Traugott Giesen Kolumne 01.06.2002 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg

Vertrauen und Kontrolle

Wir müssen einander vertrauen, sonst werden wir verrückt. Wir könnten nicht mehr Autofahren, wenn wir dem anderen nicht trauten, dass auch er heil heimkommen will; wir könnten nicht mehr fliegen, wenn wir dem im Cockpit nicht bestes Wollen und Wissen und Können zugestehen. Zu diesem guten Willen gehört die weitestgehende Kontrolle der Technik und die Sorgfalt für alle überschaubaren Abläufe. Unsere Aufmerksamkeit gehört mit zum Schatz, der Sicherheit abwirft.

Auch müssen wir Kontrolle geradezu verlangen, wenn wir fremdes Gut betreuen. Alle Geldsachen brauchen ein zweites Augenpaar, damit man nicht zusetzt oder wegnimmt. Wir sind doch gefährdet, wir alle. Viele setzen zu, allein an Zeit und Kraft, und brauchen dringend Supervision, dass sie sich nicht wegwerfen vor Verausgabung. Und wie leicht übertreten wir das Gebotene und Faire und Abgemachte – aus Gier oder Ungeduld oder Not oder Verrücktheit. Wir brauchen das Wissen, dass wir Rechenschaft geben müssen, irdisch und darüber hinaus. Es ist doch unsere Seele, die wir am meisten schänden, wenn wir schaden. Etwas helfen Radarkontrollen und die ins Haus stehende Betriebsprüfung und die Stichproben des Finanzamtes. Wenn nicht aus Einsicht, so doch aus Vorsicht bleiben wir meistens im Rahmen. Die Nahrungsvergiftung mit Nitrofen zeigt, dass noch zu wenig Kontrolle, noch zu wenig Staat ist; der Markt regelt eben nicht alles, siehe Kinderarbeit und Doping und und und.

Kriminelle Energie muss unter Verschluss bleiben. Und wenn nicht, dann ist es richtig, wenn wir erwischt werden – das weiß jeder, der Böses tut. Ganz tief im Innersten wäre jeder gern gut und hasst sich als Verbrecher. Darum steht den schuldig Gewordenen ihre Strafe zu, damit sie den Rechtsfrieden wiederherstellen und dann neu anfangen können.

Auch Kinder brauchen es, bemerkt zu sein. Sie wollen wahrgenommen werden und ihr Wachstum zeigen. Sie brauchen das Zutrauen, im Rahmen ihres Horizontes verantwortlich zu sein, und dass man bespricht, was Sache ist. Sie verwahrlosen, wenn kein Liebender Notiz nimmt und zur Rede stellt, missbilligt und lobt. Vertrauen unter Freunden und Liebenden ist zwingend. Lieber enttäuscht werden, als spionieren; lieber so lang wie irgend möglich darüber hinwegsehen, als bloßstellen. Frag nur, was du wirklich musst, und verbiete dir, des Nächsten Post oder Handyspeicher zu öffnen. Es ist eine hohe Schule des Großmutes nötig, damit Liebe geschützt wird – am besten, indem du Vertrauen anbietest. Dann verzichtest du auf Macht, willst nur das wissen, was er/sie mit dir teilt, du lässt dem anderen eine Teilmenge Eigenes. Du siehst deine Liebe nicht verringert, wenn du deinem Nächsten sein Geheimes lässt, wenn er es denn hat. Das kannst du, denn dein Lebensvertrauen wurzelt tief. Du bist dir ja geschenkt, bist mit so viel Können ausgestattet, du weißt so viel von der Bedürftigkeit aller – und wer Vertrauen vorschießt, der beschafft Frieden.

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