Traugott Giesen Kolumne 02.07.2005 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Schlie�t sich eine T�r, �ffnet sich eine andere
Meist machen wir weiter - aufräumen, Essen machen, zur Arbeit gehen - Gott sei Dank für die gewöhnlichen Wonnen der Wiederholung. Das Vertraute gibt Halt in der verwehenden Zeit.
Heimat ist, wo man sich nicht erklären muß. Der Partner, die beste Freundin, wissen, wer man ist, im großen und ganzen, auch wenn man seinen Kopf verloren hätte. Nach einem verstörenden Traum, nach einer starken Verunsicherung, durch Schreck oder Unfall hilft einem der Allernächste wieder zu Boden unter den Füßen. Auch daß man zu "seinem" Arzt gehen kann, gibt Sicherheit, er hält ja zu einem. Auch der gewohnte Friseur und die Orts-Zeitung geben Halt. Gut auch die eigenen vier Wände. Und die in Jahren gewachsene Ordnung, auch wenn sie unordentlich ist, stärkt das wankende Selbstbewußtsein. Das Werkzeug, die wichtigen Bücher an Ort und Stelle - gut, wenn das Gewohnte weitergeht und nicht sich auflöst.
Aber wir sind ja mehr als nur Weitermacher. Wir haben auch die Lust auf Abenteuer im Blut. Wir können lernen. Können mittels neuer Menschen neue Erfahrung mit uns selbst machen. Können Herausforderungen annehmen, sogar an ihnen wachsen.
"Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben" - dies Wunderwort von Hermann Hesse bekommt man sicher gesteckt, wenn Abbruch und Abschied anstehen. Schließt sich eine Tür, öffnet sich eine andere. Leere Hände, nur leere, werden gefüllt. Wenn du an ein Ende kommst, fängt dir was Neues an, etwas Lockendes, Verheißungsvolles, glaub das fest. Und dann überzeuge, gewinne, nimm für dich ein, wieder neu zeig dein gutes Gesicht, deine geschickten Hände.
Dein kluger Kopf lasse sich das Richtige einfallen. Setz auf Sympathie, du wirst mit deiner Art eine gute Erscheinung abgeben. Gott geht mit dir, er segnet dich und du wirst ein Segen sein. Setz darauf, wenn du heute oder morgen bei einer neuen Stelle vorsprichst oder die Liebe deines Lebens auftun könntest oder vor Gericht mußt oder verlassen du dich gestrandet fühlst und endlich, endlich dich aufrichtest.
Der Zauber des Anfangs liegt darin, in alle Richtungen gehen zu können. So viele neue Türen, neue Gesichter, neue Fragen, neue Chancen. Das leere Blatt, die leere Wohnung, die des Ringes entledigte Hand. Der erste Blick, der erste Auftrag - du bist herausgefordert, und wenn du dein Bestes gibst, bist du besser als vorher, um neue Erfahrungen wissender. Du hast Glück und Schmerz gespürt wie noch nie. Dein Anwachs an Person ist der eigentliche Zauber.
Und hinterher, im Rückblick, möge dir Frieden mit dem Neuen geschenkt sein. Erstaunlich wie anders als erwartet es lief. "Kommt es anders, als wir's erbitten, kommt es besser", sagte Martin Luther. Das Leben ist ins Gelingen verliebt und ist fehlerfreundlich. Zeit bekommen wir auch eingeräumt, um wieder gutzumachen. Im nachhinein diente dein Aufbruch zur Rettung - oder?