Keitumer Predigten Traugott
Giesen 21.10.2001
Steh auf, nimm dein Bett und geh! (Markus Evangelium
2,1-12)
Und nach einigen Tagen ging Jesus wieder nach
Kapernaum; und es wurde bekannt, dass er im Hause war. Und es versammelten
sich viele, so dass sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der
Tür; und er sagte ihnen das Wort. Und es kamen einige zu ihm, die brachten
einen Gelähmten, von vieren getragen. Und da sie ihn nicht zu ihm bringen
konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, machten ein
Loch und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag. Als
nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn,
deine Sünden sind dir vergeben. Es saßen da aber einige
Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen: Wie redet der so? Er lästert
Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein? Und Jesus erkannte sogleich
in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten, und sprach zu ihnen:
Was denkt ihr solches in euren Herzen? Was ist leichter, zu dem Gelähmten
zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm
dein Bett und geh umher? Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht
hat, Sünden zu vergeben auf Erden - sprach er zu dem Gelähmten:
Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim! Und er stand auf, nahm
sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen, so dass sie sich alle
entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben so etwas noch nie
gesehen.
Ein Mensch kann wieder in sein eigenes Leben
gehen. Weil es einen anderen gibt, der ihm die Last des Schuldgefühls
von den Schultern nimmt. Das spricht uns besonders an, wenn wir selber oft
wie gelähmt scheinen. Ja, lässt dich was wie gelähmt sein?
Müde? Fürchtest du, zerrieben zu werden zwischen Wollen und Sollen?
Lebst du auf arg kleiner Flamme? Willst du so unauffällig sein, am besten
nichts tun, dann machst du nichts falsch? Oder bist du übergeschäftig
und verdeckst nur, tarnst nur, dass du innen starr bist, nichts mehr wagst?
Was hast du denn solche Angst, zu sündigen, dass ganze Bereiche deiner
Lebendigkeit stillgelegt sind? Hättest du gern Ruhe von allem? Ist bei
dir das Gefühl stark, du seiest schuldig geworden? An einem, an dir,
bist du lebensmüde, mutmüde, hat es dir den Schneid abgekauft?
Tust nur das Nötigste, bleibst viel gefühllos?
Ängstigen wir uns vor noch mehr Verfehlung?
Und erstarren? Es kann soweit gehen, dass man hungert, um nicht
verführerisch zu scheinen; oder aus Angst wieder zu klauen, geht man
nicht aus dem Haus. Oder aus Angst, falsch zu predigen, erzählt man
nur die Bibel nach; aus Angst, beim Kunden was falsch zu machen, verdrückt
man sich lieber ins Lager. Bist du allein aus Furcht vor anderen? Aus Angst,
vor Gott was falsch zu machen, begräbt man seine Talente. Aus Angst
vor dem Leben, wird man krank - das gibt es, man bleibt am liebsten im Bett,
wo man des Tages Jammer verschlafen und vergessen will, betört in einer
dichten und sicheren Benommenheit.
Die Frage : "Willst du gesund werden", hätte
Jesus auch hier stellen können. "Willst du überhaupt gesund werden?"
- Das ist eine Frage, kommt es empört zurück - einen Augenblick.
Du weißt, dass deine Lähmung von innen kommt. Du legst dich selbst
lahm. Was bannt dich? Und ist dein Krankenlager nicht eine Burg? Aber Jesus
fragt nichts. Er sieht die Freunde. Stellvertretend mühen sie sich,
sie haben den nicht aufgegeben, der sich selbst nicht mehr mag. Sie sind
auf seiner Seite. Sie halten seine Chance aufrecht, wieder Glück zu
finden. Was vor allem anderen voraussetzt, das Wünschen muß er
wieder finden und das Dürfen dazu und das Können auch. Schon herrlich,
Freunde zu haben, die sich die Mühe machen, einen zum Arzt zu bringen.
Das Dach abdecken, es war mit Reisig gedeckt, keine Staatsaktion also, aber
immerhin: Mühe. Freunde machen sich Mühe um mich, ich mir auch
um sie? Darüber auch mal nachdenken.
Sie schleppen ihn zu einem, von dem man sagte,
dass er heile. Und der Jesus schaut ihn an, dann spricht er: "Dir sind deine
Sünden vergeben." Ohne Einschränkung, ohne Bedingung, ohne
Aufforderung. Das ist Rettung: auf einen zu stoßen, der weiß,
Gott vergibt, in jedem Fall, ohne Bedingung, ohne Klauseln, was auch geschehen
mag. Gott hat dir schon jedem vergeben. Gott ist Vergebekraft, ist die
Neuanfangekraft, die für- dich- da-Kraft - egal was war.
