Keitumer Predigten Traugott
Giesen 29.07.2001
Selbstachtung macht großmütig
Matthäus 18,21-33
Nimm den Gottesdienst, nimm den Bibeltext als
Schaufel, dich unmzugraben.
"Petrus trat zu Jesus und fragte ihn: Herr,
wie oft muss ich meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt
siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal
siebenmal. Denn das Himmelreich gleicht einem König, der mit seinen
Knechten abrechnen wollte. Und als er anfing abzurechnen, wurde einer vor
ihn gebracht, der war ihm zehntausend Zentner Silber schuldig. Da er's nun
nicht bezahlen konnte, befahl der Herr, ihn und seine Frau und seine Kinder
und alles, was er hatte, zu verkaufen und damit zu bezahlen. Da fiel ihm
der Knecht zu Füßen und flehte ihn an und sprach: Hab Geduld mit
mir; ich will dir alles bezahlen. Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht
und ließ ihn frei und die Schuld erließ er ihm auch. Da ging
dieser Knecht hinaus und traf einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert
Silbergroschen schuldig; und er packte und würgte ihn und sprach: Bezahle,
was du mir schuldig bist! Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach:
Hab Geduld mit mir; ich will dir's bezahlen. Er wollte aber nicht, sondern
ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er bezahlt hätte, was
er schuldig war. Als aber seine Mitknechte das sahen, wurden sie sehr
betrübt und kamen und brachten bei ihrem Herrn alles vor, was sich begeben
hatte. Da forderte ihn sein Herr vor sich..."
Wir würden ja in den Boden versinken vor
Scham. Und doch kann es uns passieren, ist es uns passiert, daß wir
die Großzügigkeit des Lebens zwar annehmen, aber kleinlich auftreten
gegen Mitmenschen. "Niemand verhält sich fair, wenn er nicht muß...
Spätestens mit fünf weiß doch jeder, daß man nie sagen
darf, man hat es absichtlich gemacht - also machst du nie etwas absichtlich",
sagt Harold Brodkey. Darum war dem Bauern in Israel geboten, sein Feld nur
einmal zu lesen, daß den Armen bei der Nachlese was bleibe. Darum
müssen wir durch Steuern zusammenlegen, was den Armen als Sozialhilfe
oder Mietbeihilfe zukommt. Freiwillig käme nicht genug zusammen, darum
muß das Gebot der Nächstenliebe auch in Steuergesetze gegossen
werden. Etwas in uns will haben und halten, will lieber nicht abgeben, darum
auch ungern vergeben. Wir pochen gern auf unser Recht, auf unsere Vorfahrt,
auf Privilegien, werden gern vorgezogen, bunkern Vorteile, wollen einfach
nicht so lange warten müssen wie andere, nicht so viel bezahlen, wollen
mehr erben als die Geschwister. Ein Gräuel, die Vorstellung, unsere
Kinder würden mal gegenseitig aufrechnen, was sie bekommen haben und
sie zerfleischen sich, tun sich Bitteres an, obwohl sie die Fülle haben,
alle. Und doch, was suchen sie beim Schachern und Raffen? Sie wollen in Form
von Materie die Liebe der Eltern stapeln, wollen endlich sicher haben, daß
sie geliebt sind. Oder aus Angst, zurückzustehen, treiben sie noch
beieinander die Schulden ein, könnten noch die Grabkosten an unserm
Grab abwälzen wollen. Vielleicht sind andere Arten, Liebe vorzuenthalten,
ihnen näher.
Jesu Lockruf aber heißt: Laß laufen,
vergib, rechne nicht auf, sei großmütig. Gib mehr als nötig,
steck lieber einen Schlag noch ein, eine Beleidigung überhöre noch.
Mach es lieber selbst, als daß du dich zerstreitest. Und wenn du damit
sein Ego plusterst, seine Faulheit mästest, seine schlechten Gewohnheiten
wattierst? Gefährlich ist's, einem einzuflößen, er hätte
mehr Anrecht auf Gehör, Besitz, Ehre, er sei ein Prinz, eine Prinzessin
- dagegen die andern nur Fußvolk.
