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Keitumer Predigten   Traugott Giesen   16.09.2001

Predigt am Sonntag nach dem 11. September 2001

Seid hellwach, steht im Glauben, seid beherzt und stark. Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen (1. Korinther 16,13).

Siehe, um Trost ward mir sehr bange (Jesaja 38,7).

Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an. Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil. Das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte und meine Zuversicht setze auf Gott, den HERRN, dass ich verkündige all dein Tun (Psalm 73,23-26.28).

Gott, Du hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verdürbe. Du wirfst alle unsere Verfinsterungen hinter dich zurück. (Jesaja 38,7).

Darum halten wir Gottesdienst, dass wir vom Ertrinken gerettet werden, dass wir auferstehen zu neuer Hoffnung und auffahren mit Flügeln wie Adler - wir die wir verschüttet sind von Grausen. Wir werden gerettet von dem, der all unsere Verfinsterung hinter sich wirft. Uns und der ganzen Menschheit gehe auf der Morgenstern in unseren Herzen. Wir wissen Gott zwischen Unheil und uns; wir tragen zusammen das Leid in die Freude des kommenden Reiches.

Laßt uns unsere Gedanken ein wenig ordnen. So viel haben wir seit Dienstag gesehen und gehört, wir müssen erst mal wieder wissen, wo uns der Kopf steht. Dazu geht mit mir einige Schritte:

Unsägliches Leid ist auf die Menschheit geprasselt. Zu Bomben wurden vier Passagierflugzeuge missbraucht von Selbstmordkommandos. Zehntausend Menschen kamen um bei der Zerstörung des World-Trade-Centers in New York und des Pentagons in Washington, ein viertes zerschellte mit 47 Passagieren. Wir trauern um die Toten, die herausgerissen wurden aus ihren Leben, die nicht mehr lieben dürfen, lachen, arbeiten, nicht mehr Gutes tun und schuldig werden können, die nicht mehr Kinder erziehen, ihre Enkel heranwachsen sehen, die nicht mehr ihren Hund streicheln, im Auto heimfahren, die nicht mehr zum Abendbrot zu Tisch sitzen mit Familie, mit Freunden oder einfach allein in Ruhe.

Wir trauern mit den Verwitweten und Verwaisten. Wir fühlen Leere, in uns ist ein Grauen, dass Menschen dies Menschen antun können; und Angst, dass das der Anfang eines Krieges ist.

Mitbetroffen sind wir auch, weil in Schutt und Asche gelegt wurden die Zentralen der USA, als der Vormacht der liberalen Welt-Gesellschaft. Hier wurde die erste demokratische Verfassung ausgerufen, hier wurde die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und das Recht auf Glück nach eigener Facon großgeschrieben. Hier wird das Geldverdienen und das Entertainment, die neuen Wissenschaften und Techniken zu immer neuen Höhenflügen geführt. Hier ist Gottvertrauen gepaart mit Nationalstolz und Auserwähltsein. Von hier aus wurde Krieg geführt auf vier Kontinenten immer im Zeichen der Freiheit, woraus dann die USA jedes Mal gestärkt hervorging. Uns retteten die USA mindestens viermal, einmal vor dem Sieg von Hitlerdeutschland, einmal beim Wiederaufbau von Westdeutschland, einmal vor dem Geschlucktwerden von Westberlin und dann beim Einverstandensein mit der Wiedervereinigung. Unsere Solidarität, mit den Menschen und mit der amerikanischen Nation ist selbstverständlich.

Aber muß es denn Krieg geben?

Zum ersten mal sind die USA auf eigenem Boden das Ziel von Gegnern. Die USA werden zurückschlagen, wenn sie wissen, wer der Gegner ist und wie sie ihn lokalisieren können. Wie werden wir es mit aufnehmen müssen mit einem Feind, der genauso auf die Finanztürme von Frankfurt hätte zielen können oder es noch tut. Die Mörder wohnten bei uns fast nebenan, bereiteten hier sich vor auf ihr Vernichtungswerk, unauffällige Bürger mit freundlichen Gesichtern. Die Attentate galten und gelten der freien Welt, dem freien Verkehr, der freien Meinung, der freien Moral, inklusiv ihrer Auswüchse.

