Keitumer Predigten Traugott
Giesen 27.08.2000
Der Zeuge des Glaubens
Matthäus-Ev. 5, 3: Selig sind, die
da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
4: Selig sind, die da Leid tragen; denn
sie sollen getröstet werden.
5: Selig sind die Sanftmütigen; denn
sie werden das Erdreich besitzen.
6: Selig sind, die da hungert und dürstet
nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
7: Selig sind die Barmherzigen; denn sie
werden Barmherzigkeit erlangen
8: Selig sind, die reinen Herzens sind;
denn sie werden Gott schauen.
9: Selig sind die Friedfertigen; denn
sie werden Gottes Kinder heissen.
10: Selig sind, die um der Gerechtigkeit
willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.
Philipper-Brief 2, 5: Seid so unter euch
gesinnt, wie es Christus Jesus auch war:
6: Er, der in göttlicher Gestalt
war, beutete es nicht aus, Gott gleich zu sein,
7: sondern entäusserte sich selbst
und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung
nach als Mensch erkannt.
8: Er erniedrigte sich selbst und ward
gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.
9: Darum hat ihn auch Gott erhöht
und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,
10: dass in dem Namen Jesu sich beugen
sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde
sind,
11: und alle Zungen bekennen sollen, dass
Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.
Unser Glaube richtet sich auf Gott. Unsere
ersten frommen Gedanken liefen auf ihn zu als wir fragten: Wer hat die
Sonne gemacht? oder: wer hat mich zu euch Eltern gebracht? Gott, der Schöpfer
ist Ziel des Glaubens, er ist auch erster Satz im Glaubensbekenntnis. Doch
wie zu ihm kommen? Wir können ihn nicht direkt ansteuern. Aber es
gibt einen, der sagte von sich: �Ich bin der Weg� � und viele haben ihn
als Weg, als Brücke, als Fenster zu Gott erlebt.
Die intensive Kenntnis vom Schöpfergott
haben wir aus der hebräischen Bibel. Diese kam über die Generationen
zu uns als die Bibel des Jesus. Weil sie Jesus wichtig war, haben die Jünger
Jesu und die ersten Christen die hebräische Bibel hochgehalten und
deren Themen. Weil Jesus so wichtig geworden ist, kam der Gott des Abrahams
und des Moses uns zur Kenntnis.
Jesus war, ist, war der wichtigste Zeuge
Gottes. Ohne ihn hätten wohl die Tiergötter Ägyptens oder
die olympischen Götter Griechenlands über die Römer bei
uns Einzug gehalten, oder die Heroen der Germanen und der Wikinger wären
uns Bilder für das Göttliche. Weil Jesus so gross war, ist, war,
darum haben wir das Gottesbild Israels in der Sicht des Jesus gelernt.
Jesus war, ist, war d e r Zeuge Gottes. Wir kommen an Gott über Jesus
leichter ran. Er ist die menschliche Mündung des Ewigen, sozusagen.
Jesus Christus ist ein Doppelname: Jesus
ist der irdische, der geschichtlich Erinnerte. Und Christus ist der alle
Tage bei uns Geglaubte. Jesus ist der Sohn der Maria und des Josefs, mit
Geschwistern in Nazareth grossgeworden zur Zeit des Königs Herodes.
Sein hebräischer Vorname kommt von Joschua: �Gott rettet.� Christus
ist der zur Rechten Gottes Auferstandene. Christus, griechisch: der Gesalbte,
der Gekrönte.
Die beiden Namen verklammern das Dreissig-Jahre-Erdendasein
und das Bei-uns-bleiben durch die Zeiten, den Lebenslauf und das Ewige.
Dabei sind diese Bereiche nicht sauber getrennt. Das irdische Leben bekommt
Glanz vom Überirdischen. Und der Überirdische behält die
Nägelmale. Im irdischen Leben tut Jesus Taten, die bis dahin nur Gott
zustanden � Sündenvergeben, Heilen, und die �Ich aber sage Euch�-Vollmacht.
Und Jesus steckt Gott für immer an mit den Leiden und Schmerzen der
Schöpfung.
