Keitumer Predigten
Traugott Giesen 15.04.2001
Ostersonntag
Ostern ist logisch
Die Wucht von Ostern ist anschaulich,
jedenfalls bei uns, in der aufbrechenden Natur, die aufgesprengten Knospen
der Kastanien, die bockbeinigen Osterlämmer, die bunten Vorgärten
bedeuten: Hier endete ein Altes, hier ist Neues im Werden. Hier ist Aufbruch
zu sonnengelber Freude. Nach langem Warten, dunklen Tagen, wo das Hoffen
auf Sommer schon dünn geworden ist, jetzt, wenn auch hinter Schneeschauern,
des Frühlings holder, belebender Blick.
Uns ist das Frühlingserwachen ein
Bild für Auferstehung. Unsere Seele ist voll Drang zu Neuanfang. Wir
haben in uns einen Drall zu Aufbruch und Reise, dass mit uns noch grosses
Beginnen bevorsteht. Darum rührt uns wohl die aufbrechende Natur,
sie bildet unser innerstes Wünschen ab. Unser Triebkern ist auf Entfaltung
angelegt, unser Geist ist hier nicht satt zu kriegen. Ein beglückendes
Ereignis, da sind wir schon verjüngt: da wissen wir, der Himmel steht
offen, wir sind noch zu ganz anderem Verhalten fähig, zu ganz andern
Biographien. Ob ein Seelen-Seminar oder ein Kunstfest oder die Geburt von
Kind oder Enkel oder ein Ballonflug oder eine Afrikareise können uns
angerührt machen von dem Wissen: Ich habe Ewiggültiges gesehen,
ich ahne Ewigkeit.
All die Ereignisse, die uns Ewigschönes,
Ewiggültiges zeigen, trimmen unsere Seele auf Unsterblichkeit. Wir
sind begierig, gemeint zu sein vom ewigen Gegenüber, auch unsere Taten
mögen doch wahrgenommen werden, und das Böse in der Welt muss
doch mal aufhören, es soll nicht triumphieren. Und die bedeckt sind
von Unwissen sollen erleuchtet sein. Ob als Auferstehung von den Toten
oder als Heimkehr der unsterblichen Seele � wir erwarten eine Zukunft mit
uns.
Und das ist nur Echo davon, dass die Liebe,
Gottes Wesen, unwiderstehlich ist. Letztlich wird Gott alles in allem sein,
und was als Barriere erscheint, als Riegel gegen das Leben, wird geknackt.
Christen sehen dies Knacken des Todes
in Jesu Auferstehen passiert. Wie keiner sonst hat Jesus begeistert und
glühend von Gottes gesprochen, hat seine Liebe gelebt, hat andere
in sie hineingezogen. Wenn nicht er � wer sonst � bleibt an Gottes Seite.
Das geht gar nicht anders, wenn Gott der Liebe voll ist.
Nur � Das-bei-Gott-bleiben des Jesus,
wie konnte es uns Menschen sichtbar werden. �In deine Hände befehle
ich meinen Geist�, hatte Jesus im Sterben gesprochen. War er angekommen,
aufgenommen, ist er bei Gott, hat weiter Anteil an Gottes-für-uns-Dasein?
Er hatte Gott, wie nie einer vorher, in
den Alltag der Hausfrau, des Sämanns, des Steuerzahlers gezogen; hier
schon Reich Gottes im Anbruch, hier schon das Gegenteil von Unfreiheit
� nämlich Verbundenheit. Hier schon hat er losgebunden, das Gesicht
gehoben, sich bei dem mit dem schlechten Ruf eingeladen; den für mit
Krankheit bestraft gehaltenen, gerade den heilte er; den Tod hier, das
Beziehungslos-sein hier hob er auf. Wird er bei den Seinen bleiben können?