Von einem Großen in der Glaubensgeschichte
wird erzählt, ihm habe sein Vater den Dünkel gepäppelt, den
er nur unter großer Pein hat ablegen können: Der Vater Jakob liebte
den Sohn Josef mehr, als alle andern Söhne. Er schenkte ihm ein buntes
Kleid - wohl das Hochzeitsgewand seiner geliebten früh verstorbenen
Frau Rahel. Jakob nutzte Josef als seinen Vertrauten, schickte ihn auch schon
mal, obwohl sehr jung, mit väterlichen Aufträgen zu den Hirten
- Brüdern. Denen erzählte Josef einen Traum: ich komme mir vor
wie eine Garbe vollen Korns, und ihr bildet als kleine Garben einen Kreis
um mich und verneigtet euch vor mir. Irgendwann stürzten sie den
Träumer und Angeber in einen ausgetrockneten Brunnen, verkauften ihn
dann in die Knechtschaft. Er wurde später der große Ernährer
in Ägypten, vergab auch seinen Brüdern, aber hat sicher seinen
eigenen Anteil an deren Schuld nie vergessen (1. Mose 37-50).
Also großzügig werden, aber nicht
mit Verwöhnen verderben. Auch nicht seine Eitelkeit tätscheln,
die ihn nur weiter von sich wegtreibt. Auch nicht arglos die Bosheit anderer
fördern durch Weggucken und Schweigen. Wir sind mit verantwortlich,
wie einer von uns berührt ist. Wir sind zuständig im Rahmen unseres
Wissens. Wir dürfen des andern Dünkel nicht fördern durch
gute Miene zu bösem Spiel. So mancher muß übersteigerte
Ansprüche von Wildfremden ausbaden, nur weil Eltern, und Lehrer, Nachbarn,
Nächste dem Schwierigen immer kleinbeigaben. So ist der Aufruf Jesu
zu Großmut und Vergebung also nicht gemeint.
Das Gegenteil von Dünkel ist nicht
Sichkleinmachen, sondern eine gute Selbstachtung. Mit guter Selbstachtung
gebraucht man Materie, aber braucht nicht mehr und mehr davon, um sich wert
zu machen. Mit guter Selbstachtung muß man auch nicht ehrhuberisch
auf der Lauer sein, die Aufmerksamkeit anderer abzuschöpfen. Wie kommt
man zu dieser Lebenskraft, namens Selbstachtung. Etwa mit dieser wunderbaren
Geschichte des Jesus:
Der König ruft seine Mitarbeiter: die sollen
jetzt Rechenschaft geben, was sie mit dem Geld des Herrn erwirtschaftet haben.
Und einer hat nichts vorzuweisen. Hat es verbraucht, verspekuliert, verjubelt
- das muß er büßen. Er fleht um Gnade. Da erlässt er
ihm die Schulden. Mit guter Selbstachtung könnte der Beschenkte gehen:
aufgerichtet und frei könnte er Gott und der Welt in die Augen sehen,
aber der sogenannte Schalksknecht ist ein "Geisterfahrer", er begreift nichts
- statt ein Fest zu geben, geht er hin und treibt bei Kollegen deren
Groschenschulden ein, und zwar mit Härte, furchtbar. Man sollte doch
fiese Taten lassen, schon für sich selbst, damit man keine schlimme
Erinnerung an sich mitschleppt. Vielleicht hat er kein Verhältnis zu
sich selbst, funktioniert nur - preßt Geld, mehr weiß er
nicht.
Haben wir, du, ich, eine gute Selbstachtung
mitbekommen? Uns, dir, mir ist doch genug geschenkt worden: Bewahrung, Genesung,
Menschen zum Lieben, Begabungen, um andern gut zu nützen, auf daß
auch genug zurückkommt. Ja, jeder ist auch geduckt worden, nicht zu
knapp. Aber ist einer, der dich drangsaliert? Dir die Achtung abhäutet.
Dann lauf weg, wie 43.000 Fauen im Jahr in Frauenhäusern Zuflucht suchen.
Sonst müsstest du dich selbst hassen, weil du Gewalt zulässt, noch
immer da bist, still hälst, und damit das Böse mästest.
Zur guten Selbstachtung gehört auch, daß
du aufräumst, was du durcheinander bringst. Also Schulden bezahlen,
wenn irgend möglich, Streit klären, Versöhnung anbieten. Wenn
du einem gut sein willst, achte auch seine Selbstachtung, tritt nicht auf
ihr rum. Schon dem Jugendlichen sein Zimmer aufräumen kann eine Behinderung
sein, nur weil man selbst gern Ordnung hätte, - lass lieber langsam
sein Zimmer zuwachsen, bis er selbst genug davon hat.
