Traugott Giesen Kolumne 12.04.1997 "Hamburger Morgenpost"

Glocken, Türme, Kirchen

Was würde der Stadt fehlen, wenn Bankenpaläste uns die Kirchen zubauen, wenn die Türme abgetragen würden wegen Baufälligkeit und die Glocken als Ruhestörung verstummten?

Halt, da war doch noch was! erinnern sie; sie schneiden uns ins Fleisch des Gewissens: Es gibt noch was Besseres in der Welt als Kommerz und Joke.

Glocken über der Stadt am Sonntagmorgen, am Abend, irgendwann - das ist wie Muttersprache: Erinnerung an Schutz und Schirm und Lockruf: Hier geschieht Gültiges für dich mit. Hier wird das Feuer des Zusammenhalts gehütet. Hier wird das "Vaterunser" gebetet, und die Bitte "Gott segne dich und behüte dich" gilt soweit die Glocken klingen. Glocken geben zu denken, sie bilden ein akustisches Dach aus Segen. Vielleicht müßten erst mehr Moscheen und Hindu-Tempel sprießen, um den nüchternen, tröstenden und aktivierenden Christenglauben wieder schätzen zu lernen.

Und die Türme, sie mahnen, sie zwingen den Blick nach oben, sie bestimmen noch das Stadtbild mit. Sie bezeichnen die Mitte des Gemeinwesens: Daß wir uns zugewiesen und anvertraut sind, einander Freude zu machen und Last mitzutragen. Wenigstens die Frage muß noch gestellt bleiben nach dem Ewiggültigen, dem wir verantwortlich sind. Sonst sind wir Vergänglichen allein mit uns; wenn kein Ewiger unsere Identität hütet, verlöschen wir wie die Fernsehbilder.

Türme geben zu denken. Sie sind Denkmale. Ja, denk mal! Jedenfalls haben wir nicht das letzte Wort; nicht Geld und Gut regieren, sondern es ist ein Gott. Der mag fern sein, unsichtbar, unberührbar - aber seine Abwesenheit ist immer noch energievoller, als alle Herrschaftspaläste.

Die Wolkenkratzer, die Ausrufezeichen von Macht und Einfluß, wollen Angst einjagen. Doch der Fall des Turmes von Babel bleibt Lehrstück: Die Erbauer verstehen sich selbst nicht mehr. Wer Gewalt nach außen wendet, dem wird das eigene Herz steinern, man verlangt Unterwerfung, wird nicht mehr verstanden. Die Protz-Türme sind steingewordene Drohgebärden feindlicher Übernahmen. Kirchtürme halten dagegen.

Kirchen, selbst wenn sie nur Leere beherbergten, wären sie lebenswichtig wie die Parks für die Lunge. Unsere Zentren von einem Raum der Stille zentriert - es gäbe kein besseres Mahnmal für die Wahrheit: Aus der Ruhe kommt die Kraft.

Doch noch ist Hoffnung auf mehr: Bilder des Heiligen und Blumen und Kerzen scheinen für dich - und keiner will was von dir. Kirchen halten die Leuchtturm-Gewißheit hoch: Jeder Lebensbogen steht in Gottes Hand. Auch darum tun Kirchen der Stadt gut.

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