Oder trägt der Tod weit weg? Wie bleibt der Bürge für die
Liebe bei uns? �Wer an mich glaubt, wird leben, wenn er auch stürbe�
(Johannes 11, 25), sagt Jesus. Sterben ist nur ein Gehen hinter eine Papierwand,
nicht ein Vernichtetsein. Wir gehen dahin, vergehen der Liebe nicht.
So ist Ostern logisch. Es bildet ab, das
von Gott Umfangensein nimmt kein Ende. Und Liebende bleiben einander verbunden.
� Sie hatten schon hier das Einssein geschmeckt, sie bleiben einander vertraut,
auch wenn sie in verschiede Stockwerke Gottes versetzt sind. Das erzählt
die Geschichte von Maria Magdalena und dem Gärtner:
Johannes 20, 1 und 11ff: Am ersten Tag
der Woche kommt Maria, die Frau aus Magdala, in der Frühe, als es
noch dunkel ist, zum Grab und sieht, wie der Stein vom Grabe weggenommen
ist.
Maria blieb draussen stehen vor dem Grab
und weinte. Wie sie nun weint, hat sie sich in das Grab hineingebeugt und
sieht, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten, zwei Engel in weissen
Gewändern sitzen.
Die sprachen zu ihr: Frau, was weinst
du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiss
nicht, wo sie ihn hingebracht haben.
Und als sie das sagte, wandte sie sich
um und sieht einen Mann dastehen und weiss nicht, dass es Jesus ist. Der
spricht zu ihr: Frau, was weinst du? Suchst du jemanden? Sie meint, es
sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen,
so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.
Spricht Jesus zu ihr: Maria! Sie machte
einen Schritt auf ihn zu, will ihn umfangen und spricht: Rabbuni!, das
heisst: Mein Meister!
Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich
nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu
den Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem
Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.
Maria von Magdala geht und verkündigt
den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.
Maria von Magdala begibt sich am Ostermorgen
zum Grab. Wir wissen kaum etwas aus ihrem Leben: Es heisst, sie sei ein
in sich zerrissener Mensch gewesen und Jesus habe sie geheilt (Lukas 8,
2). Durch ihn muss sie sich selbst wiedergewonnen haben. Mittels Jesus
hat sie ihr Gutsein wiedergefunden, ihr selbstbestimmtes Leben mit den
nötigen Pflichten und den Freuden, hat wiedergefunden ihr Anteilhaben
an Gott. Sie erlebte Jesus, als neue Zulassung zu leben.
�Von jeder Liebe unter Menschen gilt,
dass sie den anderen einmalig macht; in jeder Liebe wird der andere zu
einer Tür, die in den Himmel führt�, sagt Drewermann. Maria Magdalena
liebte den Jesus, durch den ihr Gott greifbar wurde. Sie nahm Jesus als
das Greifbare Gottes, wie ein Säugling Mutters Brust nimmt als Aussenseite
der ganzen Welt.
Karfreitag muss Maria völlig hilflos
gemacht haben; Jesus, der Inbegriff eines liebenden Menschen wird so gewaltsam
hingerichtet. Maria versteinert erneut in grenzenloser Traurigkeit, will
ihn als Begrabenen umfassen, bei sich haben, nimmt das Grab als ihren Ruheort,
als Pfand für ihr Gedenken. Lebend gehörte er vielen, tot, denkt
sie, gehört er nur mir, �das Grab sein Leib� (Drewermann).
Da sieht sie den Stein weggerollt. Sollte
man ihr den letzten Anhalt genommen haben? Sie weint, schüttet sich
aus, als wollte ihr Ich auslaufen. Wenn das Schönste und Beste so
zum Spott gebunden wird mit einer Dornenkron, wäre es Wahnsinn, da
geistig gesund zu bleiben � das können nur Monster. Seelisch viel
Empfindende können Wahnsinn nötig haben, um dahinter sich zu
verstecken.
