Keitumer Predigten Traugott Giesen 02.04.2000
Es ist gut denkbar, dass die Herrlichkeit des Lebens um jeden und immer
in ihrer ganzen Fülle bereitliegt,
aber verhängt, in der Tiefe, unsichtbar, sehr weit.
Aber sie liegt dort, nicht feindselig, nicht widerwillig, nicht taub.
Ruft man sie mit dem richtigen Wort, beim richtigen Namen, dann kommt
sie. Franz Krafka
Das sind Fanfaren einer festlichen Gewissheit: Dir, mir liegt die Herrlichkeit
des Lebens bereit. � Ja, festlich gestimmt ist dir deine Seele heute, hast
du�s nicht gemerkt? Einen Au-genblick jedenfalls. Schon dein Dich-aus-dem-Bett-heben
zu einem Gottesdienst strahlt doch einen fremdartigen Zauber über
dich. � Du erwartest hier Aufklärung deiner Seele. Viel Alltäglich-Schuppiges
muss uns von den Augen fallen, um das Herrlichsein des Lebens zu merken.
Inbegriff für die Herrlichkeit des Lebens war vielen Generationen
der Jesus. Wir sind ja ge-blendet von der Glitzerwelt, aber sein gottdurchflutetes
Dasein hat immer noch, hat immer wieder Leuchtkraft. Die wirft uns Licht
ins Schattenland unserer Staubgedanken. �Von Erde genommen, zu Erde sollst
du wieder werden� � so das vernichtende Urteil das Alten Te-stamentes.
Der Mensch, ein �armer Hirnhund� nur, so der pessimistische Dichter. In
wis-senschaftlicher Sprache: Der Mensch � eine instabile Anhäufung
von Kohlenstoff-Wasserstoff-Verbindungen mit Kalk und einigen andern chemischen
Elementen, versehen mit Verfallsdatum. Jede Sonderstellung ist schon durch
Hinweis auf genetische Verwandt-schaft ausgeschlossen: Zu 80 Prozent haben
Mensch und Ameise identische Gene. �
Man braucht viel Geisteskraft, um gegen das geballte Kleinreden des
Menschens anzu-kommen. Die Fiesheit, zu der sich Menschen hinreissen lassen
können, ist ja auch schand-bar. Und nicht jeder hat so eine Hochphase
seines Lebens zu fassen, wie ihr Taufeltern mit eurem wunderbaren Mads-Henry.
Ja, die Leuchtkraft deines kleinen Gesichtes, Menschenkind, lässt
uns von der Herrlichkeit des Lebens überzeugt sein. Aber in welche
Welt kommst du zur Welt?
Wir lassen dich auch taufen, damit wir Eltern uns vergewissern: Du
ein Kind Gottes, du wunderbar, ewiggut, leuchtend � und wir Eltern werden
noch mal eingesegnet als Mitarbeiter Gottes. Wenn wir nicht an einen guten
mütterlich-väterlichen Lebensgrund glauben dürften, woher
nähmen wir den Mut, das Leben herrlich zu finden?
Ich meine, ins Leben ist eine Grundgüte eingelassen. Die lässt
sich am Lachen eines Kin-des fangen, am Leuchten der Sonne; die Grundgüte
lässt Mut, offen zu lassen, sich fühlen in der Liebesumarmung
und an dem Jesus Christus.
Jesu Leuchtkraft kommt davon, dass er die Tiefe Gottes auslotet und
Gott auf dem Grund findet, durch Katastrophen hindurch. Hört ein Stück
davon, hört ein Stück Passionsgeschichte nach dem Evangelisten
Johannes:
Da nahm der römische Statthalter Pilatus Jesus und liess ihn geisseln.
Und die Soldaten flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie auf
sein Haupt und legten ihm ein Purpurgewand an und traten zu ihm und sprachen:
Sei gegrüsst, König der Ju-den! und schlugen ihm ins Gesicht.
Dann stellten sie Jesus der Menge zur Schau. Er trug die Dornenkrone
und das Purpurge-wand. Und Pilatus spricht zu ihnen: Seht, welch ein Mensch!