Anfang und Ende von Jesu Lebenslauf sind
voller Goldfarbe. Gott legt sich bei Geburt und Tod mächtig ins Zeug,
um zu zeigen: dies Leben, ja Leben überhaupt, aber eben dies Leben
besonders steht in Gottes Hand, kommt aus Gottes Hand, geht und bleibt
in Gott. Das ist bebildert durch Wunder bei Geburt und Tod: Gezeugt ist
Jesus besonders, mittels Befehles von Gott-Vater direkt. Und Jesus stirbt
ins ewige Bei-Gott-sein, was bebildert ist mit der Auferweckung und Himmelfahrt
Christi.
Die alte Kirche hat viel überlegt,
wie das zu denken ist. Ist er jetzt der gottvollste Mensch oder Gott in
Menschengestalt. Ragt in Jesus die Menschheit hoch zu Gott, oder ragt Gott
in Jesus tief ins Irdische? �Wahrer Gott und wahrer Mensch� ist die Schlussstrichformel
des Konzils von Chalcedon, 451 � solange haben die Theologen, beraten von
Biologen und Juristen, gearbeitet an dieser Kompromissformel: Ganz irdisch,
erdig, darum auch versuchbar. �Niemand ist gut ausser Gott� weist Jesus
mal den zurecht, der ihn �Guter Meister� nannte.
Der grosse Einfluss seiner Mutter Maria
in der Urgemeinde spricht dafür, dass Jesus nicht verheiratet war,
obwohl � er galt als Rabbi, als Schriftgelehrter, und die waren grundsätzlich
verehelicht. Vielleicht hielt er sein Leben für Familiengründung
zu riskant: �Die Füchse haben Gruben, aber der Menschensohn hat kein
Dach überm Kopf�, sagte er mal. Verheiratet war er wohl nicht, aber
sicher intensiv befreundet, �viele Frauen zogen mit und dienten ihm mit
ihrer Habe� � so Lukas später. Jesus für asexuell zu erklären,
ist eine leibfeindliche Behauptung aus Asketenkreisen jener Zeit. Sie begründete
später den Zölibat des Klerus, widmete die Priester als lebenslang
gehorsame Söhne der Mutter Kirche, was auch Geld sparte.
Wahrer Mensch, mit Hunger und Sehnsucht
und Weinen also; und ganz Gott, gehimmelt, dieser Jesus: �Ich und der Vater,
wir sind eins� � extrem gesagt vom Johannes-Ev. 10, 30. Hochwichtig ist:
Die Handschrift Gottes ist in diesem Menschen lesbar. Wäre Jesus einfach
nur ein guter Mensch, könnte man ihn abtun als Laune der Natur. Aber
er ist entpuppt als der wahre Mensch, der endgültige, den Gott sich
zum Bilde schuf, mit dem er reden konnte, als wär�s ein Stück
von ihm. Jesus ist der Bevollmächtigte, er tut die Taten Gottes, ist
ihm ganz nah, ja, ist mit ihm identisch, ist Inkarnation Gottes, also die
Fleisch und Blut gewordene Wahrheit von allem.
Suchten wir heute ein Bild für eins
im anderen, dann würden wir ein Liebespaar malen. Die innigste Nähe
wurde früher von Vater und Sohn dargestellt, selbstverständlich
beerbte der Sohn, der älteste Sohn den Vater, der Sohn kam in Vollmacht
des Vaters. Schon Israel wurde �Sohn Gottes� genannt: �Ist nicht Ephraim
mein lieber Sohn� (Jeremia 31, 20) � dem König wurde als Weihespruch
mitgegeben: �Du bist mein lieber Sohn, heute habe ich dich gezeugt� (Psalm
2, 7). Dem Jesus wurde dieses Königs-Inthronisationswort als Taufwidmung
zugeeignet: �Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe� (Markus
1, 11).
Die frühen Christen haben dem Jesus
das �Geboren von der Jungfrau Maria� als Zeichen seiner göttlichen
Abkunft angeheftet, wie man auch von Kaiser Augustus sagte, er sei Sohn
Jupiters. Aber göttliche Herkunft braucht nicht die biologische Ausnahme.
Alle Eltern, jedenfalls alle Mütter wissen, dass ihnen ein Kind Gottes
anvertraut ist, auch und gerade auf dem Weg, den Gott dafür erfunden
hat.
Schon bald nach Jesu Erdenleben wird Jesus
verkündigt als Sohn, als Bevollmächtigter, als Zur Rechten Gottes
sitzend. Diese Verwandlung ist wunderbar. Erst predigte Jesus den Glauben
an Gott. Dann wurde Jesus als Christus Bestandteil des Glaubens. Erst verkündigte
er, dann wird er verkündigt. Erst war er Botschafter, dann wurde er
die Botschaft.
