Traugott Giesen Kolumne 28.05.2005 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg

Abschied tut weh und st�rkt

Himmel und Erde

von Traugott Giesen

Als wir zur Welt kamen, wurden wir hoffentlich mit Freuden empfangen. Ankommen war Glück: endlich Freiheit, endlich ein eigener Mensch werden. Doch dies Zurweltkommen hatte auch Schattenseiten: Plötzlich war es kalt, viel zu hell und laut. Und es war lebensgefährlich, so gepreßt wollte man nie mehr sein, soviel Tunnel nie mehr erleben.

Dies Doppelgesichtige haben alle Abschiede, vor allem der tiefste: Das Sterben. Da muß man die lassen, die man liebte; und sollte man die Sonne nicht mehr sehen und Mozart nie mehr hören? Wie kann es angehen, daß alles ohne mich weitergehen wird? Das Sterben ist auch ein Tunnel. Auch mit Licht am Ende? Doch, es ist die andere Seite des Abscheidens von der Erde. Geborenwerden und Sterben sind die Urabschiede unseres Lebens. Immer wenn wir ankommen, sind wir auch von wo losgekommen - immer wenn wir loskommen, kommen wir auch irgendwo hin. Auch der Tod ist keine Wand vor der alles zerbricht, sondern nur der Augenblick des Zuende-Geborenwerdens, das Leichentuch ist letzte Windel.

Gott füllt uns von einer Hand in seine andere. Der Tod ist nicht mehr. Wohl ist Sterben, Mord, Todschlag auch, wir hauchen das Leben aus. Dann zieht das Ich aus dem Körper aus und läßt den Reisesack des Lebens am Ufer des Diesseits zurück. Die Seele geht auf große Reise. "Leinen los, Schiff ahoi", ruft unsere Person und löst sich von der Erde ab wie ein Schiff vom Kai. Ja, wenn das so ist, wenn also der letzte Abschied von hier Ankunft dort ist, sind alle Abschiede bis dahin Übung. Wir lernen dieses große "Stirb und Werde!" (Goethe) an Losgeben und Annehmen, an Sammeln und Verschenken, an Finden und Verlieren, an Willkommenheißen und Verabschieden.

Wir bleiben immer auch, die wir wurden, und sind schon im Entwurf, die wir werden sollen. Wir sind, die wir geworden sind und werfen unsere Netze voraus in Träumen. Unser Kindsein bleibt in uns wie der Keimling im Baum, wir setzen Erfahrung an, wir bleiben auch die Erzogenen und Berührten von einst. Und sind doch erst im Rohbau, das Leben schreibt an uns mit anderen Menschen weiter, nächste Aufgaben feilen uns, nächste Ereignisse prägen uns weiter.

Jeder Mensch, der dich liebte, war zu seiner Zeit der richtige, war nötig und hilfreich zu deinem Ausgewickeltwerden als Person. Und wenn nicht Katastrophisches war, wirst du bei immer weiterem Entfernen immer dankbarer dich erinnern. Ob bei Tod oder Scheidung, bei in Rente gehen oder Verheiraten der Tochter, Auszug aus dem Haus oder beim Enden einer Freundschaft, macht ein Fest, feiert Erntedank - euer Zusammen war ein Wunder, Fehler inklusive. Bei allen Tränen, aller Wehmut, man hat sich gegeben, hat von einander genommen. Gelobt sei, was bleibt, was kommt, es ist doch die Liebe. Gebt euch so etwas wie Segen - also Flügel der Zuversicht und: "Gute Wege"!

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