Aus Selbstachtung tu Freundliches, tu friedliche
Vergnügen, achte darauf, daß du mit dir im Reinen bist. Ich habe
mal einem sein Buchmanuskript verbessert, für Geld, obwohl ich den Inhalt
nur für heiße Luft hielt - da verachtete ich mich für; ich
lernte daran, besser auf mich zu achten, möglichst nur zu tun, was ich
wirklich will, und nein sagen, enttäuschen lernen; und einen richtigen
Sinn dafür, wie man siegt und verliert.
Viel Selbstachtung hat ja Gott dir, mir beschafft,
du Kind Gottes, Erbe der Verheißung. Du kannst ziemlich glücklich
sein und glücklich machen. Doch. Red' dich nicht raus. Auch unterstehen
wir Geboten, die Raum geben der Freiheit und Sinnlichkeit ohne schlechtes
Gewissen. Es sind doch im Leben Gütequellen am Sprudeln. Wir trachten
doch danach, in den Augen anderer Gnade zu finden und von ihnen gemocht zu
werden, man hofft doch und will erreichen, daß einem die eigenen
Irrtümer, Unachtsamkeiten, Fehlgriffe und Versäumnisse nicht angelastet
werden, und auch nicht die Enttäuschung derer, die einem vertraut haben,
oder die kleinen Treulosigkeiten und die kleinen Kränkungen. - Es ist
viel Vergebung zwischen uns.
Darum stürzt uns ja auch in Beschämung,
wenn wir zornig werden, doch aus Schwäche, da ist dann böse
Gereiztheit, bebende Ungeduld, die uns gerade den Liebsten gegenüber
befällt. Danken wir doch für die Selbstachtung, die uns in uns
selbst so viel Halt finden lässt. So können wir Vorwürfe ruhig
entgegenzunehmen. Es ist doch keiner verpflichtet, mich so zu sehen, wie
ich gern gesehen werde. Er kann mich, dich nicht klein machen. Wie ich seine
Vorwürfe bewerte, wie ich sie in meinen Zusammenhang stelle, das ist
doch meine Sache. Bedanke ich mich für seine Mühe, in Worte zu
fassen, was ihn ärgert an mir: ich will darüber nachdenken - kann
man doch immer zugestehen.
Unsere Selbstachtung ist daran gebunden, daß
wir Wiedervergeltung im Guten und im Schlimmen üben können. Daß
wir Gutes tun können denen, die uns gut sind und daß wir uns
rächen können an Menschen, die uns Böses taten. Zur Selbstachtung
gehört, daß ich Gutes mit Gutem beantworte - und Beleidigung mit
Beleidigung, Schmerz mit Schmerz, Leistungsabforderung mit Rechnungsstellung,
wenigstens quittieren könnte. Wenn ich verzichte auf Rache, gut, wohl
auch besser, vielleicht sogar sieben mal siebzig mal besser. Aber es ist
deine Freiheit, ob du auf natürlich maßvolle Rache verzichtest,
Wiedergutmachung nicht verlangst.
Zur Selbstachtung gehört: Es sind deine
Gefühle, und wenn sie brodeln, es sind deine dir von Deinem Schöpfer
eingepflanzten Gefühle. Du magst dich von deinen Gefühlen auch
gekidnappt sehen, du magst "Enttäuschung wie eine Stichflamme" (X. Marias)
erfahren. Wisse: Gott liebt dich und braucht dich, braucht mich, auch um
den Kreislauf von Schuld und Vergeltung aufzubrechen - mit mir, dir, ein
Neues zu säen, so was wie Frieden. Diese Selbstachtung nimm als roten
Faden deines Ichs. - Ein Roter Faden wurde mit eingeseilt in die Schiffstaue
der Britischen Königlichen Marine, um bei Diebstahl den Besitz zu
klären. Dein Roter Faden: deine Seele - das Wissen: du gehörst
Gott, auch mit deinen verqueren Anlagen und Ansichten. Besprich sie mit ihm
und leb vom immer neuen Beschenktsein mit Lebendürfen. Das lass deinen
roten Faden der Selbstachtung sein, deinen Goldfaden, an dem sich die wechselnden
Zustände aufreihen. Du kannst einen Schmerz als Kränkung empfinden,
wodurch er unerträglich wächst. Vielleicht kannst du ihn auch nehmen
als ein Hindernis. Du läßt dich nicht einschüchtern noch
in blinden Zorn bringen. Es kann so werden, daß man Beleidigungen
überhört wie eine gute Federung Schlaglöcher ausgleicht. Die
Erscheinung erhält seine Bedeutung erst durch seine Stellung, der du
den Platz anweist, mit Heiligem Geist, hoffentlich, du geliebtes Gotteskind.
Amen
Gebete