Die Schriftgelehrten beharrten: Wir haben ein Gesetz, und nach dem
Gesetz muss er ster-ben, denn er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht.
Als Pilatus dies Wort hörte, spricht er zu Jesus: Woher bist du? Aber
Jesus gab ihm keine Antwort. Da sprach Pilatus zu ihm: Redest du nicht
mit mir? Weisst du nicht, dass ich Macht habe, dich loszugeben oder dich
zu kreuzigen? Jesus antwortete: Du hättest keine Macht über mich,
wenn es dir nicht von oben her gegeben wäre.
Von da an trachtete Pilatus danach, ihn freizulassen. Die Juden aber
schrien: Lässt du die-sen frei, so bist du des Kaisers Freund nicht;
denn, wer sich zum König macht, der ist ge-gen den Kaiser.
Da überantwortete er ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde
(Johannes-Evangelium 19, in Auswahl).
Was genau vor sich ging und zum Tod des Jesus führte, liegt im
Dunklen. Sicher ist: Jesu zuversichtlicher Glaube war den Schriftgelehrten
ein Angang. Er redete von Gott freier und liebevoller als je gehört.
Allein sein Wort: �Der Sabbat ist für den Menschen gemacht und nicht
der Mensch für den Sabbat� begründet den Gottesdienst neu: nicht
Pflicht und Opfer sondern Kraftquelle. Überhaupt die Gebote, sie sind
für die Menschen da, nicht die Men-schen für die Gebote. Ja sogar:
Wir sind nicht für Gott da, sondern Gott ist für uns da. �Er
lässt seine Sonne scheinen über Böse und Gute�. Wir brauchen
nicht mehr tun, als die Herrlichkeit, leben zu dürfen, anzunehmen.
Das war den Frommen zu wenig, sie hatten den herrischen Gott, den eifersüchtigen
Gott der Patriachen noch zum Gegenüber. Angst und Ehrfurcht war das
Klima zu Gott, so wie uns die Väter von früher überliefert
sind, nur riesiger. Jesus nannte Gott �Abba� � lieber Vater; aber der damalige
Klerus hielt auf Ehrfurcht und Unterwerfung. Darum meinten sie den Jesus
mundtot machen zu müssen.
Der gab sich ja nicht damit zufrieden, fröhlich seinen Glauben
zu leben in den Dörfern, weit weg von der Metropole, sondern er wollte
die frohe Botschaft ins Zentrum bringen. Er nahm den Kampf mit den Tempelherren
auf. Er jagte die Opfertier-Händler aus dem Tempel, weil ja Gott nach
Jesu Erfahrung keine Lust auf Tieropfer hatte. Dieses ganze Geschäftema-chen
mit Gott fand er absurd: Als müsse man Gottes Liebe kaufen, sich verdienen,
erarbei-ten � dabei will er uns doch Freude voll einschenken. Aber die
Frommen machen Gottes Zuwendung immer abgängig von unserm Verhalten
bis heute, während Jesus Güte verteilt, wo sie gebraucht wird.
Das Bedürftigsein ist die einzige Bedingung. So lebt es Jesus.
Die Schriftgelehrten halten das für lästerlich. Allein, dass
er Sünden vergibt, als wäre er Gott selbst, ist für sie
Ketzerei. Dabei fordert Jesus jeden auf, Sünden zu vergeben, eben
wie Gott selbst.
Eine kleine Geschichte erzählt vom Einzug in Jerusalem: Da hieben
sie Palmwedel ab und legten sie auf den Weg, ebenso ihre Kleider � um ihm
den Weg zu schmücken wie einem König, der einzieht in seine Stadt.
Vielleicht hat diese Freudenkundgebung wirklich stattge-funden. Es gab
genug, die ihm viel verdankten, sie fühlten sich wie neugeboren mit
einer neuen Sicht der Dinge; da kann es sein, dass die Tempelherren nervös
wurden und sie ihn beseitigen wollten noch vor dem Passah Fest.