Doch der Ort, an dem der geliebte Leib
gelegen hat, spricht. Sie hört es fragen: Frau, warum weinst du? Statt
die ganze Welt auszuschütten, wegzuschütten, sag das eine, um
das du weinst. Und sie sagt eine Beschwerde. �Weggeschafft haben sie meinen
Herrn.� Einer aussichtslosen Liebe weiss sie sich zugehörig (Drewermann),
doch das Objekt dieses verzweifelten Habens und Haltens ist ihr genommen.
Das Grab ist leer. Auch wenn der Leichnam noch da wäre, ist das Grab
leer. Man könnte Totenwache halten aber keinen Lebensdienst. Auch
noch so präparierte Mumien sind nur Packungen Vergangenheit. Doch
der in Geist verwandelte, der Auferstandene Christus verspricht Zukunft.
Aber erst muss Maria auf die Scherben
verzichten, muss ablassen, Museumswärterin zu werden einstiger schönen
Stunden. �Warum weinst du?� � fragen nach vorne ziehende Kräfte, präziser:
�Wen suchst du?� aber ihr rückwärtsgewandtes Auge bleibt noch
verhangen für den Heiland der Gegenwart. Sie bittet den Gegenwärtigen,
ihr den Vergangenen zurückzugeben, damit sie die Vergangenheit verlängern
kann und die Gegenwart vergisst, auch indem sie sich der Gegenwart entzieht.
Aber der Heiland der Gegenwart redet die
Trauernde mit ihrem Namen an �Miriam�, aramäisch frisch steht es bei
Johannes, das meint: Was gewesen ist, geht weiter, hat Zukunft. Die Miriam
von davor hat ein Künftiges. Das von früher bekommt neue Triebe.
Sie wendet sich um, sie wendet sich ab, von Dahinten der Zukunft zu. Der
damals sie rettete, geht als Rettendes mit ihr. Als Bild der Liebe Gottes
ist er unzerstörbar. Selbst der Tod schmilzt vor ihm, dem unwiderstehlichen
Gott des Lebens. Er sagt: �Mirjam� und sie �Rabuni�, mein Meister. � Es
ist das innigste, zärtlichste Zwiegespräch, das man sich denken
kann, Worte über den Tod hinweg, hinein in eine unsterbliche, bleibende
Gewissheit: Du mein Meister, mein Halt, meine Rettung, in dir habe ich
Gott erfahren und der bleibt bei mir.
Das ist nun keine Privatgeschichte. Sondern
Transparent für uns.
Auch wir verlangen, mit dem, den wir lieben,
eins zu werden. Das ist unser Pfand für Auferstehung. Liebend ahnen
wir uns als Bruchstücke eines Ganzen. Unser gebrechliches Lieben bleibt
das Versprechen: Wir, gehalten von der grossen Liebe, Gott genannt. Denn
aller Atem unserer hinfälligen Liebe ist Odem von Gott. Wir werden
in ein Ganzes hinübergerettet werden.
Als erstem widerfuhr das Jesus. � Und
die ihn liebten zu Lebzeiten, die sahen sich auch nach seinem Tod von ihm
geliebt und ausgesandt. Maria weiss an diesem Ostermorgen, dass ihr Jesus
ihr Herr und Meister ist und bleibt, will ihn fassen, aber der Auferstandene
ist nicht handfest zu haben. Für die Realisierung der Sehnsucht hier
braucht ihr Fleisch und Blut. Ich, sagt Jesus, gehe hin zu meinem Vater
� ich gehöre allen, du kannst mich nur �im Geist und in der Wahrheit�
berühren.
Maria wird die erste Apostelin: Geh sag
den Geschwistern: Ich gehe zu meinem Vater und zu eurem Vater. � Also:
Vor uns und bei uns �Vater unser�. Mütterlicher, väterlicher
Grund, wir gehören zu ihm im Leben und im Sterben. Und weil wir der
Liebe gehören, sind wir im Tiefsten doch Geschwister � mit viel Zukunft.
Amen.
Zitate aus Eugen Drewermann: Die Botschaft
der Frauen: Das Wissen der Liebe. Walter Verlag