Christsein ist Gottvertrauen und tätige
Liebe. Dafür ist Jesus Zeuge, Anfänger unseres Glaubens. Aber
er ist auch Meister und Anlerner, Vorbild und Bruder; und Beispiel wie
das sich auswirkt, in Gott zu bleiben. Er ist auch Vollender unseres Glaubens,
weil er uns einflösst die Zuversicht zu Gott. Ich glaube an eine Kraftübertragung,
an Heiligen Geist von ihm zu uns.
Die ersten Christen sehen ihren Jesus
bei Gott als so was wie den Kanzler, der die Regierungsgeschäfte führt,
der auch Richter am Ende der Zeit sein wird, auch als Fürsprecher
für uns arme Seelen. Die Kirche ist dann eingerückt in diese
Aufgaben, die römisch-katholische Kirche meint, Christi Erdenherrschaft
zu gestalten. Das ist aber ihr Ding.
Ich glaube dem Jesu seinen Gott nach �
gucke dem Jesus den väterlich-mütterlichen Lebensgrund ab. Ich
sehe Christus als Botschafter, der uns ausrichtet, dass Gott versöhnt
von seinen Menschen denkt und immer noch lockt: �Lasst euch versöhnen
mit Gott.� Dem Jesus seinen Gott nachglauben, das lässt ihn Meister
sein. � �Einer ist euer Meister, ihr aber Geschwister� sagt Jesus mal.
Das Bild vom Herrn Jesus Christus verlangt den Knecht, die Magd � aber
Jesus Christus reicht es, wenn wir einander Geschwister sind, mit ihm dem
älteren Geschwister.
Was mich an Jesus so mitreisst, ist seine
Phantasie, was wohl im Sinne Gottes sei. Nicht, was geschrieben steht,
sondern was dem Menschen nützt. Nicht der Mensch ist für den
Sabbat da, sondern der Sabbat für den Menschen. � Und dass sich Gott
mehr freut über einen, der heimfindet zum Glauben als über hundert,
die nie Zweifel hatten. Jesus verstand den Aussatz der Aussätzigen,
das Dunkel der Blinden, das wilde Elend derer, die im Genuss leben, die
schwer verständliche Armut der Reichen. �Alles, was einen andern trifft,
trifft auch mich� � das lebt Jesus und sieht Gott mitdurchbohrt, geschlagen
und gestreichelt, gespeist, wo Menschen sich Gutes oder Böses tun.
Er hat die eine Menschheit gedacht, unabhängig von Konfessionen. Er
sah sich den Kelch der leidenden Menschheit trinken, er bat am Kreuz für
seine Mörder, hielt jeden der Liebe bedürftig und würdig:
Gott vergib ihnen, sie wissen nicht was sie tun. Er stand für den
Gott der Liebe ein, und hatte keine Vorgänger dafür, er sprach
aus innerster, persönlicher Überzeugung und ermutigte die anderen
zu ihrer persönlichen Überzeugung, er machte ihnen Mut zu bergeversetzendem
Glauben und Mut zu einem direkten Zugang zu Gott: �Euer Vater weiss, was
ihr braucht.� Und: �Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten
Stein.� � Aus diesen beiden Wort können wir das ganze Geheimnis des
Jesus Christus erschliessen.
Und diesen Jesus zeichnet Gott aus als
seinen Mund. Und dem Jesus möchte ich seinen Gott glauben, an seinen
Gleichnissen kann sich der verlorene Sohn, die verlorene Tochter nach Hause
tasten. Dostojewski sagte das: �Gott gewährt mir bisweilen Augenblicke,
in denen ich vollkommen ruhig bin. In solchen Augenblicken fühle ich,
dass ich liebe und geliebt werde. Man muss glauben, dass es nichts Schöneres,
Tieferes, Weiseres, Vernünftigeres, Mutigeres, Vollkommeneres gibt
als Christus. Und noch mehr: Lieber mit Christus irren, als ohne ihn recht
haben.� �Er war zu erleuchtet, um skeptisch zu sein� (E. M. Cioran).
Existiert Christus? Ja, mindestens so
wie Mozart hier ist, wenn uns seine Melodien tragen. Christus ist da, wenn
zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind und an der Weite seines
Herzens teilbekommen � wir können mitfühlen und sind einander
sehr verwandt. Amen.