Sie schleppten ihn zu Pilatus, weil nur der Chef der römischen
Besatzung Todesstrafen verhängen durfte. Der hatte keine Lust, in
den religiösen Streit einzugreifen, wollte sich die Hände mit
dem Blut eines Gottesmannes nicht schmutzig machen. � Daher auch diese
miese Zeremonie: liess sich eine Schüssel Wasser kommen und �wusch
seine Hände in Unschuld�. Er liess Jesus auspeitschen, wohl um die
Religiösen zu beruhigen. Die Soldaten drückten ihm eine Krone
aus Dornen oder Stacheldraht auf, sie bespuckten ihn, machten ihn zur Witzfigur
� der, ein König der Juden? � meine Herren vom Tempel: sehet, welch
ein Mensch!
Doch zu bedrohlich schien ihnen die Botschaft Jesu, als dass sie sich
vom Todesbeschluss abbringen liessen. Sein �Ich aber sage euch� hebelte
die Rechtsprechung des Mose aus, die Verfassung des ganzen Staates. Pilatus
muss sich dem Jesus noch mal widmen. Er schaut ihn genauer an. Woher bist
du? Jesus antwortet nicht. Dann, wie die Urfassung aller herrischen, ungeduldigen
Schlusssätze vom kurzen Prozess: �Weisst du nicht, dass ich Macht
über dich habe?� Und Jesus: �Sie ist dir geliehen. Also nutz sie,
wie du dich vor Gott, meinem Vater, unserm Vater, es dich zu verantworten
getraust.� Da soll Pilatus schon ge-zuckt haben, und hätte ihn gern
laufen gelassen. Aber die Tempelherren können Pilatus beim Kaiser
anschwärzen, und soweit geht die Liebe zu dem Wunderprediger doch
nicht. So wird er gekreuzigt.
Der leuchtende Gottesmensch wird aus der Menschenwelt verjagt und rausgekreuzigt.
Es scheint, als wäre Gott selbst verstummt, gekreuzigt, weggeworfen,
aus seiner Welt getre-ten. Gott kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen
ihn nicht an � und dann wird die Erde zum Schattenland. Und wir scheinen
von allen guten Geistern verlassen.
Bis dann endlich Auferstehung geschieht � die Qualen, der Jammer ist
dem Gottesleib ge-schehen. Die Kainszeichen trägt Gott am eigenen
Leib. Wir Menschen haben uns die Macht angemasst, sie in eigene Regie genommen,
und doch bleibt sie Gottes Energie.
Auch wenn von uns Leben vergeudet, missbraucht, verschmäht, entwidmet
wird, bleibt es doch mit Aussicht versehen. Sterben wir, so sterben wir
ins Licht der Liebe � und wir wer-den verwandelt zur herrlichen Freiheit
der Kinder Gottes. �
Jesus lotet aus: Die Herrlichkeit des Lebens umfasst auch die schwarzen
Strähnen, auch die Schreie des Leides. Auch unser Böses soll
erlöst werden, selbst wenn wir uns erst durchs Sterben zwängen
müssen und das Böse wie eine Schuppenhaut dann von uns ge-streift
wird.
Es ist gut denkbar, dass die Herrlichkeit des Lebens um jeden und immer
in ihrer ganzen Fülle bereitliegt,
aber verhängt, in der Tiefe, unsichtbar, sehr weit.
Aber sie liegt dort, nicht feindselig, nicht widerwillig, nicht taub.
Ruft man sie mit dem richtigen Wort, beim richtigen Namen, dann kommt
sie.
Der Jesus hat die Herrlichkeit des Lebens beim richtigen Namen gerufen,
und sie ist ge-kommen. Rufen wir einander beim richtigen Namen, dann können
wir einander als Bruch-stücke Herrlichkeit merken. Beim richtigen
Namen nennen � ein weites Feld.
Taufe hilft zur Herrlichkeit: Du ein Kind dessen, dem das Reich, die
Kraft, die Herrlichkeit in Ewigkeit ist.