Traugott Giesen Kolumne 24.07.2004 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg

Was macht so verr�ckt nach diesem gro�en Schiff?

von Traugott Giesen

Ja, die Würde der "Queen Mary 2" ist grandios, üppig ausladend die Größe, nie sahen wir so viel Stahl wolkenkratzerhoch verbaut zu solch elegantem Schiff, die Rettungsboote wie Nussschalen nebeneinander aufgereiht, die Kabinenfenster und Veranden machen neugierig auf das Leben im Inneren. Die abgestuften offenen Decks laden zu Sonnenvergnügen, hinter den Panoramascheiben ahnt man Mahl und Spiel und Film und Tanz. Die riesige Kapitänsbrücke steht für eine gelungene Mischung von hochgerüsteter Technik und solider Verantwortlichkeit. Und was müssen das für gigantische Schraubenblätter sein, die dies edle Gefährt über die Meere quirlen. Wie viele Menschen ernährten sich und ihre Familien jahrelang durch den Bau, wie viele Menschen arbeiten hier in Maschinenräumen und Küchen, Bars und Sälen, putzen, bedienen, unterhalten? Wie viele planen und beschaffen an Land? Und wie viele Menschen wohl genießen dies Schiff oder die kleineren, überschaubareren Schwestern, vornweg die MS Europa?

Welch ein Eigenleben spielt hier auf Zeit. Ein eigener Staat, zum Verwöhnen bestellt, mit eigenem Geld oder keinem, nur am Ende zahlt man diskret. Es bilden sich Freundschaften, auch Liebschaften, wem es vergönnt ist; man kann vor sich hin leben ohne irgendetwas zu müssen, verwöhnt, behütet, umgeben von Menschenliebe - das Personal ist flink und hart geschult, den gut zahlenden Gästen weitmöglich zu Willen zu sein. Und man lädt die Welt zu sich, die Glückspunkte der Erde, soweit erreichbar, werden angesteuert und dem Gast zu Füßen gelegt: er möge von den schönen Seiten nippen, die im Dunklen sieht man nicht.

Ein Schiff, und die Luxusliner besonders, sind voller Symbolkraft. Unsere Seelen fühlen sich magisch angezogen; die Arche Noahs ist als Rettungsort des Lebens gefeiert, die Alten sahen die Toten auf Barken ins Jenseits fahren. Per Schiff brach man auf zu Heldentaten und Untergang. Das Schiff gilt als Bild der Kirche, seit Jesus im Sturm hinten im Boot schlief, bis seine Jünger ihn verzagt weckten, und er Ruhe stiftete. "Es kommt ein Schiff geladen" ist eins unserer innigsten Adventslieder. Auf dem Schiff ist man bei aller Zeitvergessenheit voller Erwartung des Kommenden, vorne immer Ankunft und fester Boden. Wehe dem Windjammer, dem die Einfahrt in den Hafen verweigert wird.

Doch das Entscheidende ist nicht das Schiff an sich, sondern das Meer, die große atmende Wasserfläche - und darauf schwimmt das menschliche Gesamtkunstwerk, kämpft mit Wogen und Wind, pflügt die See und bringt zu fernen Gestaden. Das Wasser in Weite und Tiefe ersehnen wir. Aber als Wesen der Erde sind wir immer mit leichtem Grauen auf dem blauen Nass in der Fremde, wenn nicht die Himmelskuppel sich schützend über uns breitete. Und wir sind ja an Bord eines schönen Stücks Land. Viele, wenn sie schon an Land bleiben müssen, winken von weitem gute Wünsche zu - das Mitfahren auf solch schönem Schiff ist die allerherrlichste Art, dankbar wieder heimzukehren.

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