Es ist ein Anschlag auch auf die Grundlagen des Christentums - alle Freizügigkeit bis hin zur schmerzhaften Geschmacklosigkeit und alle Meinungsfreiheit, auch die Freiheit, Schwachsinn für heilig zu behaupten, sind Abzweigungen aus dem Evangelium des Jesus Christus. Nicht die Kirchen haben den Ruf Jesu zur Freiheit unbedingt vorgelebt, der Aufruf von Lessing trifft alle drei theistischen Religionen immer noch: im edlen Wettstreit sich angenehm zu machen vor Gott und Menschen.

Aber die gute Botschaft heißt nach Worten des Paulus: "Wir sind Gott recht, weil er uns liebt. Das macht uns zu freien Bürgern des Reiches Gottes schon jetzt. So bestehet nun in der Freiheit und lasst euch nicht wieder in ein knechtendes Joch zwingen" (Galater 5,1) - damals ging es um die Freisprechung vom jüdischen Gesetz. Daraus folgt die Freisprechung auf allen Gebieten: "Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst."( Lukas 10,27)! - Alles andere ist freie Absprache. Also biete deine Begabungen an auf dem Markt der Möglichkeiten, tu Gutes und lass es dir gut gehen.

Klar, dass da Familien- und Stammesbande und das Volk zurücktreten, dass Kirchen ihre Macht verlieren, und der Staat eine Organisation zum reibungslosen Funktionieren der Gesellschaft wird. Und klar, dass alle Beziehungen, die nicht von der Liebe geordnet sind, vom Spiel der Kräfte, vom Markt, von Angebot und Nachfrage gestaltet werden. Unsere Gesellschaft organisiert die Ichsucht weitgehend mit Geld. Wir beschaffen unsere Rangfolge durch die Begabung, Geld zu beschaffen, zu rechnen und aus allem einen Vorteil zu ziehen. Das entthront die Patriarchen, das entmachtet die Würdenträger, die Gunst und Ehre verteilen können. Das entwertet auch viele Schätze von früher: Die gesetzliche Sonntagsruhe, die schönen Gedichte, die frommen Sitten, an Stelle des Gehorsams treten Verabredung, Autorität weicht der Kenntnis; die Wichtigkeit von Klasse, Rasse, Geschlecht verliert sich, es zählt Leistung, es gibt viele Wahrheiten, gefragt ist Effizienz. Keiner muß mehr zur Kirche und geht nur, wenn er sich davon für sich Gewinn, Freude, Lebensmut verspricht. Und alles hier ist vorläufig und ist morgen schon von gestern und was von uns bleibt, liegt in eines Andern Hand.

Der christliche Glaube weiß Gott in der Moderne anwesend. Ja, wir sehen die Moderne als Geschenk des Glaubens, als Folge des Freispruchs, den Christus uns gebracht hat, inklusiv aller Irrwege. Aber viele Christen sind anderer Meinung: Sie sagen, Gott liebt nur den, der die Gebote befolgt, und die Bibel sei wortwörtlich von Gott eingegeben und die Todesstrafe sei nötig und Krieg sei, wenn er gerecht ist, notwendig. Diese radikalen Fundamentalisten im christlichen Lager sind geistesverwandt mit den radikalen Siedlern in Israel und den radikalen Moslems, die den Dieben die Hände abhacken und die Ehebrecherin hinrichtet. Und ein Zipfel der radikalen Islamisten kann sein, hat den "heiligen Krieg" ausgerufen gegen den in ihren Augen gottlosen Westen und gegen die verhassten freizügigen Glaubensbrüder in den eigenen Reihen.

Natürlich hat der Westen das Recht und die Pflicht, die Mörder zur Rechenschaft zu ziehen. Und die ihre Überzeugung mit Gewalt uns aufzwingen wollen, die müssen wir entwaffnen, notfalls mit Gewalt. Der Einzelne kann für sich Gewalt in jeder Form ablehnen, aber die Rettung anderer aus Gewalt ist Gebot - auch mit Gewalt? Jedenfalls dürfen wir den Staat nicht verpflichten zur Gewaltlosigkeit, er muß schützen gegen Gewalt, zur Not mit Gewalt.

