Traugott Giesen Kolumne 22.05.1999 aus Hamburger Morgenpost
Stoff des Lebens: Heiliger Geist
Es gibt viel Müdigkeit, Rückzug vor die Glotze, dumpfes Schweigen.
Viele sind erstarrt, wissen nicht weiter. Oder sie fuhrwerken mit Menschen
rum, saugen aus, produzieren Krieg, lassen Gehässigkeiten los. Nichts
brauchen wir dringender als heiligen Geist.
Das ist der Stoff aus dem die Freude ist. Nicht Schadenfreude, nicht
sich ins Fäustchen lachen, wieder jemanden über den Tisch gezogen
zu haben, sondern helle Freude eben. Da lebt man gern und mag es, daß
andere auch zurechtkommen. Da will man sich austauschen, miteinander beraten,
erzählen, lachen, will was Schönes, was Begehrtes auf die Beine
stellen.
Viel wird um des Geldes willen unternommen, das hat von ferne auch
mit heiligem Geist zu tun. Geld ist ein Gleitmittel, das unsere Begabungen
zueinander kompatibel macht. Aber fast alles Schöne ist zum Glück
umsonst, wenn auch nicht billig: fast alles Köstliche, Verstehen,
die Liebe, die Zeit, das Schauen und Merken ist für kein Geld zu haben.
Vielleicht ist Aufmerksamkeit der Stoff der Stoffe, das Fluidum des Verstehens.
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Zwei Geschichten gehören zum unverlierbaren Bilderschatz der Menschheit.
Das Internet ist so populär, weil es das Gegenteil von �Babylonischem
Sprachengewirr� ist. Das kam ja einst zustande, weil ein Teil der Menschheitsfamilie
sich hervortun wollte mit einem ungeheuren Turm. Sie wollten die andern
beherrschen � das hat ihnen die Sprache verwirrt. Sprache wurde zum Herrschaftsinstrument.
�Hast du mich verstanden?� klang so herrisch, daß es viel mit Angst
und wenig mit Vertrauen mehr zu tun hatte.
Dagegen setzen die Christen das Bild von der Ausschüttung des
Heiligen Geistes. Menschen stehen in Flammen füreinander, werden zueinander
hin verflüssigt. �Sie hören ein jeder in seiner Sprache die großen
Taten Gottes reden.� � Ein erstes Kommunikations-Festival der Urkirche
ist wohl passiert. Die Betroffenen spürten, daß auch mit verschiedenen
Religionen und Sprachen wir im Kern verwandt sind. So scheint die Quelle
für Toleranz am ersten Pfingsten entdeckt: Das Anderssein des andern
ist vergleichsweise gering, gemessen daran, daß wir Schmerz und Leid
und Glück gleich spüren und alle auf den einen Gott angewiesen
sind. Und alle zum Einen Ganzen gehören. Und wenn wir uns auch nicht
lieben, so können wir uns doch wenigstens wohlwollend und fair begegnen.
Christen halten den Heiligen Geist für ein Wesen Gottes � so wichtig
ist Freude, Verstehen, Frieden. Also tust du Hochwichtiges, wenn du heute
einen Verstummten zum Sprechen bringst. Oder das Gespräch mit Eltern,
Geschwistern oder Kindern wieder aufleben läßt. Auch das gilt:
Heiliger Geist braucht dich.
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