
Akanthusblätter und die Fabeltiere auf den Kapitelen, gezügelte
unheimliche Herkuft. Die stilisierten Blüten, an den hohen, schmalen
Friesen. Das Greifbare wird gewürdigt als Garant für die Treue
der Schöpfung (nach C. Nooteboom): Seht St. Severin, das Gebäude
lebt, du gehst hinein, du legst es dir an wie ein Kleidungsstück, als
wäre es nicht aus Stein, sondern aus einem anderen unbenennbaren Material,
das sich aus Stein, Licht, Glanz, Intimität zusammensetzt" (nach C.
Nooteboom).
Hier ist auch zu sehen, dicke Wände, der Schmerzensmann im Altar:
Angst und Kunst sind verzweifelte Schwestern, - mittels Kunst wird
uns ein Umhang gewirkt gegen die Verzweiflung. Mittels Kunst werden die Worte
Gottes weitertranportiert, in Schönschrift auf Pergament, oder in Stein
gehauen, nur ja möge die Kette nicht abreißen der Beter, der
Hoffenden.
Mit der Kunst versichert sich der Mensch seines Menschlichseins. In den
ägyptischen Goldenen Göttern findet das Irdische exemplarisch sich
erhoben, in den griechischen Tragödien wird die Verstricktheit und
Größe des Menschen ausgelotet, in den Geschichten von Josef und
Israel findet sich die Menschheit als zum Gespräch mit Gott berufen,
in Jesus wird Gott Fleisch, wohl seine größte Kunst überhaupt,
uns Menschen so nah zu kommen.
Kunst lässt uns die lange Reise ins Menschsein bis heute aufscheinen.
In der Kunst winkt uns was Fortwirkendes. Kunst öffnet den Horizont,
Kunst bewahrt die kollektiven Träume der Menschheit" (Ernst Bloch).
Wir haben noch viel vor: wir sind noch nicht abgefunden in unserer Sehnsucht;
was ist, ist erst Vorschein der kommenden Fülle. Die Barockkirchen z.B
sind auch Bethäuser, aber vor allem auch "geheimnisvolle Schatzkammern,
Festräume, die den Armen gehören" (M.L. Kaschnitz). Überhaupt:
Es sind nicht die Kirchen zu verehren, sondern das Unsichtbare, das
in ihnen lebt" (C.Nooteboom.).
Kinder malen, - eben die Enkelin: "Opa: guck mal: das ist ein guter Sturm."
Sie malen doch das
Unsichtbare das im Menschen lebt, im Baum, im Sturm. Nooteboom beschreibt
wie ihn eine Zubaran-Ausstellung beeindruckt: Plötzlich sehe ich
die drei bildschönen männlichen Engel als mögliche Wesen,
sehe, wie behutsam sie mit dem Leichnam in ihrer seidenen Draperie umgehen
müssen, um sich mit ihren gewaltigen aufgerichteten Flügeln nicht
im Wege zu sein, stelle mir vor, dass sie dabei mit den Flügeln schlagen,
höre dieses Geräusch, will wissen, was für Federn das sind,
will selbst Flügel haben, und schon ist es geschehen, einen Augenblick
hatte ich Flügel."
Kunst macht auch Aufheulen - Picassos Guernica:
die erschütternde Schilderung der Zerstörung des spanischen Ortes
durch deutsche Flieger mitten im Frieden. Als während des Zweiten
Weltkrieges dann deutsche Offiziere den Maler in seiner Pariser Wohnung
aufsuchen, deuten sie auf jenes Bild und sagten zu Picasso: Das haben
Sie gemacht?" - "Nein," erwiderte der Maler, "das haben Sie gemacht."
"Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen", so
Nietzsche. Was die Wahrheit ist, ist ja noch offen. Denn die Wahrheit ist
das, was ist und was daraus wird.- Aber damit wir nicht an der Wirklichkeit
ersticken, damit die Wirklichkeit weit offensteht für Werden brauchen
wir Kunst. Die Kunst ist die Gabe, Bilder, Texte, Melodien, Formen zu entwerfen,
die uns nach vorn ziehen.
"Das Gottesgeschenk ist Wort und Bild". (nach R. Musil) Wort beschreibt,
Bild malt aus: Gedanken, Träume. Das Foto, der Film, nimmt die Aura
des Einmaligen, aber umgekehrt können sie auch das Wunderbare, Einmalige
im Alltag herausheben, eben dadurch, dass es gewürdigt wird durch
Wahrnehmung. Das technisch zerfließen gemachte Bild Wahrhols von Marilyn
Monroe, massenhaft reproduziert, stellt auch die dargebrachte Oblate der
Moderne dar und kann ein Symbol sein für Gott im Fleisch der geschundenen
verbrauchten, erschöpften Schönheit.- Hoffentlich gilt noch: Den
glimmenden Docht wird er nicht auslöschen (Jesjaja 42,3), das Zerrissene
heilt er.
Laßt uns auch mittels Kunst gegen die Verachtung, gegen Entleerung
und Zerstörtheit ansingen: Schläft ein Lied in allen Dingen,
die da träumen fort und fort und die Welt hebt an zu singen, triffst
du nur das Zauberwort". Du, sieh dich mit den Dingen in einem Verhältnis,
"Zusammengehören" ist das Zauberwort: Und die Dinge antworten dir.
Es spricht nicht gegen die Kunst, wenn der Künstler sich von der Kunst
ernähren kann, doch wichtig, dass er macht, was er muß, schlecht,
wenn sie nur deshalb betrieben wird, damit sie etwas einbringt, - ein Lob
mal auf die Mäzene.
Der Markt sucht Überraschendes und Schockierendes. Immer schwieriger,
Kriterien der Qualität zu finden: Der Markt verlangt den Schock: der
Künstler muß das Gewohnte und schon Verdaute meiden, muß
neues Sehfutter anbieten, auch die neue Musik ist mit gewöhnlichen Ohren
kaum zu vernehmen, die modernen Gedichte rumpeln mehr, als dass sie klingen,
die modernen Inszenierungen der Klassiker tun oft weh, ohne zu erschüttern.
Wie ja auch Predigten gehalten werden, die man sich hätte sparen
können. Was daran alles Kunst ist, - wer will es zensieren.
Es sind vier heiße Medien, die die Welt bewegen: Geld, Religion,
Liebesumarmung und die Kunst. Kümmern wir uns auch um die Kunst.
Und zuletzt eine Geschichte aus Sankt Severin:
Restaurator Botho Mannewitz brachte den renovierten Keitumer Altar zurück.
Und als alles instaliert war und die Farben leuchteten im Licht, da sagte
der Restaurator: Ihr habt mir Holz gebracht und Kunst
wiederbekommen.
Schlußgebet