Traugott Giesen Kolumne 20.03.1999 aus Hamburger Morgenpost

Wenn Kinder ziemlich zappeln

Sie haben viel Energie, die Kinder, aber suchen erst noch die Aufgaben für diese Gaben. Sie wollen mitreden aber die andern können schneller ihre Meinung sagen. Dann ist Körpersprache eben auch ein Argument. Es gibt ja auch Erwachsene, die mit dem Hammer das Licht ausmachen, die hinlangen weil ihr Mundwerk stottert. Und weil die mit der schnellen Zunge gnadenlos austeilen.
Wenn Kinder zappeln, mit dem Teller klappern, Messer und Gabel auf dem Geschirr tanzen lassen, im Unterricht wippen, die Bücher klappen lassen, den Fernseher dröhnen, die Musik scheppern lassen � dann bringen sie die Erwachsenen in Rage. Vielleicht, weil sie die dann auch zum Schreien bringen. Die Großen tun ja so klug und ausgewogen, und sie haben ja auch die Machtmittel � sie haben das Auto und das Geld und können sogar Stubenarrest verhängen � die Großen setzen doch die Bedingungen, unter denen die Kinder ihre Freiheiten und Freuden bekommen oder eben nicht.
Es reizt Kinder, nicht einseitig von Eltern abhängig zu sein, sondern eine Art Ausgewogenheit zu erzielen. Auch Kinder wollen Druck machen. Mit Schreien und Weinen haben die Kleinen einen starken Hebel, Zuwendung zu erlangen. Richtig, daß sie in ihrer völligen Angewiesenheit schnell aufgenommen, gestillt, versorgt werden. Aber dann schon bald muß ein Lernstoff fürs Leben dazu: Mutter, Vater � sie haben gesagt, sie kommen, dann kommen sie auch � also kann ich in Ruhe warten; Hilfe kommt.
Dieser "Lernstoff Geduld" ist noch nicht beizubringen, solange der Hunger wie ein Feuersturm in den Babys rumort und sie noch nicht wissen, daß ja Rettung gewiß ist. Aber bald schon muß Geduld gelernt werden; und daß Wünsche Arbeit machen, und daß auch der/die Kleine schon früh mithelfen können. Dann lernen sie auch früh, fähig zu sein, Freude zu machen, zu trösten, Dank und Anerkennung zu erlangen.
Auch Grenzen helfen. "Bis hierhin und nicht weiter" � besorgt den Freiheitsraum, den das Kind angstfrei füllen kann. Beim Füttern weiß der/die Kleine ihr Maß. � Verrückt, wenn Eltern die Kleinen überlisten wollen, noch mehr zu essen. Kein Wunder, wenn sie den Teller vom Tisch schieben. � Vielleicht sollen auch Zappeln und Stampfen und Nerven die Eltern und sonstige Ansager drängen: "Laßt uns in Ruhe, erzieht nicht dauernd an uns rum." � Oft ist das Garstigsein der Kinder doch Notwehr gegen Ungeduld oder Gleichgültigkeit der Großen, gegen Vertrauensbruch und Inkonsequenz oder Erdrücken durch Verwöhnen. Mit Zappeln und Tick halten sie ihren Rhythmus, sie merken sich. Statt zu erstarren, halten sie sich am eigenen Schopf über Wasser. Eigentlich sind sie ganz okay und ziemlich normal � bei d e n Eltern.
 

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