Jesus fragt nicht nach Schuld im Einzelnen,
kein Lasterkatalog, kein Beichtspiegel, kein Fragebogen wird ausgefüllt,
kein Verhör. Jesus sieht die Lähmung. Und weiß: Starr aus
Angst vor Schuld ist er. Da hilft nur, des anderen Seele in ein Urvertrauen
zu betten, ihn einzuhüllen in den Mantel der Liebe, die aus dem Stoff
von Gottes Mantel ist: Hört aus Psalm 103 "der dir alle deine Sünden
vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom verderben
erlöst und dich krönen wird mit Gnade und Barmherzigkeit."
Laß ich's mir gesagt sein, kann ich genesen:
Die Angst fließt ab, die Angst, ich würde ja doch für schlecht
gehalten und verurteilt, zerteilt sich. Glaube ich der Vergebung, löst
sich meine Schuldangst auf. Und dann kann ich mir begegnen, mich im Spiegel
anschauen, mich begnadigten Sünder, von Gott geliebt, gebraucht, geliebt,
gebraucht. Das 20 Mal am Tag mir einflößen wie eine Nahrung, hilft
auf, hebt mich zur Tat. Da kann ich wahrnehmen, was mit mir ist, und wer
ich bin. Das Ziel wird immer sein: Du, gekrönt Sohn, Tochter Gottes.
Dann brauch ich mich auch vor mir selbst nicht verstecken. Kann mich rantrauen
an meine Geschichte. Kann mich trauen, meiner selbst ansichtig zu werden.
Und merken, was ich will, was es in mir will, worauf es in mir mit mir hinaus
will. Und kann dann mit entscheiden, ob ich das will oder vorbeiwinke. Kann
wieder Freude fühlen.
Nimm dein Bett und geh! Ist Jesu schönster
Freispruch mir. Geh an dein Leben. Du stehst wieder auf der Karte. Beweg'
dich, trau' dich, wieder dein Leben unter die Füße zu nehmen.
Lass dich wieder in Geschehnisse verwickeln in gültige Geschehnisse
wie in einen Ringkampf. "Bisher hast du gewähren lassen. Das ist zehnmal
gefährlicher als tun" (R. Musil). Jetzt bist du wieder zuständig.
Mischst dich wieder ein, tust deine Farbe dazu , deine Meinung, deinen
Fleiß, deine Lust, dein Wissen rührst du wieder ins Leben. Und
trau dich, auch wieder zu irren und schuldig zu werden. "Wann machen Sie
endlich wieder einen Fehler?" - Fragte der Chef. "Warum?" - "Dann gehe ich
sicher, dass Sie was Neues erkunden!" Geh' selber, denk selber, entscheide
selber. Und wenn du eine schlimme Phantasie hast, stell sie dir bis zu Ende
vor."Stell' dir bloß vor, du tätest es wirklich: es wäre
gar nicht das, was du gemeint hast, und du würdest zumindest furchtbar
enttäuscht sein" (R.Musil).
Mein Sohn! Eigenartig, meine Tochter! Der Jesus
redet mit seinem Gegenüber an Vater Statt, im Namen des mütterlichen
Vatergottes. Wenn wir uns einander so anvertrauen, den Nächsten als
Außenseite Gottes, als Sprecher des Herrn nehmen. Auch uns als Souffleure
des Herrn brauchen lassen, nicht als Angstmacher. Du sagst Freispruch im
Namen Gottes, du als Mund in Vollmacht. Das ist dir zugetraut, du sprichst
frei. "Nimm dein Bett und geh!" Dies ist Freispruch und Auftrag und Widmung
und Prognose zugleich! Wie die Verheißung des Chefarztes - nur umfassender:
Morgen wieder aufstehen. Geh' leben. Spüre wieder "das unbeschreibliche
Gefühl, die Arme auszubreiten und von einer Welle der Schöpfung
gehoben zu werden" (R. Musil).
Nimm dein Bett, auch deine Couch, dein Bündel,
nimm dein Paket, und geh, geh dran, bearbeite es. Und glaub', dir ist vergeben,
also vergib auch anderen und dir selbst. Nimm dein Bett, deine Last, und
geh, du kannst. Amen.
Schlussgebet
Siehe auch: Eugen Drewermann, Jesus von Nazareth,
Walter-Verlag