Wenn uns Gewalt angetan wird sind wir Menschen gedemütigt, als Dreck behandelt zu werden, da gehen wir gegen an. Zu Staub und Asche vernichtet sind zehntausend Mitmenschen. Amerika trauert und ringt um seine Selbstachtung. Wenn uns einer einen Kratzer am Auto beibringt, oder wir um unsere Geldbörse beraubt werden, wie lodert unser Haß in unserer Ohnmacht. Wieviel mehr wird in uns Rachegier losgemacht, wenn unsere Liebsten und Nächsten umgebracht werden, wahllos, ohne irgendeinen Zusammenhang mit Schuld. Amerika ist tief gekränkt und sucht nach dem Gegner und wird ihn finden und wird alle die mit in Haftung nehmen, die sich ihm in den Weg stellen.

Und da genau ist unser Gebet nötig, unser Hindenken und Mitdenken, mit unsern Mitmenschen und Mitchristen drüben: dass wir nicht Böses mit Bösem vergelten (Römer12,17). Jesus sagte es mal so: "Meine Gegner behaupten, ich vertreibe die bösen Geister, den Teufel durch den Obersten der Teufel, Beelzebub. Aber dann wäre das Reich der Teufel ja noch da. Ich treibe die Teufel aus durch den Geist Gottes. So ist nicht mehr des Satans Reich bei euch, sondern das Reich Gottes ist zu euch gekommen" (Matthäus 12,24.28). Will sagen: Auch wenn wir nur reagieren, nur antworteten, dürfen wir nicht verheerend antworten - wir dürfen Unbeteiligte nicht treffen, sonst weiten wir das Reich des Unrechtes nur aus. Das Reich des Terrors muß austrocknen, langfristig durch Befriedung des Hasses in der Welt.

Jesus bekehrte die bösen Geister, er nahm die Angst, er gab Chancen, gut von sich zu denken; er versöhnte die Verfeindeten. Jesus sagt: Damit geschieht Reich Gottes. Und er entzog sich der Gewalt nicht durch List oder Gegen-Gewalt, sondern ließ sich kreuzigen. Dieser Pfahl wurde der Markstein zwischen dem Reich des Teufels und Gottes: Gott regiert nicht mit Gewalt, sondern mit dem Geist der Liebe. Dieser Geist muß eingelassen werden, muß begehrt sein und gehegt werden. Beten wir, dass wir ihn wollen.

Das Reich Gottes ist eröffnet. Aber noch bitten wir, dass es ganz komme. Noch braucht es viele Erleuchtete, die mit dem, was sie nehmen, viel Gutes geben. Die sich schützend vor Fremde stellen, "die auch den Jahrhunderten abgelernt haben, dass Werte von dem Zusammenhang abhängen, in dem sie sich befinden; dass Laster zu Tugenden und Tugenden zu Lastern werden können" (R. Musil). "Wir trennen Gut und Bös, aber in uns wissen wir, dass sie ein Ganzes sind!" (R.Musil). Das Reich Gottes ist, wo du bist. Darauf setze. Trau deinem Gutsein, trau deinem Gottvertrauen. Laß du deine guten Begabungen wachsen und Frucht bringen, dann wird das untergemengte Böse schon in Schach gehalten. Und nimm Schwierige an, der Jesus saugte geradezu das Böse auf, indem er es übernahm. Wir brauchen nicht uns opfern, aber "einer trage des andern Last mit" (Galater 6,2) - Und: "ist nicht alles Schreckliche im Grunde das Hilflose, das von uns Hilfe will?" (R. M. Rilke).

Es ist noch viel Dunkel in der Welt, aber das Licht geht nach und nach über dem Ganzen auf (L.Wittgenstein). Du, Gott, wirfst unsere Verfinsterungen hinter Dich. Amen.


 




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